Kauder über Merkel: „Gott sei Dank hatten wir sie!“

Der Unionspolitiker Volker Kauder scheidet nach mehr als drei Jahrzehnten im Herbst aus dem Deutschen Bundestag aus. Als Christ hat er sich nicht nur für die Belange verfolgter Christen im Ausland engagiert, sondern für die Durchsetzung der Religionsfreiheit weltweit. Daran wird sich nichts ändern, sagt er im PRO-Interview.
Von Norbert Schäfer



PRO: Herr Kauder, hat sich das Engagement als Politiker gelohnt?

Volker Kauder: Eindeutig ja. Ich bin unglaublich vielen Menschen begegnet, denen ich sonst nicht begegnet wäre, und hatte für meine Überzeugungen eine öffentliche Bühne. Ich glaube, dass ich dazu beitragen konnte, unserem Land in schwierigen Situationen einen guten Weg zu zeigen.

Sie waren von 2005 bis 2018 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und standen damit in der Kritik von Opposition und Medien.

Auch aus der eigenen Fraktion gab es immer wieder Kritik.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Kritik gehört zu einem Politikerleben dazu. Man muss sich fragen: Ist die Kritik berechtigt, oder ist sie nur politisch? Vor allem, wenn die Kritik aus der Opposition kommt. Wenn sie berechtigt ist, muss man daraus Konsequenzen ziehen. Wenn nicht, muss man es hinnehmen und widersprechen. Wenn persönliche Angriffe kamen, habe ich mir sehr genau überlegt, wie ich reagiere. Das eine oder andere Mal habe ich das dann öffentlich im Deutschen Bundestag angesprochen und mich an die entsprechende Person gewandt. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt. Das Ganze kann man, wie ich finde, besser verarbeiten, wenn man weiß, fest in Gottes Hand zu sein. Das ist das Entscheidende.

Gab es trotz unterschiedlicher politischer Meinungen auch persönliche Wertschätzung?

Das habe ich regelmäßig erlebt. Trotz des demokratischen Wettbewerbs und unterschiedlichen Überzeugungen blieb genug Raum sich auch persönlich zu schätzen. Peter Struck von der SPD und ich zum Beispiel haben uns zunächst persönlich kaum gekannt im Bundestag. Als wir beide in der ersten Großen Koalition nach der Wiedervereinigung Vorsitzende unserer Fraktionen wurden, wurde aus unserer Zusammenarbeit eine wirklich wunderbare Freundschaft, die ich nicht missen möchte, wenngleich Peter Struck viel zu früh gestorben ist. Diese Freundschaft ist aus dem politischen Amt heraus entstanden. Wir wussten, dass es in dieser Koalition auf uns beide ankommt.

Welche Unions-Granden haben Sie geprägt?

Als junger Politiker haben mich die großen Führungsfiguren Konrad Adenauer und Ludwig Erhard geprägt. Später dann vor allem Erwin Teufel, der Vorsitzender der CDU in Südbaden war und nachher auch Fraktionsvorsitzender im Landtag und Ministerpräsident. Mit seiner Haltung und seiner Klarheit hat er mich sehr geprägt.

An welches Ereignis Ihrer Politikerkarriere erinnern Sie sich besonders gerne?

Die Einheit Deutschlands war neben dem christlichen Menschenbild ein ganz zentraler Punkt, um mich politisch zu engagieren. Es gibt keine Zufälle: An dem Abend, als mein Vorgänger im Wahlkreis erklärte, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, und mich mein Kreisverband aufforderte zu kandidieren, kommt die Wirtin in die Sitzung herein mit der Botschaft: ‚Kommt mal schnell in die Gaststube zum Fernseher – die Mauer ist auf.‘“

An welchen Wegmarken Ihrer politischen Karriere würden Sie heute anders entscheiden?

In den großen, bedeutenden und wichtigen Fragen würde ich mich auch heute wieder so entscheiden. Da sehe ich keinen Grund, mich zu korrigieren. Ich hätte vielleicht mehr dazu beitragen müssen, 2015, als die Flüchtlinge von Österreich über die Grenze nach Deutschland kamen, besser zu erklären, dass es ein einmaliger Vorgang und keine neue Flüchtlingspolitik ist. Die Entscheidung von Angela Merkel, Flüchtlinge aufzunehmen, war zu 100 Prozent richtig. Alles andere hätte uns in Deutschland und auch in Europa beschädigt. Und es hätte unseren Anspruch, Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu machen, erheblich getroffen.

Sie sprechen Angela Merkel an. Sie haben für die Bundeskanzlerin die Rückendeckung durch die CDU/CSU-Fraktion im Parlament auf die Beine gestellt – auch bei haarigen Entscheidungen. Wie sehr hat es Sie geschmerzt, dass die Kanzlerin zunehmend auf Kritik aus den eigenen Reihen gestoßen ist?

Angela Merkel hat immer wieder mit Kritik aus den eigenen Reihen leben müssen. Wenn ich an die Rettungspolitik für den Euro denke: Als es 2015 im Bundestag darum ging, neue Verhandlungen über Finanzhilfen für Griechenland aufzunehmen, bekam die Kanzlerin bei der Abstimmung aus der eigenen Fraktion 60 Nein-Stimmen. Das war keine schöne Sache – das kann ich Ihnen versichern. Angela Merkel hat aber wieder eine hohe Zustimmung. Sie kann auf eine erfolgreiche Politik zurückblicken und hat unser Land in schwierigen Situationen – ich denke nicht nur an die Finanz- und Wirtschaftskrise – wirklich aus der Krise herausgeführt. Wir können sagen: Gott sei Dank hatten wir sie.

Aus Ihrem christlichen Glauben haben Sie nie einen Hehl gemacht. Ist der in der Politik an Grenzen gestoßen?

An die Grenze gestoßen ist der Glaube nie. Weil ich weiß, dass es Situationen gibt, die ich zwar im Augenblick nicht verstehen kann, für die aber Gott schon eine Erklärung hat. Regelrecht mitgenommen hat mich immer wieder die bittere Erfahrung der Verfolgung von Christen in der ganzen Welt. Wenn ich beispielsweise unmittelbar nach schweren Anschlägen auf koptische Kirchen in Ägypten vor Ort war. Oder wenn ich Berichte hörte von Menschen, auch von Christen, die gefoltert worden sind wegen ihres Glaubens. Da habe ich mich immer wieder gefragt: Herr Jesus Christus, warum? Beeindruckt hat mich vor allem, dass Christen in Verfolgungssituationen, wie etwa die Kopten in Ägypten, gesagt haben: „Wir beten nicht: ‚Herr, nimmt dieses Übel von uns.‘ Sondern: ‚Herr stärke unseren Glauben‘“.

Sie haben sich vehement für Religionsfreiheit eingesetzt. Wie wurde das im Parlament aufgenommen?

Auch diejenigen im Parlament, die mit Glaube wenig anfangen können, haben mich immer wieder in diesem Thema bestärkt. Es war für mich wichtig, nicht nur die verfolgten Christen anzusprechen, sondern für Religionsfreiheit grundsätzlich einzutreten. Wo es keine Religionsfreiheit gibt, gibt es auch sonst keine Freiheit. Deshalb müssen wir als Christen in besonderer Weise für Religionsfreiheit eintreten. Für dieses Anliegen habe ich immer Verständnis im Deutschen Bundestag und in der Regierung erhalten.

Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, damit die Religionen zu einem gedeihlichen Miteinander finden?

Zunächst einmal gilt: Jede Religion hat einen Wahrheitsanspruch. Das bedeutet, dass man Respekt vor dem jeweils anderen haben muss und religiöse Symbole und Zeichen nicht verächtlich macht. Da haben wir im Christentum schon die richtigen Formulierungen und den richtigen Umgang. Ich wünsche mir, dass wir als Christen, die selber Wert darauf legen, dass unsere Symbole geachtet werden, uns solidarisch zu Wort melden, wenn beispielsweise Symbole aus dem Islam verbal attackiert werden – auch wenn das in einer freiheitlichen Demokratie unter dem Begriff der Meinungsfreiheit zulässig ist. Mit dem, was einem anderen heilig ist, darf man kein Schindluder treiben. Dann: Jede Religion muss etwas dafür tun, dass nicht in ihrem Namen andere Terror ausüben können und den Eindruck erwecken, es sei Bestandteil der Religion. Da erwarte ich von den muslimischen Führern mehr Einsatz gegen den islamistischen Terror. Denn wir haben in Deutschland als religiösen Terror fast ausschließlich islamistisch motivierten.

Sie haben öfter dafür plädiert, dass sich die Kirchen aus der Politik heraushalten. Wo sehen Sie die Aufgabe der Kirchen im 21. Jahrhundert für unsere Gesellschaft?

Ich habe in grundsätzlichen Fragen immer den Rat der beiden großen Konfessionen, aber auch anderer Religionen, erbeten und auch gesucht. Beim Lebensschutz beispielsweise, am Anfang und am Ende eines Lebens, ebenso bei der Einschätzung sozialer Fragen. Denn das Eintreten für Menschen und Hilfe in schwieriger Situation ist ja auch eine Aufgabe der Kirche. Aber wenn die Kirche sich auf allgemeine politische Fragen eingelassen hat, wie die Kernenergie, war ich schon der Meinung, dass allein die Tatsache, dass man Kirche ist, den Sachverstand gegenüber Politikern nicht erhöht. Ich habe nie kritisiert, dass die Kirchen sich entsprechend äußern. Aber die erste Aufgabe unserer christlichen Kirchen ist die Verkündigung des Wortes Gottes.

Was noch?

Glaube heißt Mut machen – und dass dazu Mission gehört, ist klar. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Deutschland inzwischen ein Missionsland geworden ist. Nicht nur im Osten. Wenn ich sehe, wie viele Menschen aus den Kirchen austreten, kann ich nur sagen: Der Satz dürfte nicht nur lauten „Geht hinaus in alle Welt“, sondern „Missioniert im eigenen Land. Tretet für euren Glauben und seine Werte ein.“ Wenn die christlichen Kirchen zu einem bestimmten Thema eine Auffassung haben, nehmen wir die Abtreibung, und dafür keine Mehrheit in der Gesellschaft gewinnen können, kann man das doch von der Politik nicht erwarten. Die Wertorientierung in einer Gesellschaft und der Wettbewerb darum hängen auch mit einer Zusammenarbeit von Kirche und Politik zusammen. Ich sag es mal provozierend: Wenn die Kirche keine Christen hervorbringt, haben wir in der CDU auch bald keine mehr.

Was steht für den 26. September ab 18 Uhr bei Ihnen im Terminkalender?

Da kommt die erste Prognose über die Bundestagswahl. Das verfolge ich natürlich mit großem Interesse in meinem Wahlkreis, weil ich hoffe und wünsche, dass meine Nachfolgerin ein so gutes Ergebnis erzielt, dass sie den Wahlkreis erringt, wovon ich überzeugt bin.

Legt Volker Kauder am 27. September morgens die Beine hoch und tut nichts? Wie geht es für Sie weiter?

Ich werde mich nach diesen langen Jahren schon etwas zurücknehmen und ich glaube auch nicht, dass ich unbedingt jede Woche regelmäßig etwas unternehmen muss. Aber ich werde natürlich weiter aktiv sein beim Thema Religionsfreiheit und verfolgte Christen – Vorträge halten, Diskussionen führen und berichten. Ich habe beispielsweise vor, in den Irak zu reisen, wo Christen und Jesiden eine sehr schwere Situation haben. Ich möchte auch wieder nach Ägypten, um die Kopten zu besuchen. Ein besonders schwieriges Thema ist China. Auch dorthin habe ich vor, Reisen zu unternehmen. Und dann werde ich mit meiner Frau ein bisschen unser schönes Deutschland bereisen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

5 Antworten

  1. Hut ab, für seinem Einsatz für verfolgte Christen ! “ Hut auf“ für die Huldigung seiner Chefin !

    0
    0
  2. Es ist auffällig, dass, wenn – vermutlich ältere weiße – Männer ihre Verachtung Angela Merkels zum Ausdruck bringen, diese völlig auf Argumente verzichten. Vermutlich spielt da eine Mischung aus Misogynie und Verlustängsten ein Rolle. Wenn dann dieselben Männer ihre Bewunderung für Orban u.ä. Kaliber zum Ausdruck bringen, weiß man, dass da geballter analytischer Verstand am Werk sein muss!
    Vermutlich werden wir den uneitlen, rationalen und bedachten Politikstil Frau Merkels noch vermissen… Was die Männerwelt an Putins, Bolsonaros, Orbans, Trumps, Erdogans u.a.m. zu bieten hat, ist demgegenüber primitiv testosteronlastig und gefährlich….

    0
    0
  3. Herr Kauders Einsatz für die verfolgten Christen weltweit verdient in der Tat Anerkennung.
    Hier fällt allerdings auf, wie wenig selbstkritisch er bei vielen Fragen im Rückblick ist. Dass sein Fazit der Ära Merkel uneingeschränkt positiv ausfällt, ist sicher nicht verwunderlich, fungierte er doch lange Jahre als deren nicht gerade zimperlicher Fraktionschef. Dass man Gott „dankbar“ sein könne, dass „wir“ sie hatten, ist allerdings eine saftige Übertreibung pietistischen Stils.
    Es gibt genug kompetente Stimmen, die die Ära Merkel deutlich kritischer sehen; und sie mehren sich.
    Wenig aussagekräftig erscheint mir zudem, wenn er von „unsere(m) Anspruch, Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu machen“, spricht. Diese Floskel war immer schon sehr fragwürdig!

    0
    0
  4. „Schaum vor dem Mund“ – keinesfalls, aber im Gegsatz zu manch anderem mit konsistenter Urteilsfähigkeit! Ihr Hormonhaushalt ist mir ehrlich gesagt reichlich egal, allerdings wird Politik mit Männlichkeitswahn von den von mir genannten betrieben, um Ihren Verständnisblockaden ein wenig aufzuhelfen!
    MfG

    0
    0

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen