Wie Kanye West auszog, um das Evangelium zu predigen

Der US-Rapper Kanye West hat ein Gospel-Album herausgebracht, spricht öffentlich von seinem neu erlangten Glauben, lädt sein Publikum ein, Jesus nachzufolgen – und die Kritiker stürzen sich auf ihn. Aber warum? Von Martina Blatt
Von PRO
Polarisiert seine gesamt Karriere lang: Rapper Kanye West

Für die einen ist er ein Genie und Rap-Gigant, für die anderen „nur verrückt“: US-Rapper und Produzent Kanye West. Nun hat der 42-Jährige ein Gospel-Album veröffentlicht – und polarisiert damit einmal mehr. Gelinde gesagt. Er singt und rappt in „Jesus Is King“ etwas unkonventionell von seinem neu gefundenen Glauben und fordert die Zuhörer auf, mit Jesus zu leben. Das passt zahlreichen Rezensenten in den deutschen und englischsprachigen Mainstream-Medien anscheinend nicht und führt bei so manchem Autoren zu einem regelrechten Verriss der Platte und zum Absprechen seines Glaubens. Es kommt einem vor, als entlade sich in manchen CD-Besprechungen einfach eine grundsätzliche Abneigung gegen West.

Andreas Borcholt schreibt bei Spiegel Online: „Allein es fehlt der Glaube. Denn ,Jesus Is King‘ mag mit ekstatischen Hallelujah-Chören spirituelle Erweckung vorgaukeln, ein transzendierendes oder gar frommes Soul- oder Gospelalbum ist es frustrierenderweise nicht. Da kann West noch so oft ,Jesus Is Lord‘ rufen oder behaupten, dass Gott jetzt alles ist, was er braucht (,Everything We Need‘).“ Thore Barfuss notiert in der Zeitung Die Welt: „,Jesus Is King‘ ist der endgültige Beweis dafür, dass Kanye West sich verlaufen hat.“ Thorben Kaiser meint auf Ze.tt, der jungen Partnerseite von Zeit Online, das Album sei „bei Gott, reinste Zeitverschwendung“.

West ist einer der erfolgreichsten Rapper, zahlreiche Male preisgekrönt – und kein einfacher Typ. In der Vergangenheit lehnte er sich mit seinen Statements über sich und andere oft weit aus dem Fenster – legendär ist sein Auftritt 2009 bei den MTV Video Music Awards. Sängerin Taylor Swift nahm gerade den Preis für das beste Video einer weiblichen Künstlerin entgegen, als West auf die Bühne stürmte, ihr Mikrofon nahm und dem entgeisterten Publikum erklärte, dass seiner Meinung nach Sängerin Beyoncé den Preis verdient hätte. Und mehr noch: Seine Äußerungen grenzten immer wieder an Gotteslästerung, mit Lob und Lobpreisungen bedachte er vor allem sich selbst, er verglich sich mit Gott. Er eckte – und eckt – an: mit seiner Unterstützung für US-Präsident Donald Trump, seiner öffentlich gelebten Ehe zu TV-Starlett Kim Kardashian West und so weiter. Was mancher nicht weiß: West wurde ärztlich eine bipolare Störung diagnostiziert. Kürzlich äußerte er sich, dass sein Glaube ihm geholfen habe, besser mit seinen psychischen Problemen umzugehen.

Rapper veranstaltet Gottesdienste

Fakt ist: „Jesus Is King“ ist nicht das typische Gospel-Album und es ist auch kein typisches Rap-Album. Aber genau das macht den Rapper seit vielen Jahren aus. Er macht nichts Typisches. Er ist ein Ideenkopf, brachte schon in der Vergangenheit als Pionier kreative, spannende neue Elemente in die Rap-Szene. Vor vielen Jahren nutzte er in seinem Genre als einer der Ersten Autotune zur Stimmbearbeitung – heute gehört das Tool zum Alltag vieler Rapper.

Das neue Album hat weniger Autotune, dafür mehr Soul und puren Gesang. Ein Gospelchor fordert im ersten Track „Every hour“ singend dazu auf: „Sing‘, bis die Kraft des Herrn herunterkommt. Lass alles, was atmet, Gott lobpreisen.“ Diese Zeilen können überraschen. Wenn sich der Hörer jedoch mit den aktuellen Entwicklungen um den Künstler auseinandersetzt, dann überraschen die Lyrics nicht mehr so sehr. West veranstaltet seit einigen Monaten seinen „Sunday Service“, der stets gefüllt ist mit viel Musik. Der Chor, mit dem er allsonntäglich Gottesdienst feiert, begleitet den Musiker nun auf der CD.

„Folge Jesus, höre auf ihn und gehorche ihm“

Den Song „Selah“ unterlegt West mit Orgelmusik. In „Water“ rappt er über das geistliche Reinwaschen durch die Taufe. „Selbst wenn der Sturm kommt, werden wir aufgrund deiner Liebe hindurch gelangen. (…) Ich verspreche, dass ich nichts verstecken werde.“ Die Platte ist ein relativ kurzes, aber abwechslungsreiches Vergnügen: Nach 27 Minuten und elf Tracks, mehr als die Hälfte davon unter drei Minuten, ist alles schon wieder vorbei. Es ist gut vorstellbar, dass West später nochmal nachlegt.

In „Closed on Sunday“ macht der Musiker deutlich: „Folge Jesus, höre auf ihn und gehorche ihm. Kein Leben mehr für die Kultur, wir sind niemandes Sklave.“ Weiter fordert der Rapper auf, am Sonntag einen Ruhetag zu haben, Zeit mit der Familie zu verbringen und sich von Instagram eine Pause zu gönnen. Gerade den Social-Media-Breal findet so mancher Rezensent unglaubwürdig, weil Wests Frau, Kim Kardashian West, quasi die Instagram- und Selbstinszenierungs-Königin ist und ihre Kanäle gefühlt ständig mit Content füllt. Im Refrain des Songs besingt West die von Christen geführte Fastfood-Kette „Chick-fil-A“, die sonntags ihre Läden geschlossen hält. Das führte auch zu Kritik, weil er damit Werbung mache – noch dazu für eine Kette, die in der Vergangenheit aufgrund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der LGBTQ-Szene in die Schlagzeilen geriet.

Verurteilung durch Christen

In „Hands On“ verarbeitet der Künstler, wie er den Umgang mit Christen erlebt hat. Als er ankündigte, ein Album über das Evangelium zu machen, habe er als erstes von Christen Verurteilung gehört. „Wenn ich versuche, dich zu Jesus zu führen, werden wir Halbgläubige genannt. Epheser nur bis zur Hälfte gelesen. (…) Ich war nie erneuert, bis ich von dem wahren und lebendigen Gott erfuhr, Jeschua – der wahre und lebendige Gott.“

Wie es zu den Reaktionen kommt, kann man erahnen. Aber West positioniert sich auch dazu. In der Sendung „The Late Late Show with James Corden“ fragt der britische Moderator ihn: „Was sagst du zu Leuten, die dir nicht glauben, dass sich dein Leben um 180 Grad gedreht hat?“ West macht deutlich, dass er sich verändert hat: „Ich würde sagen: Wenn du schlafen gehst, würdest du zustimmen, dass du dann schläfst, wenn du schläfst? Und wenn du aufwachst, würdest du zustimmen, dass du wach bist, wenn du wach bist? Würdest du zustimmen, dass das zwei verschiedene Zustände sind? Menschen, die nicht glauben, sind lebendige Tote. Sie schlafen. Und das ist das Erwachen.“

Corden ist in der Regel mit seinen Gästen im Auto unterwegs und sie singen gemeinsam Auto-Karaoke. Bei dem Gespräch mit West war das etwas anders, denn die beiden fuhren nicht im Auto, sondern flogen im Flugzeug – zusammen mit dem aus mehr als 100 Sängern bestehenden Gospelchor. Das knapp 20 Minuten lange „Flugzeug-Karaoke“-Video glich immer wieder einem Gottesdienst, wenn die Gospelsänger zusammen mit West und Corden geistliche Lieder sangen und der Rapper von seinen Erlebnissen mit Gott berichtete. „Gott hatte immer einen Plan für mich.“ Familienangehörige hätten für ihn gebetet, aber er habe sich nichts sagen lassen. Schließlich habe Gott das Verlangen nach ihm in sein Herz gelegt. West ist bekannt als Perfektionist, aber „als Menschen können wir nichts perfekt machen. Gott ist der Einzige, der perfekt ist. Das Einzige, was perfekt ist, ist Gottes Plan.“

Corden wollte von dem Künstler wissen, wie ein normaler Abend bei ihm und seiner Frau abläuft. West erklärte, er gehe abends nicht gerne aus: Sie essen mit den Kindern zu Abend, spielen mit ihnen, danach bringen sie sie zu Bett, und gehen auch ins Bett. Während seine Frau noch etwas im Fernsehen anschaut, liest er in der Bibel. Corden fragt noch einmal nach: „Ernsthaft, du setzt dich hin und liest in der Bibel?“ West bestätigt mit Überzeugung: „Yes.“

Kanye West bei einem Konzert im Museum of Modern Art in New York (Archivbild) Foto: Jason Persse, flickr | CC BY-SA 2.0 Generic
Kanye West bei einem Konzert im Museum of Modern Art in New York (Archivbild)

Auf einer Listening-Party zu seinem Album vor wenigen Wochen erklärte West fast beiläufig, dass er sich zum christlichen Glauben bekehrt habe. Er wolle nicht unterhalten: „Wir sind hier, um das Evangelium zu verbreiten. Bitte entschuldigt mich, wenn ich etwas falsch ausspreche. Ich habe mich kürzlich erst bekehrt. Das bedeutet, dass ich erst in diesem Jahr errettet worden bin.“ Daraufhin applaudierte das Publikum begeistert. In einer Art Input sprach er über seine liebsten Bibelverse und darüber, was ihn aus der Heiligen Schrift besonders bewegt.

Interessant ist, dass im Gegensatz zu den Rezensenten der Online-Zeitungen bei Amazon.com die Käufer die Platte „Jesus Is King“ Ende Oktober fast ausschließlich mit Lob und dem höchsten Rating bedenken: 5 Sterne. Mit der Vorgeschichte mag so mancher Rezensent West seine Bekehrung nicht glauben. Das ist allerdings irrelevant, solange West sein Fundament nicht auf Kritiken baut – aber das hat er auch in der Vergangenheit schon nicht.

Bereits vor 15 Jahren rappte West in seinem Song „Jesus Walks“: „Gott zeigt mir den Weg, denn der Teufel versucht, mich zu zerstören.“ Und weiter: Er könne über alles rappen: Lügen, Sex, Gewalt. Aber wenn er in seinen Liedern über Gott spreche, werde er nicht im Radio gespielt. Und vielleicht ist das nun nicht mehr sein Anspruch – oder gerade dennoch.

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