Wütende Anklage gegen Männer und Religion

Frauen erzählen in der Doku „Female Pleasure“ ihre Missbrauchsgeschichten und machen die männlich geprägte Gesellschaft dafür mitverantwortlich. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören, obwohl der allgemeine Tenor des Films religionskritisch ist. Eine Filmkritik von Michael Müller
Von PRO
Doris Wagner erzählt in der Dokumentation „Female Pleasure“ von den sexuellen Übergriffen, denen sie sich in einer katholischen Ordensgemeinschaft ausgesetzt sah

Einem anderen Menschen zuzuhören, löst noch keine Probleme. Aber es ist fast immer der beste Weg, sich einer Problemlösung zu nähern. „Die Kirche war meine Heimat. Jetzt ist sie für mich die Räuberhöhle, von der Jesus sprach“, erzählt Doris Wagner vor der Kamera des Dokumentarfilms „Female Pleasure“, der am Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft. Mit 19 Jahren trat Wagner der katholischen Ordensgemeinschaft „Das Werk“ bei und wollte Nonne werden. In Rom habe sie dann ein Pater, der Hausvorsteher der Gemeinschaft war, mehrere Male einen Sommer lang vergewaltigt.

Wagner und vier andere Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Kontinenten erzählen in „Female Pleasure“ von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie eint, dass sie heute selbstbewusste Menschen sind, denen aber in der Vergangenheit auf die ein oder andere Weise Gewalt angetan wurde. Sie führen das auf eine männerdominierte Welt zurück, in der Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden.

„Jungfrau Maria – ein Ideal, dem keine Frau gerecht werden kann“

„Die Bibel ist lange Zeit genutzt worden, um das Bild der Frau als Sünderin zu festigen – und dass sie weniger wert als der Mann sei“, sagt Wagner. In ihrer gemischten Ordensgemeinschaft galt eine strikte Kleidungsvorschrift. Für sie habe in der Gemeinschaft gegolten: Je weniger man sehe, dass sie eine Frau sei, umso besser sei das. „Es gibt eine weibliche Identifikationsfigur in der Bibel: Maria, deren Wesen aber die völlige Hingabe ist“, führt Wagner aus. Maria sei Jungfrau und gleichzeitig die beste Mutter der Welt, die Mutter Gottes. „Das ist ein Ideal, dem keine Frau gerecht werden kann.“

Die fünf Protagonistinnen der Dokumentation (v.l.): Deborah Feldman, Rokudenashiko, Leyla Hussein, Vithika Yadav und Doris Wagner Foto: X-Verleih
Die fünf Protagonistinnen der Dokumentation (v.l.): Deborah Feldman, Rokudenashiko, Leyla Hussein, Vithika Yadav und Doris Wagner

Der Dokumentarfilm „Female Pleasure“ verleiht dieser wütenden Anklage gegen das kritisierte System eine Stimme. Alle fünf Frauen vor der Kamera sind Aktivistinnen: Deborah Feldman floh aus einer ultra-orthodoxen Gemeinde in den USA, Leyla Hussein wurde genital verstümmelt, die Inderin Vithika Yadav betreibt eine Sexualaufklärungsplattform, während die japanische Künstlerin Rokudenashiko Kunstwerke mit ihrer Vagina macht. Beim Zeigen dieser Kämpfe gegen die Unterdrückung der Frau und für eine freie und selbstbestimmte Sexualität neigt der Film zu einer sehr antireligiösen Haltung.

Die Amerikanerin Feldman, die in einer jüdischen Gemeinde in New York aufwuchs, bezeichnet ihre Hochzeitsnacht mit einem fremden Ehemann in der durch ihre Eltern arrangierten Ehe als eine Art Vergewaltigung. „In der Welt, in der ich gelebt habe, war ich als Frau eine Gefahr“, sagt sie. „Frauen in einer ultra-orthodoxen Gemeinschaft wachsen mit einem schwer gestörten Verhältnis zu ihrem Körper auf. Männer müssen sich in dieser Kultur vor der Unreinheit der Frau schützen“, führt Feldman weiter aus. Schon ihr Großvater habe erzählt, dass Frauen immer alles in Frage stellen wollen. Deswegen sollten sie auch keine Bücher lesen.

Mit Knete Grausamkeiten verdeutlichen

Leyla Hussein wurde in einer muslimischen Familie in Mogadischu geboren. Mit sieben Jahren ließ ihre Familie sie im Namen der Religion genital verstümmeln. „Als Frau verliert man durch die Beschneidung nicht seinen Körper, aber sein Vertrauen“, stellt sie fest. Es ist eine der stärksten Szenen der Dokumentation, als die erwachsene Leyla in London eine Gruppe von muslimischen jungen Männern einlädt, welche Beschneidung allgemein für ein sinnvolles Ritual halten.

Anhand eines überlebensgroßen Knetmodells bekommen sie jetzt von ihr demonstriert, welche unterschiedliche Arten der Genitalverstümmelung es gibt. Beim Anblick der herunterfallenden Knete können einige der Männer irgendwann vor eigenen körperlichen Schmerzen nicht mehr hinsehen. Es ist eine der wenigen Szenen in „Female Pleasure“, in denen nicht gepredigt, sondern schlicht etwas gezeigt wird. Wer kann angesichts solcher Grausamkeiten an seinen sozial erlernten Prinzipien festhalten?

Undifferenziert anklagend

Leider ist der Film selten so gelungen in der Umsetzung, was in Anbetracht des Themas zugegebenermaßen auch nicht leicht ist. So klagen fünf Frauen das patriarchale System der vergangenen Jahrtausende an. Es sind starke, bewegende Geschichten, die Beachtung finden sollten. Dass der Film der Regisseurin Barbara Miller dabei so religionsfeindlich geraten ist, ist der Stoßrichtung der Botschaft geschuldet.

Warum sollte die Filmemacherin zum Beispiel eine Nonne zeigen, die bei ihrem Dienst für Gott im Kloster völlig aufgeht? Das wäre kontraproduktiv für die vor der Produktion gefasste These, dass die Männerwelt immer noch Angst vor der Sexualität der Frau habe und sie deshalb in der Gesellschaft unterdrücken müsse. Die aktuelle Studie zu sexuellem Missbrauch in der Katholischen Kirche zeigt, dass kirchliche Machtstrukturen dringend hinterfragt werden müssen, die Verbrechen wie bei der interviewten Doris Wagner möglich machen. Umso wichtiger ist es aber auch, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass größtenteils Jungen zu den Opfern in der Katholischen Kirche zählen.

„Female Pleasure“ ist kein Werk, das differenzieren will. Es will anklagen. Und so passt es zur gegenwärtigen #MeToo-Bewegung, in der zuerst Aufschreie gesammelt und Erfahrungen geteilt wurden. Dazu haben diese Frauen jedes Recht. Ob das darüber hinaus einen Mehrwert für die Zuschauer bietet, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn der Film ist nicht an den schönen und guten Seiten von Glaube und Religion interessiert. Es ist ein einseitiger Thesenfilm, der nur genau mit den Menschen spricht, die seine Weltsicht stützen.

„Female Pleasure – Fünf Kulturen, fünf Frauen, eine Geschichte“, Regie: Barbara Miller, 97 Minuten, ab 12 Jahren freigegeben, am 8. November in den deutschen Kinos.

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