Precht: Wozu braucht der Mensch Religion?

„Wozu braucht der Mensch Religion?“ Diese Frage stellt Richard David Precht in seiner Sendung am Sonntagabend der Anwältin und Imamin Seyran Ateş. Die gibt auf die Frage die Antwort: „Weil der Mensch sich nicht alle Fragen beantworten kann.“
Von Jörn Schumacher
Bei Richard David Precht ist am Sonntag die Imamin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş zu Gast

In der ZDF-Philosophiesendung „Precht“ ist am Sonntag, dem 12. November, die Imamin Seyran Ateş zu Gast. Sie eröffnete in Berlin eine liberale Moschee, in der Frauen und Männer aller islamischen Glaubensrichtungen nebeneinander beten können. Seit einiger Zeit erhält sie Morddrohungen und steht unter Polizeischutz.

Der Mensch stehe immer vor unbeantwortbaren Fragen, daher werde es immer Religion geben, ist Ateş überzeugt. Das nehme auch nicht mit der Zeit ab, sondern sei immer so. „Wenn Sie in einem Flugzeug sitzen, und es kommen richtig heftige Turbulenzen, dann fangen viele Menschen an zu beten“, sagte die Imamin. Allerdings zeigten die Menschen ihre Religiosität nicht mehr so offen wie früher. Für sie stelle es ein Problem dar, wenn Religionen einen Wahrheitsanspruch erheben, denn die Möglichkeit zu zweifeln sei für sie essentiell.

Precht spricht mit seinem Gast unter anderem über die Frage, worin sich der Glaube im islamischen Kulturkreis von dem in der christlichen Welt unterscheidet. Precht zeigt sich überzeugt, dass es einen Unterschied gebe zwischen Religion und Glaube. Die Menschen im Beispiel vom Flugzeug seien zwar in irgendeiner Form gläubig, aber nicht religiös, sie zählten sich also nicht zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Im Gegensatz zum Glauben suche man sich seine Religionszugehörigkeit selten selbst aus, sondern übernehme sie aus dem Elternhaus oder aus seinem Kulturkreis, so Precht.

Was der Islam jetzt braucht

Precht legte dar, dass heutzutage sogar die Religionsvertreter selbst kaum noch an die wörtliche Auslegung der Schriften glaubten. So werde etwa die Schöpfungsgeschichte in der Bibel mit der Erschaffung der Welt in sechs Tagen von niemandem wörtlich verstanden. Hochgehalten würden stattdessen vielmehr die ethischen Ansprüche, etwa die Zehn Gebote oder die Bergpredigt. Precht stellt die Frage, ob diese Trennung zwischen Erkenntnistheorie und Ethik auch im Islam zu beobachten sei. Ateş antwortet: Die Bestrebungen zur Reformierung des Islams gingen dahin, dass man nicht die Suren aus dem siebenten Jahrhundert wortwörtlich auf unsere Zeit übertrage. „Genau diesen Prozess muss der Islam durchmachen.“

Die Frauenrechtlerin fügt hinzu, dass der Islam sehr viel mehr Individualität und weniger Institutionalisierung zeige, als die Katholische Kirche. Sie betont, dass im Islam niemand zwischen dem Einzelnen und Gott stehe. „Wir haben keinen Papst. Und es gibt niemanden zwischen dem einzelnen Gläubigen und Gott. Der Islam ist eigentlich eine der individuellsten Religionen.“

„Precht – Wozu braucht der Mensch Religion?“: Sonntag, 12. November 2017, 23:55 Uhr, ZDF

Von: Jörn Schumacher

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