Von Lämmern, Leithammeln und schwarzen Schafen

Lieblose und gnadenlose Frömmigkeit gab es zu Zeiten Jesu und es gibt sie auch heute noch. Prangert deswegen keine schwarzen Schafe an, sondern geht auf sie zu. Suchend und liebevoll. Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

Als ich früher bei meinen Großeltern in Ferien war, durfte ich zwischen Oma und Opa auf der Besucherritze nächtigen. Und wenn ich vor lauter Schnarchen meiner großelterlichen Bettgenossen nicht schlafen konnte, dann fiel mein Blick immer auf dieses imposante grünlich schimmernde Schlafzimmerbild im Goldrahmen. Jesus, der gute Hirte.

Er sah so weich und schnulzig aus, so blass und milchgesichtig. Die Frisur schulterlang, wie einst der blondierte Schlagersänger Florian Silbereisen. Als wir später dann ganz bibeltreu die Haare bis auf die Schultern trugen, hat sich die Oma aufgeregt, obwohl sie jeden Abend vor dem Schlafengehen den lieben Heiland mit eben dieser Frisur vor Augen hatte. Und auf den Schultern trug er ein Lämmchen, wie aus der Reklame eines Feinwaschmittels. Die Landschaft dahinter blass-grün und tapsige Schäfchen soweit das Auge reichte. Und wenn abends mein Blick auf den Milch-und-Wolle-Heiland fiel, dann war alles wieder gut. Ich, das Schäfchen auf den Schultern des Herrn Jesus, war in Sicherheit.

Das echte, unverkitschte Leben

Inzwischen habe ich viele Studienreisen nach Israel geleitet und habe den Touristen immer wieder die Hirten gezeigt. Es sind raubeinige Halbstarke, kaum gebildet, wilde Gesellen, die da mit ihren Herden durch das karge Land ziehen. Schafe und Ziegen, soweit das Auge reicht. Zottelige Viecher. Ihr Blöken klingt nicht majestätisch, eher belämmert! Ein nützliches Tier, dankbar, anspruchslos, orientierungslos. Man zieht ihm das Fell über die Ohren und es beklagt sich nicht. Richtig zum Erbarmen sieht es aus, wenn der Friseur ganze Arbeit geleistet hat und die jämmerliche Kreatur splitternackt da steht, ganz ohne Strickjacke.

Zur Zeit Jesu war das ein alltägliches Bild und seit Davids Bestseller der Weltliteratur, Psalm 23, ein immer wieder gern verwendetes Motiv zum Thema Nachfolge. Ausgerechnet Schaf und Schäfer. Nicht Araberhengst und Feldherr. Nicht Schäferhund und Polizist. Hirte und Lamm. Die Schäfer waren asozial, weil sie nachts bei den Viechern geschlafen haben. Man male sich in der Nase aus, wie diese Zunft gedünstet hat.

Von Suchenden und schwarzen Schafen

Bevor Jesus das Gleichnis vom verlorenen Schaf erzählt hat, waren es die treuesten aller Frommen, die rechtschaffenen Wortwächter und Sündenfahnder, die sich über Jesus empört haben. Ihre Lebensberufung war die unermüdliche Mühe, den Tempel und alle Vorhöfe sauber zu halten. Sie lagen auf der Lauer, wenn Jesus unterwegs war und predigte. Immer auf der Suche nach schwarzen Schafen.

Die Scharfrichter der reinen Lehre suchen das schwarze Schaf und brandmarken ihm eins ins Fell, dass es sich nicht mehr unter die Menschen traut. Die Medienwelt lebt davon, dass irgendwer irgendwann sich daneben benimmt oder sich einfach nur irrt. Schon haben ihn die empörten Leithammel und Platzhirsche am Haken. Und die etikettieren eifrig ihre Schubladen: links, rechts, bibeltreu, nicht bibeltreu, charismatisch, fundamentalistisch und liberal. Eine Neuauflage des römischen „teilen und herrschen“.

Wer sich nicht mehr mit den Verlorenen beschäftigt, wer nicht mehr als „Freudenbote“ (Evangelist) unterwegs ist, der checkt die Herde nach schwarzen Schafen ab.

Das vehemente Urteil dieser lieblosen und gnadenlosen Frömmigkeit, produziert für jeden Komplizen, den es für sich gewinnt, mindestens einen Geschädigten, der für den Rest seines Lebens gegenüber dieser Art zu glauben geradezu immunisiert ist. „Weide meine Lämmer“ geht anders.

Von: Jürgen Mette

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