Wenn Empörung federführend wird

pro-Kolumnist Jürgen Mette beobachtet die Diskussion um Bill Hybels und Willow Creek aufmerksam. Er hat einen Ratschlag für alle Beteiligten.
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

Wenn Empörung Feder-führend ist, sollte man den Stift aus der Hand legen. Wenn Verletzungen und Wut sich durch uns Autoren auftrumpfend verschriftlichen wollen, dann sollten wir uns der Tastatur fernhalten und uns jedem begierig hingehaltenem Mikrofon verweigern. Empörtes Schreiben hat immer eine Portion Scheinheiligkeit im Gepäck. Wer Schaum vor dem Mund hat, sollte sich lieber rasieren, statt öffentlich etwas zu kommentieren.

Wer sich empört, richtet sich auf und reckt sich empor. Die Empörten stehen auf der Empore und schauen distanziert herunter. Von der Empore aus kann man gut lamentieren über die, die in der Krypta zu Boden gegangen sind und rufen „Herr, sei mir Sünder gnädig!“

Wenn hingegen eine Erschütterung den Ton und den Stoff bestimmt, dann vollzieht sich christliche Publizistik in einem „heiligen“ Raum, der jede verbale Attacke im Keim erstickt. Wer unter euch ohne Fehlverhalten gegenüber dem anderen Geschlecht ist, der werfe den ersten Stein.

Seit Wochen steht Bill Hybels, der prägende Gründungspastor der weltbekannten Willow Creek Community Church, in der öffentlichen Kritik. Die mächtige Chicago Tribune hatte ein Fass aufgemacht, das seit 20 Jahren gärt. Erst vor zehn Wochen haben wir Bill Hybels als Vater der großen Willow-Creek-Kongresse in der ausverkauften Dortmunder Westfalen-Halle miterlebt. Ein vorbildlicher Leiter und Lehrer, der in über 100 Ländern für eine Kirche nach biblischen Prinzipien geworben hat. Ausgerechnet im letzten Jahr seines gesegneten Dienstes verlassen einige Frauen, allesamt ehemalige Mitarbeiterinnen von Hybels, nach 20 Jahren die Deckung und werfen ihm jetzt anzügliches Verhalten vor. In den Medien wurde daraus „sexuelles Fehlverhalten“. Es ging unter anderem um einen Kuss und eine Umarmung, die über das flüchtige Normalmaß hinausgegangen sei. Nun ist Hybels mit sofortiger Wirkung von allen Ämtern zurückgetreten. Er bezeichnet die Vorwürfe als Lügen, bekennt aber auch, dass er sich gerade gegenüber Frauen besser zurückhaltender benommen hätte.

Der Vorstand von Willow Creek Deutschland, das Wochenmagazin idea Spektrum, das Christliche Medienmagazin pro, das evangelische Portal evangelisch.de und der „Leiterblog“ von Lothar Krauss, einem Vorstandsmitglied von Willow Creek Deutschland, haben ein vorbildliches Beispiel geliefert, wie man diesen tragischen Vorgang seriös begleitet.

Was die Beteiligten beherzigen sollten

Der ganze Vorgang lässt mich ratlos zurück. Als Gründer dieser weltweit beachteten Megachurch ist Hybels schwer beschädigt, wie immer die Sache ausgehen wird. Die ihn verklagenden Frauen kommunizieren inzwischen jedes kleinste Detail vor der Weltöffentlichkeit online. War Bill Hybels möglicherweise in dieser kritischen Phase durch eine derartige Fülle von Macht und Einfluss und mit beispiellosem Erfolg zu einer Art Ikone geworden, die keiner mehr zu kritisieren wagte?

Dieser dramatische Vorgang bietet keinen Anlass für Empörung. Hier bleibt nur Raum für Erschütterung. Als Mose sich dem Zorn des Volkes gegenüber sah, ging er mit Aaron ins Zelt des Heiligtums und suchte das Angesicht Gottes.

Wenn das alle Beteiligten beherzigen würden, die Klägerinnen, der Angeklagte, die Gremien und Gutachter, dann könnte am Ende der Schaden in Gnade getaucht werden und allen Betroffenen zum Segen werden.

Von: Jürgen Mette

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