Kommt ein dänischer Protestant nach Island…

Da können sich zwei nicht leiden: Der urige Isländer Ragnar einerseits, der unbeholfene evangelische Geistliche Lucas aus Dänemark auf der anderen Seite. Im Film „Godland“ prallen diese beiden Figuren symbolisch für zwei Kulturen aufeinander.
Von Jörn Schumacher
Die isländische Hauptstadt Reykjavik

„Godland“ feierte im Mai 2022 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere. Der Kinostart stockte über lange Zeit, erst in diesem Jahr wurde er in Kinos in Großbritannien und Australien gezeigt. Seit kurzem ist er auf der Streaming-Plattform Vudu zu sehen. Ob er jemals auch in deutschen Kinos zu sehen sein wird, ist ungewiss. Der vielfach mit internationalen Filmpreisen bedachte Film wurde als isländischer Beitrag für die Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für die 96. Oscar-Verleihung eingereicht, die am 10. März 2024 stattfindet.

Das Drama des isländischen Filmemachers Hlynur Pálmason fasst die schwierige Beziehung zwischen Dänen und Isländern gut zusammen. Der junge, unerfahrene Pastor Lucas wird von seiner protestantischen Staatskirche in Dänemark ausgesandt, um auf Island eine Kirche zu errichten. Mehr Schöngeist als Arbeitstier, schleppt Lucas mit der Hilfe von Einheimischen seine Ausrüstung auf Pferden über das unwirtliche Land.

Der Trailer des Films „Godland“

Sein einziger Freund wird der Übersetzer. Doch der stirbt bereits früh auf der Reise. Ragnar nennt den Besucher einen „dänischen Teufel“ und schlägt als erstes vor, dessen großes Holzkreuz entzwei zu sägen – damit es sich leichter transportieren lässt. Lucas‘ Gegenpart ist der ruppige Isländer Ragnar. Der ist zwar irgendwie interessiert am feingeistigen Lucas und an dessen Glauben, doch die beiden werden einfach nicht warm miteinander. Da bleibt vor allem das Sprachproblem: Lucas kann kein Isländisch, Ragnar kein Dänisch – und selbst wenn er es kann, er hasst diese Sprache. Und ein Mann Gottes wird Ragnar wohl auch nicht mehr.

Nichts ist unmöglich – auch der Bau einer Kirche auf Island nicht

Die Handlung spielt im späten 19. Jahrhundert. Island war seit 1380 dänische Provinz. Und so wie das isländische Arbeitstier Ragnar und der protestantisch-steife Lucas nicht miteinander können, so wurden auch diese beiden Länder nie so richtig warm miteinander. Die Dänen haben sich nie um Island gekümmert, den evangelisch-lutherischen Glauben machte Christian III. von Dänemark zwar bereits 1536 zur Staatsreligion, doch so richtig Fuß fassen konnte er in Island nicht. „Vanskabte Land“ lautet der dänische Filmtitel, und das Wort „vanskabte“ kann mit „missgebildet“ übersetzt werden.

Lucas bringt eine Menge Bücher, ein Kreuz und eine Fotokamera mit auf die Insel. Er hätte zu seinem Bestimmungsort bequemer direkt mit einem Schiff fahren können. Doch er bevorzugte eine beschwerliche Reise über Land, um die Insel besser kennenzulernen und Fotos zu machen. „In Island wurde eine Kiste mit sieben Plattenfotos gefunden“, heißt es zu Beginn des Films in einem eingeblendeten Text. „Diese wurden von einem dänischen Pastor aufgenommen. Dieser Film ist von diesen Fotos inspiriert“, heißt es. Doch der Regisseur hat da etwas geflunkert, diese Fotos haben nie existiert.

Island ist anders, klärt ein vorgesetzter Geistlicher Lucas vor dessen Abreise auf. Ein bisschen angewidert blicken die Dänen auf Island herab. Das Wetter ist dort immer schlecht, die Vulkane stinken, die Nächte sind im Sommer taghell, daher vergessen die etwas dummen Leute zu schlafen, weiß der Geistliche. Aber schließlich seien die Apostel auch allesamt „ein erbärmlicher, jämmerlicher, mitleiderregender Haufen einsamer Männer“ gewesen, und die seien ja offenbar erfolgreich gewesen. Also: „Nichts ist unmöglich.“ Auch der Bau einer Kirche auf Island nicht.

„So einen Mann wie Lucas brauchen wir hier nicht“

Doch Pastor Lucas kommt schnell ans Ende seiner Kräfte. Und so weit her ist es mit seiner Frömmigkeit, die er eigentlich den verrohten Isländern bringen will, auch nicht. Lucas macht sich selbst schuldig. Und unfähig, dem reuigen Ragnar auch nur ansatzweise den christlichen Glauben zu vermitteln, verzweifelt der Geistliche zudem an seiner eigenen Unfähigkeit, sich selbst zu vergeben.

„So einen Mann wie Lucas brauchen wir hier nicht“, lautet das harsche Urteil eines Dorfältesten, mit dessen Tochter Lucas dann auch noch ein Techtelmechtel beginnt. Es ist, als wolle der Film genau diese Botschaft ins Zentrum stellen: Wir Isländer haben Euch Dänen nie gebraucht, und Eure Religion könnt ihr auch behalten! Heilige sind sie im fernen Mutterland jedenfalls offenbar auch nicht.

Der auf Island geborene Filmemacher Pálmason studierte in Kopenhagen an der Hochschule für Film. Er ging jedoch nach zehn Jahren wieder zurück nach Island. Mit „Godland“ schuf er ein eindrückliches Drama, das mit seinem veralteten 4:3-Format und einer groben Körnung fast selbst wie altes Filmmaterial wirkt, das in einer Holzkiste an irgendeinem isländischen Strand gefunden wurde.

Über das grundsätzliche Sprachproblem zwischen dem Isländer Ragnar und dem Dänen Lucas spannt der Regisseur die Barriere zwischen beiden Kulturen und, ja: zwischen den Glaubenswelten. Er habe Dänisch nie leiden können, sagt Ragnar, dabei war es immer isländische Tradition, an jedem heiligen Sonntag Dänisch zu sprechen. Er habe sich einfach geweigert, diese Sprache zu benutzen. Ihm werde dabei übel.

Um den deutlichen Fingerzeig noch zu überbieten (es ist der Fantasie überlassen, um welchen Finger es sich dabei handelt), lässt Pálmason seinen Film mit der ersten Strophe des patriotischen dänischen Liedes „Dänemark, mit Fædreland“ (Dänemark, mein Vaterland) von Hans Christian Andersen enden. Die „inoffizielle Hymne Dänemarks“ wirkt wie triefende Ironie: Zu den Bildern dieses fernen, schroffen, aber wunderschönen Landes erklingt ein Männerchor: „In Dänemark wurde ich geboren, dort lebe ich. Du dänische Sprache, du bist die Stimme meiner Mutter, so süß, dass du mein Herz gesegnet hast.“ Aber die Isländer haben eben schon eine eigene Sprache. Und den „dänischen Teufel“ werden sie bald wieder los.

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