Kissler: Woher rührt unser Desinteresse?

Das Christentum ist die am stärksten drangsalierte Religion. Die Christen des Westens kümmert das kaum. Drei Gründe für ein moralisches und politisches Großversagen. Ein Gastkommentar von Alexander Kissler
Von PRO
Cicero-Autor Alexander Kissler kritisiert, dass Christenverfolgung den Westen kaum kümmert

Weihnachten rückt näher und damit die Versuchung, aus dem Christentum eine Krippenreligion zu machen, nah gebaut an Kitsch, Krempel, Kindlichkeit. Dabei ist das Christentum auch 2016 gewesen, was es immer sein wird: die Religion des Kreuzes. Christen sind die am stärksten drangsalierte religiöse Gruppe. In den Worten des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz: „Über 100 Millionen Christen werden weltweit diskriminiert, bedroht und verfolgt. Wir müssen entschieden gegen Christenverfolgung vorgehen, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten.“ Warum tun „wir“ es nicht? Warum löst Christenverfolgung keinen #Aufschrei aus, keinen Mahnmarsch, keine Solidaritätskundgebung? Die Antwort ist so einfach wie traurig: weil Christen verfolgt werden.

Das lethargische „Wir“, von dem hier die Rede ist, besteht größtenteils selbst aus Christen. Es sind getaufte Europäer, die sich einen schlanken Fuß machen, wenn beispielsweise in Ägypten Christen in einem Gottesdienst ermordet werden. So geschah es nun in Kairo, wo 25 Kopten am Ende der Göttlichen Liturgie der Tod bereitet wurde, Frauen und Kindern vor allem, vielleicht genozidal planvoll; ohne Frauen, ohne Kinder keine Zukunft. Rasch verebbte die Anteilnahme nach der Ermordung des katholischen Priesters Jacques Hamel, ebenfalls während eines Gottesdienstes, wo er an Christi Statt dessen Opfer nachvollzog, am 26. Juli letztmals und buchstäblich und märtyrerhaft. Die Reaktionsmuster gleichen sich: Auf Abscheu und Empörung folgen Appelle an die Toleranz und Bekenntnisse zur Unumkehrbarkeit friedlicher Koexistenz. Alles richtig, alles einigermaßen sinnlos.

Eine koptische Kirche in Kairo: 25 Menschen kamen bei einer Explosion nahe einer Kirche in der Stadt am Wochenende ums Leben. Der IS hat sich zu diesem Anschlag bekannt. Foto: Chris Brown, flickr | CC BY-SA 2.0 Generic
Eine koptische Kirche in Kairo: 25 Menschen kamen bei einer Explosion nahe einer Kirche in der Stadt am Wochenende ums Leben. Der IS hat sich zu diesem Anschlag bekannt.

Religionsskepsis und Schuldkomplex

Wie lautet nun der erste Grund des westlichen Desinteresses am Leid anderer Christen? Die Kopten in der Messe, der Priester am Altar: Sie wurden ermordet, weil sie ihren Glauben praktizierten. Sie waren identifizierbar als Menschen, die das Christentum zu ihrer persönlichen Sache gemacht hatten. Ein solches Naheverhältnis zur eigenen Religion erscheint den meisten Christen des Westens suspekt; als im besten Fall voraufgeklärt, im schlimmsten Fall unvernünftig. Deutschland ist das Land, dessen Bischöfe manchmal das Kreuz ablegen und in Predigten staatsnah politisieren. Was in vielen Ländern der Erde selbstverständlich ist, taugt hier zum Skandal: ein bekennendes Christentum. Die erste Wurzel des Desinteresses liegt in der religiösen Vergesslichkeit des Westens. Wir nehmen unser Herkommen nur ironisch.

Wie nah das Vergessen und das falsche Erinnern beieinander liegen, zeigt der zweite Grund. Christen wird, wie Sebastian Kurz zu Recht erwähnt, „insbesondere im Nahen und Mittleren Osten“ das Leben zur Hölle gemacht. Der Durchschnittseuropäer hat diese Regionen mental abgespeichert als islamische Kernlande, in denen der christliche Westen durch Kolonialismus und Ausbeutung enorme, ja ewige Schuld auf sich geladen habe. Was weniger als zur Hälfte stimmt, aber westlichen Selbsthass nährt. Dass in vielen Ländern des Halbmonds Christen die längere Geschichte haben, dass sie vertrieben werden sollen aus angestammten Landen, wiegt in dieser Perspektive weniger als die Legende vom christlichen Eindringling. Der eigenen Religion traut man alles zu und vornehmlich das Schlechte. Die zweite Wurzel des Desinteresses an der Christenverfolgung ist der westliche Schuldkomplex.

Christenverfolgung durch Muslime

Am offensichtlichsten jedoch ist der dritte, der zugleich am wenigsten thematisierte Grund. Es handelt sich mehrheitlich um Muslime, die Christen verfolgen. Dadurch wird die Tat nicht besser oder schlimmer als in jenen Fällen, in denen nationalistische Hindus oder atheistische Regimes diskriminieren – aber heikler und bedrängender. Sie rückt näher. Der „Krieg gegen Christen in der arabischen Welt“ wird, wie der Al Arabiya-Journalist Hisham Melhem beklagt, von Muslimen wie Christen öffentlich geleugnet. Warum? Aus Angst. Aus Angst, sich den Vorwurf des Rassismus zuzuziehen; aus Angst aber auch, sonst das Fernglas der Betrachtung gegen die heimische Brille eintauschen zu müssen. Muslime bilden eine wachsende Bevölkerungsgruppe im Herzen des Westens. Man erfuhr jüngst, „christliche Flüchtlinge aus dem Nahen Osten“ werden an deutschen Schulen von „muslimischen Mitflüchtlingen“ gemobbt – mit dem schlimmen Resultat, dass ein Gemobbter die Schule verlassen musste und die Mobber verblieben. In Österreich drängt derweil eine „Generation Haram“ auf islamische Verhaltens- und Bekleidungslehren unter Jugendlichen und etabliert „eine neue Verbotskultur mitten in Wien“. So kehren sich die Zeiten in ihr Gegenteil.

Von Christenverfolgung kann man da nicht reden, von der Ausbreitung muslimischen Dominanzgebarens schon. Auch das kommende Jahr dürfte indes im Zeichen der Christenverfolgung stehen. Da ist Leisetreterei aus Angst, aus einem Schuldkomplex, aus religiöser Vergesslichkeit die allerschlechteste Reaktion. Das Böse verschwindet nicht, wenn man ein Tuch darüber legt. Gefragt sind Klarheit, Wahrheit, Bekennermut. Zumindest das ließe sich 2017 von Martin Luther lernen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Cicero in der Kolumne „Kisslers Konter“.

Alexander Kissler

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