„Die“ christliche Haltung zur Seenotrettung gibt es nicht

Ob es ethisch und moralisch geboten ist, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten und illegal in Italien an Land zu bringen – darüber kann und darf man trefflich streiten. Aber nicht so, wie es in den vergangenen Tagen vielfach im Internet geschehen ist. Ein Kommentar von Stefanie Ramsperger
Von PRO
Die Rettungsaktionen der Organisation „Sea Watch“ polarisieren: Während die einen es für moralisch und menschlich geboten halten, schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten, sehen andere darin einen Anreiz für Schlepper, mehr Menschen über das Meer zu schicken

Oft lese ich die Inhalte von Kommentarspalten und die Diskussionen unter journalistischen Texten gern, weil sie manchmal Details beitragen, die bedenkenswert sind, und weil sie mir einen Einblick in die Gedankenwelt meiner Mitmenschen geben. Diese Woche war es ziemlich grausam, so manche Bemerkung unter dem vielkommentierten Thema um das Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 3“ und seine Kapitänin Carola Rackete zu lesen.

Rackete war am Wochenende mit der „Sea-Watch 3“ und 40 Migranten an Bord trotz Verbots der italienischen Regierung in den Hafen von Lampedusa eingefahren. Sie wurde festgenommen, der Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurde aber vom italienischen Gericht nicht bestätigt.

Die eine und die andere Seite

Zwei konträre Einschätzungen zu Racketes Aktion lassen sich festhalten: Die meisten finden, dass die Kapitänin richtig gehandelt hat. Menschen aus Politik, Kirche und Medien bezogen entsprechend Stellung dazu: Innenminister Horst Seehofer (CSU) äußerte: „Es steht außer Frage, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden müssen. Das ist eine christliche Pflicht.“ Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, teilte mit: „Menschen vor dem Ertrinken zu retten, hat immer Vorrang. Diejenigen, die das als einzige noch organisiert tun, dürfen nicht kriminalisiert werden.“ Die Medienschaffenden Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf starteten für Rackete eine Spendenaktion, die nach vier Tagen schon rund eine Million Euro eingebracht hatte. 35.000 Menschen spendeten dafür.

Die andere Position, die weniger öffentliche Anhänger hat, bringt die Neue Züricher Zeitung auf den Punkt: „Gäbe Italien dem deutschen moralischen Imperativ und Leuten wie Rackete einfach nach, dann wäre leicht absehbar, was geschähe. Die wohlmeinenden Retter auf dem Mittelmeer würden wieder im großen Stil zu den impliziten Partnern der libyschen Schlepper. Diese könnten wieder viel mehr Migranten auf seeuntüchtigen Booten aufs offene Meer hinausführen, im Wissen, dass die Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit von einem Rettungsschiff aufgenommen und nach Italien geführt würden.“ Menschen, die diese Position vertreten, sehen in Rackete eine Helfershelferin für Schlepperbanden. Denn ohne ihr Engagement würde das „Geschäftsmodell“ von Schleppern nicht funktionieren, Flüchtlinge in seeuntaugliche Schlauchbote mit wenig Kraftstoff zu setzen, und die Seenotretter dazu zu benutzen, sie an Land zu bringen.

Gegenteilige Meinungen zulassen – und sie nicht verdammen

Wer selbst die erste beschriebene Position vertritt, sollte sich dennoch die Argumente der anderen anhören. Und wer die zweite Position vertritt, wird hoffentlich nicht in Abrede stellen, dass Menschen in Lebensgefahr nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden dürfen. „Die“ christliche Haltung gibt es also nicht.

Definitiv unchristlich ist das, was in einigen Kommentarspalten durchaus respektabler Medien zum Thema stand. Dort werden „Gutmenschen“ beschimpf und verhöhnt, man unterstellt den aus Krisenregionen flüchtenden Afrikanern – völlig unsachgemäß – „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu sein, das deutsche Rechtssystem zu unterwandern und die Bundesrepublik zu einem „Scharia-Staat“ zu machen. Afrikaner werden pauschal als „amoralisch und verantwortungslos“ diffamiert, weil sie zu viele Kinder in die Welt setzten. Selbst der Gedanke, dass es kein Schaden sei, diese ersaufen zu lassen, wurde in einem Fall geäußert. Kontroverser Gedankenaustausch: ja. Unterschiedliche Meinungen haben: ja. Andere herabwürdigen und verächtlich machen: nein. Das biblische Gebot der Nächstenliebe ist eindeutig und der paulinische Hinweis, „Gutes“ zu tun, ist es ebenso. Wir dürfen darüber streiten, was das „Gute“ ist. Aber boshafte Kommentare gehören eindeutig nicht dazu.

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