Ethik und Qualitätsjournalismus wichtiger denn je

Die Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm forscht an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart über Gewalt in den Medien, die Nutzung neuer Medien bei Kindern und Jugendlichen und Fragen der Ethik im Zeitalter der Digitalisierung. Im Gespräch mit pro bricht die Medienexpertin eine Lanze für den Qualitätsjournalismus und spricht sich für die Vermittlung werteorientierter Digitalkompetenz an Schulen aus.
Von PRO
Die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm leitet das Institut für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien in Stuttgart

pro: Frau Grimm, Politiker wenden sich immer öfter direkt an das Wahlvolk via Twitter und Facebook. Wie wirkt sich das nach Ihrer Einschätzung auf unsere Demokratie und die Meinungsbildung aus?

Petra Grimm: Ich glaube, dass nach wie vor der Qualitätsjournalismus ganz besonders wichtig ist. Guter Journalismus heißt, Informationen sorgfältig zu recherchieren, den Wahrheitsgehalt zu prüfen, Ereignisse einzuordnen und zu bewerten. Meines Erachtens ist ein qualitativer Journalismus mehr denn je gefragt und gefordert als das jemals der Fall war. Zudem benötigen wir dringend eine Stärkung öffentlich-rechtlicher Informationsanbieter im Netz, um eine Balance zu den kommerziellen „sozialen“ Medien wie Facebook und Co. zu schaffen. Letztere sind zunehmend meinungsbildungsrelevant und nutzen zudem unsere Daten für kommerzielle Zwecke.

Welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf den Bereich der Religion und der Kirche?

Es gibt Sprache im Internet vielfach nur noch in der Form von Kurznachrichten, Schlagzeilen und Textschnipseln. Das Internet wird dominiert von Videos. Darin liegt eine Gefahr, dass Menschen sich nicht mehr auszudrücken lernen. Längere und komplexere Texte zu erschließen wird damit schwieriger. Darin liegt ein Problem, denn gerade der christliche Glaube basiert in hohem Maß auf dem Zugang und dem Verständnis von Texten. Um mich selbst ausdrücken zu können, um die eigene Identität zu leben und zu finden, benötigt der Mensch Sprache. Je befähigter ein Mensch ist, etwas sprachlich auszudrücken, desto befähigter ist er, das Leben auch zu erfahren. Ich sehe es als problematisch an, wenn diese Fähigkeit zurückgedrängt wird.

Die Gesprächsatmosphäre in den Sozialen Medien ist oft durch Hetze und Hass, sogenanntes Hatespeech, vergiftet. Warum sind so viele Benutzer offenbar nicht in der Lage, vernünftig miteinander umzugehen?

Der Begriff „Hate-Speech“ wird oftmals undifferenziert verwendet, ich bevorzuge den Oberbegriff „verletzendes Online-Verhalten“. Dabei sollten unterschiedliche Motivlagen unterschieden werden. Zum einen gibt es die mehr oder weniger „professionellen“ Hater, die oft aus ideologischen radikalen Motiven heraus andere Menschen diffamieren wollen. Deren Ziel ist es, Menschen anderer Meinung bloß zu stellen, zu beleidigen und zu beschimpfen.

Was ist mit denen, die nicht so zielgerichtet pöbeln?

Dann gibt es wiederum solche, die „bloß“ ihren Frust und ihre Aggression artikulieren möchten, also nicht in der Lage sind, ihre Affekte zu kontrollieren. Möglicherweise sind sie auch nicht willens oder befähigt, ihr diskriminierendes Verhalten zu reflektieren. Zielscheibe solcher Attacken sind übrigens nicht selten Journalistinnen. Eine weitere Variante des verletzenden Online-Verhaltens ist die gezielte Attacke aus Machtmotiven, die ihr Pendant im analogen Leben hat. Hier haben wir es häufig mit Cybermobbing zu tun, bei dem es den Tätern um die Manifestation von Macht und Stärke geht.

Haben die sogenannten Wutbrüger seit Jahren nur auf das Internet gewartet?

Der Begriff „Wutbürger“ ist mir zu unklar und verweist wohl eher auf eine politische als eine kommunikative Dimension. In Bezug auf letztere lässt sich allgemein feststellen, dass das Web 2.0 uns ein Mehr an Freiheit, aber auch Verantwortung gebracht hat. Wir können heute an jedem Ort und zu jeder Zeit unsere Botschaften an eine Öffentlichkeit kommunizieren. Wenn wir uns auf bestimmte Werte im sozialen und kommunikativen Umgang verständigen wollen, dann sollten wir uns über ethische Regeln der Kommunikation Gedanken machen und diese auch als Teil einer digitalen Bildung verstehen.

Wie kommen wir wieder zu einem gedeihlichen Miteinander in der virtuellen Welt?

Ein Beispiel dafür, wie man einen Impuls zur ethischen Reflexion setzen kann, sind die „10 Gebote der Digitalen Ethik“, die Masterstudierende der Hochschule der Medien in Kooperation mit juuuport, der Selbstschutzplattform von Jugendlichen für Jugendliche, und mit Wolfgang Schuster, dem Vorsitzenden der Telekom-Stiftung, erarbeitet haben. Sie sollen Jugendliche dazu motivieren, sich über die eigene Haltung Gedanken zu machen. Für eine tiefere Auseinandersetzung mit ethischen Fragen dienen die Arbeitsmaterialien „Ethik macht klick“, die das Institut für Digitale Ethik mit der EU-Initiative klicksafe erstellt hat.

Wie können Eltern und Schulen die Kinder und Jugendlichen fit machen im Umgang mit sozialen Medien?

Um eine werteorientierte Digitalkompetenz an den Schulen zu verankern, brauchen wir eine Bildungsoffensive. Ziel sollte es sein, Kindern und Jugendlichen nicht nur technische Kompetenzen zu vermitteln, sondern sie auch für gesellschaftliche Fragen zu sensibilisieren und sie über ökonomische Interessen der Internetanbieter aufzuklären. Ebenso sollten sie lernen, die Folgen ihres eigenen Handelns abschätzen zu können. Zudem benötigen sie Hilfestellungen, mit denen sie sich digital selbst verteidigen können. Deshalb hat das Institut für Digitale Ethik mit Masterstudierenden gerade einen „Digital Safety Compass“ entwickelt, der leicht verständlich Techniken der digitalen Selbstverteidigung vermittelt.

Vielen Dank für das Gespräch! (pro)

Die Fragen stellte Norbert Schäfer

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen