Meinung

Leben ist Abschiednehmen

Tod, wo ist dein Stachel? Jürgen Mette über die Unausweichlichkeit des Todes – und die Hoffnung der Christenheit.
Von Jürgen Mette
Jürgen Mette

Zur Beerdigung am 15. Juli 2002 waren 5.000 Menschen ins russische Nordossetien gekommen. Der 46 Jahre alte Architekt Witali Kalojew lässt ein riesiges Grabmal aus schwarzem Granit errichten, das die Bilder seiner Frau und seiner beiden vier und zehn Jahre alten Kinder trägt. Sie waren am 1. Juli 2002 bei der Kollision der Tupolew mit einer Boeing-Frachtmaschine über dem Bodensee mit allen 69 Insassen ums Leben gekommen. Witali hatte Arbeit in Spanien gefunden und freute sich nach einem Jahr der Trennung von seiner Familie sehnsüchtig auf den Besuch seiner Frau und der beiden Kinder, als ihn am Flughafen Barcelona die Nachricht von der Tragödie vom Bodensee erreichte. 

Er war der erste Angehörige, der in Überlingen an der Absturzstelle eingetroffen war. Witali entdeckte die kaum versehrte Leiche seiner Tochter im Geäst eines Baumes. „Wie ein Engel ist sie zur Erde gesunken“, sagte der Vater den Rettungsmannschaften von Überlingen. Von seiner Frau und dem zehnjährigen Sohn finden sich nur Leichenteile.

Witali Kalojew ist vom Schmerz um den Verlust seiner Familie in wenigen Monaten zu einem verbitterten bärtigen Mann geworden, der täglich mehrere Stunden auf dem Friedhof zubringt. Nur mit Mühe konnten ihn seine Brüder davon abhalten, fortan direkt neben der Grabstelle in einem Wohnwagen zu wohnen. Sein Zuhause ist eine einzige Gedenkstätte. Das Bett seiner Frau und das der Kinder hat er ins Wohnzimmer geschoben, liebevoll bedeckt mit Blumen, Bildern und Erinnerungsstücken. Was bleibt diesem Mann außer den Bildern seiner Lieben? Leben ist Abschied nehmen, selbst wenn man sich nicht verabschieden konnte. Wir werden zum Abschied gezwungen. 

Der Tod ist die brutalste und unausweichlichste Realität unseres Lebens. Wir haben vieles im Griff, es gibt kaum noch etwas, was technisch nicht machbar wäre. Aber der Tod bleibt unangreifbar. Nicht, wenn er einem erfüllten und satten Leben ein biologisches Ende setzt, denn das empfinden viele Menschen als Erlösung. 

Der Tod ist brutal, weil er seinen Besuch nicht anmeldet und selten gelegen kommt. Oft stand er schon vor unserer Tür, aber er ist – durch welche Umstände auch immer – noch einmal weiter gezogen. Aber irgendwann klopft er an die Tür unseres Lebenshauses. Die einen sehen in seinem Besuch die Erlösung aus Krankheit und Schwachheit, den Abschied aus einem glücklichen und erfüllten Leben, bevor die Demenz die Persönlichkeit verändert. Andere sehen in ihm ein grausames Schwert, das alles Lebensglück unwiederbringlich zerstört. So hat es Witali Kalojew erlebt, so erleben es an diesem Tag Millionen von Menschen auf dieser Welt.

Und was soll ein Mensch tun, wenn das Leben nicht gehalten und geborgen ist? 

Witali Kalojew hat sich auf die Suche nach dem gemacht, der seiner Meinung nach das entsetzliche Leid verschuldet hat. Er fliegt nach Zürich und macht sich auf die Suche nach dem Fluglotsen, der in jener Nacht für den Flugraum über dem Bodensee zuständig war. Der 36-jährige Ehemann und Vater von drei Kindern hatte das Namensschild von seiner Tür entfernen lassen, aber Kalojew ist ihm auf die Spur gekommen. Er geht, ohne zu klingeln, auf die Terrasse, ersticht den Fluglotsen und zerstört damit eine Familie, die in den letzten beiden Jahren schon genug zu tragen hatte an den Folgen dieser verhängnisvollen Tragödie. Der Tod sollte durch Tod gerächt werden, durch eiskalten Mord. Ein Opfer sucht Heilung seines Schmerzes, indem es weitere Opfer schafft, eine junge Witwe mit drei Kindern.

Wenn wir die Tiefe dieser Tragödie wenigstens ahnen, dann bleiben uns alle schnellen Antworten und Erklärungen im Hals stecken. Menschliche Ratschläge wirken angesichts der Brutalität des Todes wie blanker Hohn. Und erst wenn alle Argumente verstummen, beginnen wir vielleicht zu ahnen, was der große Theologe und Missionar Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“

Alle Ungerechtigkeit unseres Lebens tobt sich im Tod noch einmal richtig aus und schafft auf Ewigkeit ultimative Fakten. Mit diesem Stachel der Sünde leben und sterben wir. Und alles wird darauf ankommen, dass wir auf den Abschied vorbereitet sind, ob wir Paulus weiter bekennen können: Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch Jesus Christus!

Abschiedsbereit leben

Wir wissen nicht, ob unser Ende friedlich oder tragisch sein wird. Aber wir dürfen hier und heute wissen, dass wir in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem auferstandenen Herrn, getrost und geborgen auf unsere letzten Stunden zugehen dürfen. Wer ihm nachfolgt, wird leben, selbst wenn er stirbt. Das ist die Hoffnung der Christenheit schlechthin. 

Der Tod muss vor dem Sieg Jesu kapitulieren, auch in Ihrer letzten Stunde. Sie sollen in einer tiefen Gewissheit des ewigen Lebens und der Auferstehung in Ihre letzte Stunde gehen. Nicht Gedanken der Rache und des Opfers sollen Ihren Abschied begleiten, sondern die Gewissheit, dass Jesus Ihr Herr im Leben und im Sterben ist. Wählen Sie das Leben und leben Sie abschiedsbereit!

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3 Antworten

  1. Danke Herr Mette, für diese nachdenklich machenden und dabei Trost spendenden Worte!

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