Menschen verlassen Kirchen aus Empörung

Etwa 640.000 Menschen haben 2021 den Kirchen den Laufpass gegeben. Eine SWR-Umfrage zeigt, dass in zwei Bundesländern vor allem Wut über die Institution Kirche die Menschen zum Austritt bewogen hat.
Von Norbert Schäfer
Den leeren Kirchenbänken wirkte ein italienischer Pfarrer mit einer kreativen Idee entgegen

Der SWR hat in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nach Gründen für den Kirchenaustritt geforscht. Dazu hat der Sender unter ehemaligen Kirchenmitgliedern in den genannten Bundesländern nach den Beweggründen für den Austritt gefragt.

Bei rund 87 Prozent der Befragten hat die Umfrage eine Art Wut auf die Kirche als Institution und deren Personal zutage gefördert. Der Unmut gegenüber den Kirchen hat sich demnach vorwiegend an den öffentlich gewordenen Missbrauchsfällen entzündet. Von den Befragten, die zuvor der Katholischen Kirche angehört hatten, nannten neun von zehn die Missbrauchsfälle als einen Grund für den Austritt. Bei den ehemaligen Protestanten gaben das rund laut SWR-Umfrage zwei Drittel an. Kein anderer Grund wurde häufiger angegeben. Die einstigen Kirchenmitglieder wollen daher die Institution Kirche nicht mehr finanziell unterstützen. Dass das Geld in der eigenen Tasche fehlen könnte, spielte keine Rolle.

Religionssoziologe: „Blockadehaltung vertreibt Gläubige“

80 Prozent der durchschnittlich 31 Jahre alten Befragten gaben bei der SWR-Umfrage an, nicht religiös zu sein. Sie sehen in einer Verbindung mit einer Kirche keine Zukunft. Einer der Gründe, ausgetreten. Ein weiterer Grund: 62 Prozent der Befragten vertraten die Ansicht, dass die Kirche aus der Zeit gefallen ist. Um wieder in die Kirche einzutreten, müsse die „mehr mit der Zeit gehen“.

Gert Pickel, Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig, hat die Auswertung der nicht repräsentativen Onlinebefragung mit rund 20 Fragen begleitet. Jeder Sechste der Befragten gab an, „ziemlich oder sehr religiös“ zu sein. Pickel sieht in der „Blockadehaltung“ Roms einen Grund dafür, dass die Gläubigen schlicht aus der Kirche vertrieben würden. Die Umfrage zeige dies deutlich. Rund zwei Drittel der Befragten nannten die mangelnde Gleichstellung von Mann und Frau in der Kirche als weiteren Grund für den Austritt.

An der SWR-Datenanalyse vom April bis Ende August 2022 hatten insgesamt 864 Personen teilgenommen. Die Personen hatten beim Austritt aus der Kirche auf einem Standesamt einen Flyer mit einem individualisierten Link erhalten, mit dem sie an der Befragung teilnehmen und ihre Beweggründe anonym offen legen konnten. Rund 66 Prozent der Befragten waren vor dem Austritt katholisch, etwa 34 Prozent evangelisch gewesen.

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12 Antworten

  1. Mich verwundern die Zahlen nicht. Ich selbst bin noch Kirchenmitglied (ev.), aber der Gedanke, auszutreten, hat mich schon oft beschäftigt. Dabei spielen die Missbrauchsfälle für mich keine Rolle, schon eher, ob in der/den Kirchen noch das Wort Gottes so verkündigt wird, dass Menschen zum Glauben finden können. Erstaunlicherweise, im Artikel nachzulesen, treten viele Menschen aus, weil sie die Kirche nicht mehr „zeitgemaß“ finden. Ja, wie kommt denn das? Wo fehlt es ihr an „Zeitgemäßheit“? Ich finde sie eher ZU zeitgemäß bzw. Zeitgeist-gemäß.. Eine Kirche, die mir nicht mehr sagt, was die Bibel an mir falsch findet und welche Möglichkeiten es da gibt, dies abzustellen, eine solche Kirche hat für mich keinen Wert (mehr). Ich möchte in der Kirche nicht das hören, was ich die ganze Woche über im Fernsehen sehen kann und in diversen Blättern lesen. Ich vermute einfach mal, das geht Vielen so.

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      1. Natürlich sind die Missbrauchsfälle schlimm und für die Betroffenen fürchterlich. Sie können aber (für mich) nicht maßgeblich sein dafür, ob ich der Kirche weiter angehören will oder nicht. Dies sind ja nur „die Tropfen, die letztlich das Fass (für jemanden persönlich) zum Überlaufen bringen“. Wer die Missbrauchsfälle als Grund nimmt, aus seiner/ihrer Kirche auszutreten, der/die hat m.E. nicht verstanden, wofür die Kirche im Kern zuständig ist. Nämlich für eine Verkündigung zu sorgen, die bewirkt, dass die Kirchenbesucher zum Glauben an Jesus Christus kommen können. DIESEM Auftrag kommt sie nicht mehr nach.

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        1. @Jo416
          Ich glaube, die Kirche ist mindestens im selben Maße wie mit der Verkündigung damit beauftragt, mit ihrem LEBEN Jesus zu bezeugen und in seiner Nachfolge zu stehen.
          Und wenn sie systematisch Missbrauch „zulässt“ oder nicht verhindert oder nicht ordentlich aufarbeitet etc dann wird sie als Repräsentantin eines christlichen Glaubens und Lebens nachvollziehbarerweise nicht mehr ernstgenommen.

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          1. „Die Kirche“, das sind ja alles einzelne Menschen. DIE KIRCHE als Institution kann nicht glauben. Wohl redet die katholische Kirche vom „Glauben der Kirche“ Sie redet auch davon in ihrem Katechismus, „dass der/die verflucht sei, der/die sich seines/ihres Glaubens gewiss sei.“ Was für ein Irrtum! Welche Fehlinterpretation der Bibel! Menschen, die mit ihrem Leben Jesus Christus bezeugen, die müssen ja erstmal glauben. Damit sie in Jesu Nachfolge stehen können. Daher ist natürlich primär, dass Menschen erstmal zum Glauben finden! Und DANACH alles andere. Das Eine nicht vor dem Anderen.

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          2. @Jo416
            Ja, natürlich sind die Kirche einzelne Menschen. Und natürlich kann eine Institution als solche nicht glauben. Aber auch nicht verkündigen, das machen ja auch Menschen … Ich weiß jetzt nicht recht, worauf Sie hinauswollten mit der Formulierung „…wofür DIE KIRCHE im Kern zuständig ist“.

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          3. @Jo416
            Wofür DIE KIRCHE aber als Institution zuständig ist, ist die Vermeidung Missbrauch begünstigender Strukturen sowie eine ordentliche Aufarbeitung von bereits geschehenem Missbrauch. Und dieser Pflicht kommt sie als Institution aktuell nicht nach oder nicht in dem Maße, dass Menschen weiterhin Mitglieder dieser Institution bleiben möchten.
            Das geschieht im Übrigen auch im Bereich der Freikirchen, darüber wird aber in der Öffentlichkeit leider nicht so ausführlich recherchiert und gesprochen.

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  2. Die Kirche ist zu politisch. Jesus wird nicht mehr gepredigt. Dafür pro Flüchtlinge, anti AfD, pro „Klima“streik, aber nicht mehr zum Thema Sünde und Vergebung.
    Sex – wie man / frau will. Gegen das Wort der Bibel.
    Ich bin wegen meines Glaubens jetzt evangelisch ausgetreten.

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    1. @A.Rosebrock
      Es wird doch über Sünde gepredigt: die Sünde der Missachtung des obersten Gebotes der Nächstenliebe durch Zerstörung der Schöpfung, durch rechten Hass und Hetze (AfD), durch Ignoranz gegenüber dem Leid von Flüchtlingen…

      Und es wird, genau wie es die altestamentlichen Propheten und Jesus tat, zu einem Leben aufgerufen in Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, (Nächsten)Liebe.
      Ich habe noch keine einzige Predigt in meiner evang. Landeskirche gehört, in der verkündigt wurde, dass man Sex haben kann „wie man will gegen das Wort der Bibel“. Aber ich verstehe all jene, die aus den Kirchen austreten, weil immer mehr Fälle von missbräuchlichen, nicht dem Willen Gottes entsprechenden sexuellen Handlungen auftauchen.

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  3. Nun, es steht ja im Wort geschrieben, daß der Weg schmal ist, nur wenige diesen Weg gehen werden, es ist auch der große Abfall prophezeit, daß die Menschen Predigern folgen, deren Worte ihre Ohren kitzeln. Was den Kindesmißbrauch angeht, werden die Täter und die, die sie decken ihr Urteil bekommen, Jesus hat dazu klare Ansage gemacht. Aber dann mal die Frage, ob denn nun alle aus ihren Sportverein austreten, weil ja nun auch gehäuft Mißbrauchsfälle durch Trainer offenbar werden. Und die Vereine sind wiederum alle entweder im Deutschen Sportbund vereint oder im Deutschen Fußballfund, so wie die Heimatgemeinden, seien sie evangelisch-lutherisch oder römisch-katholisch in ihren Bundesverbänden vereint sind. Und wer nicht wegen des Geldes oder mangelnden Glaubens austritt, für den gibt es im evangelischen Bereich viele Freikirchen, die zwar jeweils gemeinsame Werke betreiben, aber nicht einer übergeordneten Organisation wie EKD, Bischofskonferenz oder dem Papst weisungsgebunden sind, hier gibt es freiwillige Beiträge, das Geld bleibt in den Gemeinden und man hat einen besseren Einblick und auch eine gewisse Kontrolle, ob die Mittel sachgerecht eingesetzt werden und eben nicht durch übergeordnete Strukturen Geld erst komplett den Gemeinden weggenommen und dann zugeteilt wird, mit Verlusten für die Verwaltung und der Tatsache, daß teilweise damit sogar unchristliche Ideologien gefördert werden. Einzelheiten nenne ich nicht, sonst kommt die Zensur.

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  4. @Kaja: Nee, im KERN ist die Kirche zuständig für die Verkündigung des Evangeliums, das ist ihr ureigenster Auftrag. Natürlich AUCH, für Ordnung und Aufklärung im eigenen Hause zu Sorgen, für das, was man sich selbst eingebrockt hat. Aber niemals ist das der Kernauftrag.

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    1. @E. Weber
      Ich bitte um einen höflichen und erwachsenen Umgangston. Danke.
      Wie gesagt, eine INSTITUTION verkündigt nicht, das machen Menschen. Und schon innerhalb der Kirchen gibt es ja unter den Predigenden eine große Bandbreite dessen, was und wie sie verkündigen.
      Mir ist keine Kirche bekannt, in der keine Verkündigung stattfindet.
      Und gerade deshalb verstehe ich die Menschen, die austreten, weil sie sehen, dass die Kirche sich als Institution nicht gut darum kümmert, dass das, was in ihr verkündigt wird, auch gelebt wird.

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