Rezension

Jesus-Party auf Berliner Flughafen

Die Komische Oper Berlin führt „Jesus Christ Superstar“ auf. Mit über 350 Darstellern, viel Rockmusik und jeder Menge Glitzer, Lack und Leder. Wird das der Passion gerecht?
Von Anna Lutz

Die Kreuzigung ist ein Spektakel. Zumindest an diesem Sonntag auf dem Flughafen Tempelhof. 350 Schauspieler umtanzen ein leuchtendes Kreuz, das über einem Laufsteg schwebt, der als Bühne dient. Im Hintergrund stehen dutzende Musiker auf einer eigens installierten Ebene, jene mit den rockigen Instrumenten, E-Gitarre, Keyboard, Schlagzeug, tragen bunte Irokesenperücken und sehen auch sonst ziemlich punkig aus. Dann erscheint Jesus selbst: Lange rosa Haare, ein überdimensionales pinkes Herz auf der Brust, ein goldener Mantel, darunter ein durchsichtiges Hemd. Fanfaren erklingen. Die Menge trägt ihn zum Kreuz, dem Ort, wo er sterben soll. Um ihn dort zurückzulassen. Es verschwinden Mantel und kitschiger Firlefanz. Zurück bleibt Jesus. Fast nackt. Allein. Durstig. Nach Gott rufend. 

Seit dem 19. September zeigt die Komische Oper Berlin das weltbekannte Musical „Jesus Christ Superstar“. Der Inhalt der 1970 zunächst als LP erschienenen Rockoper ist von jeher umstritten. Denn sie zeigt Jesus Christus brutal menschlich. Der zum Superstar aufgestiegene Zimmermann leidet unter seinem Ruhm, auch wenn er die Massen nach wie vor zu begeistern vermag. Dann sind da die wenig folgsamen Jünger. Sie wollen nicht mit ihm wach bleiben und beten, einer, nämlich Judas, hinterfragt gar seine politische Haltung und niemand, wirklich niemand von seinen Nachfolgern versteht, was er durchmachen muss. Niemand außer Maria Magdalena, die den Heiland des Nachts in den Schlaf wiegt.

Passion ohne Erlösung

Kaum kann es verwundern, dass „Jesus Christ Superstar“ seit einem halben Jahrhundert die Gemüter erhitzt. Dabei ist sich die Christenheit uneinig, was sie nun von dem Stück halten soll. Die einen argumentieren, dieser menschliche Jesus sei zwar überzeichnet, aber doch auch biblisch, denn an einen Gott, der Mensch wurde, glauben sie. Die anderen kritisieren die schrillen Töne, die angedeutete sexuelle Beziehung des Messias zu Maria Magdalena und die Überbetonung der Judas-Figur. Im Stück hat dieser nämlich nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort. Außerdem endet die Rockoper mit der Kreuzigung. Jesus steht nicht von den Toten auf. Eine Passion ohne Erlösung. 

Foto: Jan Windszus Photography
Maria Magdalena (Ilay Bal Arslan) im roten Kleid vor den Rockmusikern: Beide sind zentral für das Stück „Jesus Christ Superstar“

Das alles ist nun freilich nicht neu. Und auch in Berlin-Tempelhof, im Hangar 4 des Flughafengeländes, wo die Komische Oper seit 2023 Aufführungen zeigt, ist wenig wirklich anstößig oder provokant. Zumindest nicht für jene, die Webbers und Rices Stück kennen. Man darf sich zwar wundern über die in Lack und Leder gekleideten Pharisäer, allen voran Kajaphas (Daniel Dodd-Ellis), die sich wie seltsam teuflische Dragqueens räkeln und die Hüften kreisen lassen. Warum sich Regisseur Andreas Homoki dafür entschieden hat, ausgerechnet die Frömmsten der Frommen als queere Lederfans zu inszenieren, müsste man ihn fragen.

Dasselbe gilt für Pontius Pilatus (Kevin Taylor), der im römisch-militärischen Glitzeroutfit und mit sehr viel Lidschatten auf den Augen über die Bühne schreitet. Sinn ergib das alles lediglich bei der Figur des Herodes (Jörn-Felix Alt), der mit Fönfrisur, lila Umhang und Lendenschurz über der Lederhose bekleidet sowie allerhand wilder Gestik und Mimik an eine Mischung aus Freddie Mercury und Zirkusdirektor erinnert. Das passt, denn Webber und Rice erkannten in der historischen Figur ganz nah am biblischen Vorbild einen Mann, der sich lieber um das eigene exzentrische Wohl kümmert als um diesen seltsamen Jesus Christus – und ihn wieder an Pilatus zurückverweist, der schließlich das jüdische Volk entscheiden lässt, was mit ihm geschehen soll. 

Ein Jesus der hohen Töne

Und dann ist da noch Jesus (Ryan Vona). Ein Jesus, der in dieser Bühnenversion mit beachtlicher Stimmrange gesegnet ist. Darsteller Vona leidet sich durch 90 Minuten und er trifft das hohe G im Lied „Gethsemane“ nicht nur problemlos, sondern man spürt ihm sein Elend auch von Herzen ab, wenn er Gott anfleht: „I only want to say, if there is a way, take this cup away from me, ‘cause I don’t want to taste this poison.“ („Ich will nur sagen, wenn es einen Weg gibt, dann nimm diesen Kelch von mir, denn ich will dieses Gift nicht trinken.“) Und wenn er schließlich brüllt: „Warum muss ich sterben?“: „Why must I die?!“

Foto: Jan Windszus Photography
Ryan Vona als Jesus Christus, der von seinen Anhängern geliebt wird, wie ein Superstar. Bevor sie ihn schließlich kreuzigen lassen wollen.

Zwei Momente sind zentral in diesem Stück und auch in der Berliner Inszenierung. Jesus im Garten Gethsemane zum einen. Dieses Leid, das durchaus der biblischen Vorlage entspricht, ist herzzerreißend – und müsste auch jene berühren, die Kirchen und Gottesdienste nicht besuchen. Das Leiden für und zugleich an Gott ist derart kraftvoll, dass es zu Tränen rühren kann. Zum anderen: Der Sinneswandel der Massen. Zwischen dem Hosianna (oder vom „Ho Sanna/Hey Sanna/Sanna Sanna Ho“ wie die Darsteller im Stück singen) und dem „Kreuzigt ihn!“ liegen hier rund 80 Minuten. Der Held, den sie auf Händen getragen haben, landet am Ende im Staub, oder besser, auf dem Boden des Hangars. Geschubst und verachtet. Und stirbt allein, sogar von fast allen Jüngern verlassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sich Homolki für die wahnsinnige Zahl von 350 Komparsen, die zudem tanzen und singen, entschieden hat. Noch gewitzter wäre es gewesen, das Publikum einzubeziehen. Denn „Hosianna“ und „Kreuzigt ihn“ brüllen, hat sich nicht jeder von uns schon mal dabei erwischt?

So bietet „Jesus Christ Superstar“ viel relevanten Stoff, auch für das kirchenferne Publikum. Bedauerlich ist lediglich, dass das Timing am Ende nicht stimmt. Denn gleich nach dem rührenden Gethsemane-Moment geht die Handlung in die Kreuzigung über, genauer, in jenen Moment, als Jesus, pink-verkitscht, auf die Bühne getragen wird. Was hier deutlich werden soll: Hinter der pompösen Figur steckt ein Leidender. Glitzer und übertriebene Farben sind die Dornenkronen von heute. An der Botschaft ist wenig falsch zu finden. Und doch übertönt der irgendwie auch witzig daherkommende Pomp am Ende das Leid. Und das, so muss man es leider sagen, wird der Passion nicht gerecht – bei allem Wunderbaren, dass dieses Stück auch zu bieten hat.  

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