Journalist kritisiert zu unkritische Corona-Berichterstattung

Der Journalismus hat die Politik verteidigt, statt sie in der Corona-Krise zu kritisieren, sagt Andreas Rosenfelder. Der Ressortleiter Feuilleton bei der Welt wünscht sich von den Medien wieder mehr „kritische Energie“ zum Schutz der Demokratie.
Von Norbert Schäfer
Unter anderem die „Hauptstadtmedien“ (Archivbild zeigt Medienschaffende vor dem Kanzleramt) hätten die Corona-Politik der Regierung gegen Angriffe und Kritik abgeschirmt, sagt der Journalist Andreas Rosenfelder

Der Journalist Andreas Rosenfelder hat Teilen der Medien eine zu unkritische Corona-Berichterstattung attestiert. In der Zweckbeziehung von Politik und Öffentlichkeit sieht der Journalist eine Gefahr für den Journalismus und die Demokratie. In seinem Artikel vom Dienstag schreibt der Ressortleiter Feuilleton bei der Welt: „Unser System – das ist die von den Populisten verkannte Wahrheit – basiert nämlich seit der Aufklärung auf dem kritischen Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit. Eine Symbiose zerstört es hingegen.“

Hintergrund für den Kommentar unter dem Titel „Die Regierungssprecher“ ist ein Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel über Defizite und Fehler von EU und Bundesregierung bei der Impfstoffbeschaffung. Mit der kritischen Berichterstattung über das Regierungshandeln in der Corona-Krise hat der Spiegel seinerseits eine Lawine der Kritik von Journalisten am eigenen Artikel losgetreten. Der Welt-Journalist stellt sich mit seinem Beitrag schützend vor die Berufskollegen und würdigt deren Bereitschaft, Kritik an der Regierung zu üben.

Journalismus „schützende Wagenburg“ der Regierung

Rosenfelder bemängelt nun, dass sich Medienvertreter „reihenweise in die Bresche“ geworfen hätten, um die Verantwortlichen zu schützen. Mit seinem Urteil zielt Rosenfelder vor allem auf Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien, die Kritik an der Regierung und politisch Verantwortlichen als „Blame Game“ bezeichneten. „Verfolgt man die mediale Diskussion über die Versäumnisse der Bundesregierung bei der Organisation des Corona-Impfstoffs, so kann man den Eindruck bekommen, nicht die Politik, sondern die Kritik daran sei der eigentliche Skandal“, schreibt Rosenfelder und wirft Journalisten vor, die Fehler der Verantwortlichen herunterzuspielen. „Die einen decken etwas auf, die anderen schütten es wieder zu.“ Dies sei jedoch nicht die Aufgabe von Journalismus. Der Versuch, „Vertrauen in die Politik zu retten“, beschädige das Vertrauen in den Journalismus und erzeuge „ein Meinungskonglomerat aus Politik und Medien, das jeden Kritiker der ‚Systemmedien‘ in seinen krudesten Fantasien“ bestätige.

Der Umgang etlicher Journalisten „mit den Versäumnissen beim Impfen“ ist nach Rosenfelders Ansicht beispielgebend für die Funktion der Medien in der Corona-Krise. „Noch nie zuvor, auch in der Flüchtlingskrise nicht, hat sich die deutsche Medienlandschaft so dicht um das Bundeskanzleramt geschart – diesmal allerdings nicht, um es gnadenlos zu belagern, […], sondern im Gegenteil – als schützende Wagenburg“, schreibt der Feuilletonist.

Statt die Regierung zu kritisieren, hätten die „Hauptstadtmedien“ die Corona-Politik der Regierung gegen Angriffe abgeschirmt und stattdessen „die ‚unvernünftigen‘ Bürger“ gegeißelt. Wichtige Fragen an die Politik seien in der Krise liegen geblieben oder erst spät und dann „pflichtschuldig abgehandelt“ worden.

Journalismus hat „eigenen Wesenskern beschädigt“

Rosenfelder benennt in dem Artikel „ergebnisoffene Neugier“, „prinzipielles Misstrauen und Widerspruchsgeist“ als „alte Tugenden des Journalismus“, die jedoch die „Medienlandschaft im von der Krise gelähmten Deutschland“ nicht auszeichneten. Dies gilt seiner Ansicht nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sondern auch für Zeitungsverlage. „Der Leser ist schuld, wenn er die filigran im Programm versteckte Kritik nicht erkennt“, schreibt Rosenfelder und stellt fest, dass „die fragenden Stimmen verhallten in jener großen Kathedrale der Angst, die in der Krise von Politik und Medien gemeinsam errichtet wurde“.

Seiner Meinung nach habe der Journalismus mit der Berichterstattung über Corona „seinen eigenen Wesenskern beschädigt“, indem er aufklärerische Werte umgewertet habe. Das „verlorene Publikum“ habe sich stattdessen bei „alternativen“ Medien bedient und bleibt seiner Einschätzung zufolge „auf Dauer verloren“. Der Verlust der „kritischen Energie“ lässt sich nach Rosenfelders Einschätzung bis zur Flüchtlingskrise zurückverfolgen. Auf den „Frontalangriff“ der Populisten und deren Vorwurf, „Lügenpresse“ zu sein, hätten die Medien falsch reagiert. „Statt den richtigen Impuls aufzunehmen, den auch die falscheste Kritik für den klugen Interpreten bereithält, stellten sie sich verteidigend vor das politische System, als dessen Repräsentanten sie vom Mob auf der Straße angesprochen wurden – und verhielten sich so, als träfe der Vorwurf zu“, konstatiert Rosenfelder.

Von: Norbert Schäfer

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