Nach der jüngsten militärischen Eskalation zwischen Israel und dem Iran schlagen Menschenrechtsorganisationen Alarm: Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV), „Open Doors“ sowie die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGFM) warnen vor einer massiven Repressionswelle im Iran, die sich vor allem gegen ethnische und religiöse Minderheiten sowie politische Aktivisten richten könnte.
„Bei der Suche nach Schuldigen werden die Mullahs nicht in den eigenen Reihen suchen, sondern bei den ethnischen und religiösen Minderheiten des Landes“, erklärte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Dienstag in einer Pressemitteilung. Vor allem Kurden, Baháʼí und christliche Konvertiten stünden in der Gefahr, erneut als „Handlanger Israels“ ins Visier des Regimes zu geraten. Sido befürchtet Festnahmen, Hinrichtungen und auch Angriffe auf das benachbarte Irakisch-Kurdistan.
Konvertiten besonders betroffen
„Es ist wahrscheinlich, dass die Unterdrückung aller Andersdenkenden erneut zunehmen wird und damit auch die Verfolgung von Christen“, erklärte Michael Bosch, Analyst der Forschungsgruppe „World Watch Unit“ von „Open Doors“, auf Anfrage. Besonders Konvertiten seien betroffen, da das Regime ihnen politische Motive unterstelle und sie als „christliche Zionisten“ diffamiere. Sie würden als Gegner des Staates betrachtet, die als „eine Art interne Opposition und Unruhestifter“ überwacht und verfolgt werden müssten. Christen im Iran stünden unter dem Druck, ihre Zugehörigkeit und Loyalität unter Beweis zu stellen. Auf dem Weltverfolgungsindex – der Liste der Länder, die weltweit am stärksten Christen verfolgen – belegt der Iran aktuell Platz neun.
IGFM betonte auf PRO-Anfrage hin, dass sich die Suche des Regimes nach Sündenböcken in solchen Fällen nicht auf religiöse Minderheiten beschränke, sondern zudem politische Aktivisten betreffe.
Prinzipiell stünden aber alle Angehörige religiöser Minderheiten in Gefahr, erneut Repressalien zu erleiden, die bereits Opfer staatlicher Repression waren. „Auch die vielen Christen und hier insbesondere vom Islam zum Christentum konvertierte Personen, stehen immer in Gefahr“, erklärte IGFM-Vorstandssprecher Valerio Krüger. Religiöse Minderheiten seien seit Jahren systematisch Willkür, Verfolgung und Diskriminierung in dem Land ausgesetzt. „Sollte das Regime die aktuellen Geschehnisse überleben, dann wird den Iran eine Zeit extremer Dunkelheit und Terror erwarten, die Zahl von Menschenrechtsverletzungen, Hinrichtungen und Folter wird die jetzigen Zahlen bei weitem übersteigen“, erklärte Krüger.
Wunsch nach Veränderung
Radikale Gruppen in der Region schüren nach GfbV-Angaben nach der Eskalation antijüdische und antiisraelische Stimmung. Sie verbreiteten Behauptungen über mögliche Angriffe Israels auf andere Länder wie die Türkei. „Auch wenn die radikalen Schiiten und Sunniten untereinander verfeindet sind, verbindet sie der gemeinsame Hass gegen Juden, Kurden und gegen universelle Werte wie Demokratie und Menschenrechte“, warnte Sido.
Zugleich wachse im Iran der Wunsch nach politischem Wandel. Viele Iraner lehnten das derzeitige Regime ab, forderten jedoch keine neue Diktatur. Besonders nicht-persische und nicht-schiitische Bevölkerungsgruppen streben Glaubens-, Meinungs- und Kulturfreiheit in einem föderalen System an. „Viele iranische Frauen wollen sich nicht von den Mullahs vorschreiben lassen, wie sie sich zu kleiden haben“, erklärte Sido.
Der Iran ist ein Vielvölkerstaat mit rund 90 Millionen Einwohnern, in dem zahlreiche Volksgruppen wie Perser, Aserbaidschaner, Kurden, Araber, Belutschen, Turkmenen, Armenier und Assyrer sowie Religionsgemeinschaften wie Schiiten, Sunniten, Baháʼí, Christen, Zoroastrier, Juden, Ahl-e Haqq und Sufi-Derwische leben. Hauptstadt und größte Stadt des Landes ist Teheran mit 8,7 Millionen Einwohnern. Das höchste und mächtigste Amt bekleidet der schiitische Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei. Er ist de facto das Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran.