Studie: Strukturen der Katholischen Kirche fördern Missbrauch

Die Struktur der Katholischen Kirche begünstigt sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Das hat eine Studie offengelegt. Auch im Zölibat und der Haltung der Kirche zu Sexualität und Homosexualität erkennen die Forscher Ursachen.
Von PRO
Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, muss angesichts einer Studie über sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche neues Vertrauen in seine Kirche aufbauen

Der sexuelle Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker ist offenbar nicht nur auf das Fehlverhalten Einzelner zurückzuführen. Auch spezifische Strukturen innerhalb der Katholischen Kirche begünstigen sexuellen Missbrauch und erschweren dessen Prävention. Das ist das Ergebnis eine Studie unter dem Titel „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“, die die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Dienstag im Rahmen ihrer Vollversammlung in Fulda offiziell vorgestellt hat. Die Studie legt offen, dass 3.677 in der Regel männliche Minderjährige von katholischen Klerikern missbraucht worden sein sollen. Teile der Studie waren bereits vor der offiziellen Vorstellung bekannt geworden und hatten zu heftiger Kritik an der Kirche geführt.

„Spitze des Eisbergs“

Für die Studie hatten sieben Forscher von den Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen insgesamt 38.156 Hand- und Personalakten aus 27 Diözesen im Zeitraum zwischen 1946 und 2014 gesichtet und ausgewertet. Allerdings hatten die Wissenschaftler keinen Zugang zu den Originalakten. Dies hatten Kritiker der Studie im Vorfeld der Veröffentlichung bemängelt. Alle Archive und Dateien der Diözesen wurden nach Vorgabe der Forscher von Personal aus den Diözesen oder von diesen beauftragten Rechtsanwaltskanzleien durchgesehen. „Die ermittelten Zahlen und Quoten, das ist die Spitze des Eisbergs, dessen tatsächliche Größe wir nicht kennen“, sagte Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, dem die Leitung der Forschungsgruppe oblag. „Bei 1.670 Klerikern fanden sich Hinweise auf Beschuldigung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger“, erklärte Dreßing im Rahmen einer Pressekonferenz. Dies entspreche 4,4 Prozent aller Kleriker, von denen Akten ausgewertet werden konnten.

Der forensische Psychiater erklärte, dass jedoch „eine nicht bekannte Anzahl von Akten“ zu Beginn der Studie nicht mehr vorhanden oder nicht mehr vollständig gewesen sei. Aus zwei Diözesen lägen Hinweise vor, dass Akten teilweise vernichtet worden seien, die Mehrzahl der übrigen Diözesen habe dies zumindest nicht ausschließen wollen. „In einigen Fällen fanden die Rechercheteams in den Diözesen auch eindeutige Hinweise auf eine Manipulation der Personalakten“, erklärte Dreßing, der bei den vorgestellten Zahlen von einer „unteren Schätzgröße“ sprach. „Weniger war es sicher nicht.“ Der tatsächliche Wert liege aufgrund der Erkenntnisse aus der „Dunkelfeldforschung“ höher, „vermutlich in einem nicht unbeträchtlichen Maße“.

Risiken bestehen weiter

Das Risiko sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Strukturen der Katholischen Kirche besteht nach Ansicht der Forschungsgruppe „grundsätzlich fort“ und verlange konkrete Handlungen, um riskante Konstellationen entgegenzuwirken. Für eine wirksame Prävention sexuellen Missbrauchs müsse sich die Katholische Kirche mit dem Missbrauch durch klerikale Macht, dem problematischen Umgang mit Sexualität, insbesondere mit der Homosexualität, dem Zölibat und dem Sakrament der Beichte „mit dem Mut zur Veränderung“ auseinandersetzen.

Die Studie sei „keine Aufarbeitung“, betonte Dreßing. Die Aufarbeitung müsse in der Katholische Kirche selbst in Zusammenarbeit mit den Betroffenen „auf Augenhöhe“ erfolgen, erklärte er. Mit den Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch und der Rahmenordnung zur Prävention habe die Katholische Kirche erste richtige und wichtige Schritte eingeleitet. „Aber unsere Studienergebnisse legen auch nahe, es gab und gibt Strukturen, die sexuellen Missbrauch grundsätzlich ermöglichen.“

Kardinal Marx von Scham erfüllt

„Um der Institution willen haben wir weggeschaut, und um des Schutzes von Bischöfen und Priestern willen. Wir lassen Machtstrukturen zu und haben einen Klerikalismus gefördert, […] der Gewalt und Missbrauch begünstigt hat“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Reinhard Kardinal Marx, im Rahmen der Pressekonferenz. „Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen. Wer schuldig ist, muss bestraft werden“, sagte Marx und bezeichnete die Veröffentlichung der Studie als „einen wichtigen Tag in der Geschichte der Kirche in Deutschland, vielleicht auch einen Wendepunkt für vieles, das wir in der Zukunft beachten und tun wollen“.

All zu lange habe „die Kirche weggeschaut, vertuscht, geleugnet“. An die Opfer gerichtet erklärte Marx: „Für alles Versagen und für allen Schmerz muss ich, auch als Vorsitzender der Bischofskonferenz, um Entschuldigung bitten.“ Er schäme sich, auch „im Anbetracht der Wucht dessen, was in aller Nüchternheit vorgelegt“ worden sei. Die Katholische Kirche habe den Opfern zu wenig zugehört. Die Betroffenen hätten Anspruch auf Gerechtigkeit. Dieser Verantwortung könne die Kirche nicht ausweichen. Marx konstatierte: „Viele Menschen glauben uns nicht mehr.“ Dafür zeigte der Vorsitzende der DBK Verständnis. „Als Kirche wollen wir neues Vertrauen aufbauen“, erklärte er.

Von: Norbert Schäfer

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