Raketenblitze, Kanonenschläge, Sirenengeheul und vermummte Gestalten mit Maschinengewehren. Die Stimmung auf den nebelverhangenen Höhen des Schweizer Jura ist geradezu gespenstisch. Im Hintergrund sind Worte der Bergpredigt zu hören: „Selig sind, die da geistlich arm sind … Sanftmütige … Friedensstifter.“
Es sind die ersten Szenen des Films „Kinder des Friedens“, der sich mit der Täufer-Bewegung befasst. Er nimmt die Zuschauer mit in eine Episode der Schweizer Geschichte. Separatisten im 20. Jahrhundert versuchen, den französischsprachigen Jura unabhängig von Bern zu machen. Mitten in diesem Konflikt befinden sich täuferische Gemeinden, die im 18. Jahrhundert in den Jura geflohen waren: deutschsprachig, auf Gewaltfreiheit ausgerichtet, immer etwas anders.
Protagonist des Films ist Jürgen Gerber. Aufgewachsen in der Täufergemeinde Mont-Tramelan leitet er die Zuschauer durch die Geschichte seiner Familie, in der sich Brennpunkte der Konflikte bündeln. Die Täufer gerieten ab den 1940ern zunehmend in den Strudel der jurassischen Bewegung. Denn in der Wahrnehmung der französischsprachigen Separatisten waren sie von Bern gesteuert und ein Mittel der Regierung, um die Region zu „germanisieren“.
Täufer setzten auf Selbstverteidigung
Der Druck und die Bedrohung für Leib und Leben durch persönliche Angriffe und Diffamierungen in der Presse wuchsen. Anfang der 1960er Jahre brannten täuferische Bauernhöfe und eine Schule. Die Anhänger des Täufertums fragten sich immer intensiver, wie sie sich zu Gewalt und Gegengewalt positionieren sollten. Tatsächlich bekannten sich Mitglieder der Gemeinden eindeutig zu Bern, hissten Berner Flaggen und brachten das Wappen Berns auf ihren Häusern an. Zudem setzten sie auf Selbstverteidigung und beteiligte sich an Straßenschlachten.
Diese Positionierung einiger Gemeindemitglieder blieb umstritten, denn sie leiteten in tiefgreifende Debatten über Identität und Zugehörigkeit. Einerseits führte schon die Grundkonstellation „Bern gegen den Jura“ die Täufer in ein Dilemma. Schließlich war Bern in der Erinnerung der Gemeinden verbunden mit Verfolgung und Flucht. Der Druck der Berner Obrigkeiten hatte die Täufer im frühen 18. Jahrhundert auf die Höhen des Jura getrieben. Und nun sollte man eindeutig auf Berner Seite stehen?
Andererseits sorgte die Sprachfrage für eine deutliche Distanz der Täufer zu den jurassischen Separatisten. Müssten sie nicht das „Deutsche“ verteidigen, denn der eigene Glaube war immer „deutsch“ gewesen? Sie waren überzeugt, dass Deutsch die „Sprache Gottes“ sei und in der die Bibel gelesen und unterrichtet wurde. Auf Deutsch hatten die Täufer alle wichtigen Schriften veröffentlicht. Ist es für Täufer überhaupt möglich, den Glauben „französisch“ zu leben? Ist man zuerst Täufer oder zuerst Berner?
Mennoniten wollen ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten
Die Episode im Jura steht stellvertretend für Grundfragen des christlichen Glaubens und die in der täuferischen Geschichte immer wieder aufbrechende Debatte, wie sie sich in der Gesellschaft positionieren. Gewaltfreiheit und die Ablehnung des Militärdienstes, aber auch die Weigerung, Eide zu leisten, und die Forderung, Staat und Kirche konsequent zu trennen, trugen seit dem 16. Jahrhundert wesentlich zur Verfolgung der Täufer bei.
Erst als sich ab dem 18. Jahrhundert die täuferischen Gemeinden, wie der Mennoniten, besser in die Gesellschaft integrierten, schwand die Bereitschaft, in Glaubensfragen eigene Wege zu gehen. Die Mennoniten wollten einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, nahmen an Kriegen teil und verzichteten auf grundsätzliche Konfrontation mit dem Staat, um ein Recht auf Wehrdienstverweigerung zu erstreiten. Im Ersten Weltkrieg und in der Zeit des Nationalsozialismus leisteten Mennoniten so gut wie keinen Widerstand. Erst nach 1945 lernten sie in Deutschland unter dem Einfluss der Mennoniten aus Nordamerika wieder die Gewaltfreiheit.
Diese Einstellung wurde für die Täufer immer wieder zur Gretchenfrage. Denn einerseits wurden Täufer gerade durch ihr bewusstes Eintreten für Gewaltfreiheit Opfer von Gewalt. Andererseits ließen veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen das Zeugnis der Gewaltfreiheit zu einer ambivalenten Angelegenheit werden. Das Spannungsfeld zwischen Absonderung von der „Welt“ und Integration in die Gesellschaft war groß. Was heißt es, sein Christsein konsequent zu leben und welche Bedeutung hat der christliche Glauben für die Gesellschaft?
„Der Wahnsinn kannte keine Grenzen“
„Kinder des Friedens“ greift die historischen Stränge auf und führt sie in die Gegenwart. Da ist unter anderem die Episode der Täufer in Münster. 1534 waren Täufer, die die politische Herrschaft in der Stadt inne hatten, bereit, sich mit Waffen gegen die Truppen des Bischofs zu verteidigen, der „seine“ Stadt zurückerobern wollte. Und da ist die Zeit des 2. Weltkriegs, die eindrücklich durch die Tagebücher von Jürgen Gerbers Großmutter und Mutter, Meta und Karin Bartel, erzählt wird.
Beide stammen aus Westpreußen, wo sich seit dem 16. Jahrhundert mennonitisches Leben etabliert hatte. Mennoniten waren wirtschaftlich erfolgreich und bildeten große Gemeinden, deren Welt jedoch 1945 jäh zusammenbrach: Vertreibung, Leid und Flucht über die Ostsee. Beide Tagebücher schildern, welch Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten die letzen Kriegsmonate, die vielleicht bevorstehende Aufgabe der „alten Heimat“ und die lebensgefährliche Flucht mit sich brachten: „Der Wahnsinn kannte keine Grenzen. Die Parole lautete: kämpfen bis zum letzten Mann,“ schreibt Meta Bartel.
Glauben, Gemeinschaft, Identität und politische Konflikte – dies sind die Zutaten zur Erzählung des Films. Sie laden ein sich damit auseinanderzusetzen, welche Rolle der christliche Glauben in der Gesellschaft spielt, und sie stellen die alles überspannende Frage, welchen Preis man bereit ist, für seinen Glauben zu zahlen. Wie reagieren Menschen, die gewaltfrei leben wollen, wenn sie Opfer von Gewalt werden? Welche Loyalitäten zählen?
Aufruf zur Wachsamkeit
„Kinder des Friedens“ thematisiert Denk- und Handlungsmuster, vor denen auch christliche Gemeinden nicht gefeit sind. Feindbilder ziehen ein Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien sowie Polarisierungen nach sich, bis hinein in die Familien: bis die Ersten schließlich zu den Waffen greifen. Was bleibt von „Kinder des Friedens“? Es sind immer wieder gehörte Sätze, die schnell bejaht werden, in ihrer alltäglichen Umsetzung jedoch Konsequenz und ein bewusstes Durchbrechen gesellschaftlicher Mechanismen erfordern: Gewalt provoziert Gegengewalt, und jeder Konflikt wird verschlimmert, wenn der „Andere“ verteufelt wird.
Es bleibt die traurige Erkenntnis, dass es immer einfacher ist, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken als in Grauzonen. Doch auch die Erkenntnis bleibt, dass Gewaltfreiheit niemandem aufoktroyiert werden kann, sondern aus Überzeugung gelebt werden muss. Und es bleibt der Eindruck, dass ein starkes Gemeinschaftsgefühl ein Pfund war, mit dem täuferische Gemeinden wuchern konnten.
Ein Auftrag für die Gegenwart und die Zukunft, verbunden mit dem Aufruf wachsam zu sein, wenn Denk- und Handlungsmuster entstehen, die selbst starke Gemeinschaften auseinanderreißen können. Einen bewussten Schritt hat 2020 die Mennonitengemeinde Tavannes gesetzt und ein ehemaliges Militärgelände gekauft, um daraus ein Gemeindezentrum zu machen. Französisch ist die Hauptsprache, was dem Glaubensleben offenkundig nicht geschadet hat.
„Kinder des Friedens“ erscheint momentan nicht allzu zeitgemäß, aber ist gerade deshalb äußerst zeitgemäß. Wie und mit welcher Botschaft sind Christen in der Gesellschaft sichtbar? Ist es möglich, konsequent nach der Bergpredigt zu leben, und schafft es eine Gesellschaft, Menschen zu integrieren, die ein Leben nach den Prämissen der Bergpredigt führen?„Wo kämen wir hin(!), wenn alle so wären? … ja, wo kämen(!) wir hin, wenn alle so wären?“ Mit diesen nachdenklichen und nachdenkenswerten Sätzen schließt des mennonitische Theologen Lukas Amstutz den Film.

Dr. Astrid von Schlachta arbeitet für die Mennonitische Forschungsstelle sowie an der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen der Universität Hamburg.