Wie weit darf man die Kirche tieferlegen?

Die Nordkirche will neue Wege bei Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Bestattungen erproben und sie auch Nichtmitgliedern anbieten. pro-Kolumnist Jürgen Mette freut sich über jede neue Idee der Landeskirchen, sich auf ihren Kernauftrag zu besinnen, aber der Versuch, die Hürden zur Kirche „tieferzulegen“, könnte das schleichende Desinteresse an kirchlichen Angeboten eher beschleunigen.
Von PRO
Viele Jahre leitete der Theologe Jürgen Mette die Stiftung Marburger Medien. Sein Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“ schaffte es 2013 auf die Spiegel-Bestsellerliste. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Seit ich im März und April dieses Jahres im Rollstuhl unterwegs war und mich seit Mai auf sogenannten Unterarmgehstützen fortbewege, habe ich ein Gespür für Hürden: Treppenstufen, Bordsteinkanten, Pflastersteine können zu unüberwindbaren Hürden werden. Hürden können mich aber auch vor Abgründen bewahren.

Ich habe jahrelang für „niederschwellige“ Veranstaltungsformate geworben, um suchenden Menschen den Weg zum Glauben zu erleichtern. Wir haben vor dem Ärgernis (griechisch: „scandalon“) des Kreuzes viele unnötige und vermeidbare „Ärgernisse“ errichtet: familienunfreundliche Gottesdienstzeiten, bandscheibenschädigendes Gestühl, zu viele mysteriöse Rituale, unzeitgemäße, unverständliche Predigtsprache, zu viel Salböl im Gebiss („Lasset uns beten!“). Das zu überwinden war nötig und richtig. Niederschwellige Evangelisation fordert uns ständig heraus, diese vermeidbaren Hürden abzusenken.

Die Nordkirche will sich dieser Aufgabe stellen! Die Kirchentüren sollen weit offen stehen. Gratulation! Wenn dann allerdings Kinder getauft werden, deren Eltern und Paten keinerlei Kirchenbezug oder Glaubensinteresse haben, wie können sie die als Säuglinge Getauften später im christlichen Glauben erziehen und prägen? Denn nur in solch einem „spirituellen Generationenvertrag“ ergibt Kindertaufe überhaupt einen Sinn. Darum praktizieren immer mehr Gemeinden die Taufe von Mündigen. Wer Unmündige tauft, sollte den Eltern und Paten Taufunterricht verordnen, sonst wird der biblische Auftrag „lehrt und tauft sie“ vernachlässigt und bald abgeschafft. Damit würde die Kirche ihre ureigenen Qualitätsstandards aufgeben.

Alleinstellungsmerkmal verspielt

Während die Freikirchen ihre Mitglieder zu Mitarbeit und finanzieller Mitverantwortung verbindlich in die Pflicht nehmen, scheinen volkskirchlich geprägte Gemeinden ihre Mitglieder dem eigenen Belieben zu überlassen. Die letzte Pflicht war bisher die Kirchensteuer, die die Volkskirche dem Volk abverlangt. So manch einer hat erst bei seiner ersten Gehaltsabrechnung erfahren, dass er katholisch oder evangelisch ist. Aber auch das scheint keine Voraussetzung mehr dafür zu sein, um kirchliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Keiner wird zur Teilnahme am kirchlichen Leben oder zum öffentlichen Zeugnis verpflichtet. Es wird grundsätzlich niemand ausgeschlossen.

Wenn die Taufeltern bekennende Atheisten und die Taufpaten Neo-Schamanen, Neo-Buddhisten, oder solche, „die Gott im Wald und auf der Heide suchen“, sein können, dann hat man die Kirche zwar tiefergelegt, aber auch ihr Alleinstellungsmerkmal verspielt. Gut, dass die Nordkirche dieses Experiment drei Jahre testen will, und dann entscheiden wird. Ich bin jedenfalls gespannt.

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