Luther zwischen Party und Protest

Am Dienstag haben tausende Christen in Wittenberg den 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers gefeiert. Doch zwischen Jahrmarktstimmung und festliche Gottesdienste mischte sich Protest gegen Kirche und Politik.
Von PRO
Ein letztes Mal feierten Protestanten am Dienstag in Wittenberg den 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers. Damit gingen Reformationsjahr und Lutherdekade zu Ende.

Glühweinduft durchzieht am Dienstag die Straßen der Lutherstadt Wittenberg. Ein Mönch in brauner Kutte spaziert vorbei, in der Hand eine Bratwurst im Brötchen. Einer Frau mit goldener Maske schenkt er kaum Beachtung, auf ihrem Rücken lesen Passanten schwarz auf gold deren ganz persönliche Kirchenkritik: Es geht um Geld, Frauen und Gott, so richtig verständlich wird ihr Anliegen wohl erst, wenn sie es noch einmal erklärt. Dazu hat sie an diesem besonderen Reformationstag reichlich Gelegenheit. Tausende Besucher sind zum 500. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlags nach Wittenberg gereist.

Neben vielen Feiern gab es auch Kirchenprotest in Wittenberg Foto: pro/Anna Lutz
Neben vielen Feiern gab es auch Kirchenprotest in Wittenberg

Ein Markt durchzieht die ganze Stadt, viele Besucher sind in historischen Kostümen erschienen, Straßenmusiker spielen, die Cafés und Restaurants des Ortes sind gefüllt. Religiöse Gruppierungen nutzen den Andrang, um Bibeln und Traktate unters Volk zu bringen. Auf der anderen Seite der Innenstadt stellt sich die humanistische und kirchenkritische Giordano-Bruno-Stiftung bildgewaltig gegen antisemitische Äußerungen des Reformators: „Die nackte Wahrheit über Martin Luther“ steht unter einer Skulptur, die selbigen so zeigt, wie Gott ihn schuf.

Die Straßen vor und rund um die Schlosskirche in Wittenberg waren am Dienstag voll Foto: pro/Anna Lutz
Die Straßen vor und rund um die Schlosskirche in Wittenberg waren am Dienstag voll

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geben sich an diesem Feiertag die Ehre in Wittenberg. Begrüßt werden sie vor der Kirche mit „Hau ab“- und „Merkel muss weg“-Rufen. In der Schlosskirche, an deren Tür Martin Luther einst seine Thesen geschlagen haben soll, haben neben den Staatsoberhäuptern Fraktionsvorsitzende, Ministerpräsidenten, Minister, Kirchenfunktionäre und Geistliche Platz genommen.

Passend zu den Protestschreiern draußen predigt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, drinnen über die Zerrissenheit der Republik. 500 Jahre nach Luther sei Deutschland gesegnet, aber ringe auch damit, dass „manche sich moralisch überfordert fühlen“ und „Angst haben, ihre gewohnte Welt zu verlieren“. Umso dringender brauche es „die reformatorische Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnade“. Bedford-Strohm ist sich sicher: „Weder Obergrenzen für die Unterstützung von Menschen in Not helfen diesem Land noch moralische Durchhalteparolen. Was dieses Land braucht, ist eine neue innere Freiheit.“ Später in seiner Predigt wird er noch über die Notwendigkeit der Buße sprechen. Und eine neue Demut von Deutschland fordern.

Merkel: Religiöses Leben schützen

Zwei Stunden später tritt Kanzlerin Merkel bei einem Festakt in Wittenberg auf. Vor der Tür warten Dutzende in der Kälte, um einen Blick auf die Gäste zu werfen. So viel prominenten Besuch wie im vergangenen Jahr hat Wittenberg in jüngerer Vergangenheit nicht gesehen. Seit Beginn des Reformationssommers im Mai war die Stadt Kultur- und Kirchenmittelpunkt Deutschlands. Auch wenn die Besucherzahlen der Weltausstellung Reformation hinter den vom Veranstalter erhofften zurückgeblieben sind, strömten in wenigen Monaten Hunderttausende in die Stadt. Extra dafür war etwa der Bahnhof aufwändig saniert worden. „Davon werden wir schon auch im Nachhinein etwas haben“, sagt ein Anwohner. Trotzdem ist er froh, wenn es wieder ruhiger wird in seiner Heimat.

Sollte eine religiöse Bewegung, wie Luther sie mit dem Protestantismus gründete, denn überhaupt Mittelpunkt einer derart pompösen staatlichen und gesellschaftlichen Feier sein? Die Kanzlerin findet: Ja. „Martin Luther redete vielen Menschen ins Gewissen“, sagte Merkel. So habe er die Welt für immer verändert. „Das Verständnis des zur Freiheit berufenen mündigen Menschen“ sei auch sein Verdienst. So sei die Reformation „treibende Kraft“ im fortwährenden Prozess politischer und gesellschaftlicher Erneuerung. Merkel erklärte, Aufgabe der Politik sei es, ein „reiches und lebendiges religiöses Leben in Deutschland zu ermöglichen“. Die Glaubensfreiheit erfordere es, Religionen vor Geringschätzung zu schützen – die Wahrung der Religionsfreiheit sei gemeinsame Aufgabe von Politik und Kirchen. Christen und die Anhänger anderer Religionen rief sie zum Dialog auf. Nur so könnten Ressentiments abgebaut werden. Sie selbst sehe das Reformationsjubiläum als großartige Gelegenheit, den christlichen Glauben ins Gespräch zu bringen.

Als der Festakt mit Merkel zu Ende gegangen ist, weht draußen ein kalter Wind. Es ist dunkel geworden in Wittenberg. Die Protestler sind gegangen. Eine Dekade Reformationsfest ist vorüber – vor zehn Jahren rief die Evangelische Kirche die sogenannte Lutherdekade aus. Was kommt jetzt? Für Wittenberg sicher zunächst die wohlverdiente Ruhe. Für die Kirche stehen neue und alte Herausforderungen an. Eine davon hat ebenfalls mit Luther zu tun und beschäftigte die Protestanten bereits verstärkt während des Jubiläums: Die Ökumene.

Von: Anna Lutz

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