Jesus trägt das Kreuz für die Menschen

Im Erzgebirgsort Zschorlau gibt es seit 25 Jahren einen evangelischen Passionsspielverein. In der Karwoche bringt er den Tod Jesu zum sechsten Mal auf die Bühne. Das Ziel ist klar: Menschen sollen von der christlichen Botschaft erfahren.
Von Jonathan Steinert
Passionsspiel Zschorlau

Seit zwei Jahren lässt sich Michael Dehnel einen Bart wachsen. Was zuvor ein paar Millimeter waren, geht mittlerweile zweifelsfrei als Vollbart durch. Auch sein grau-schwarzes Haar ist länger geworden, ein kleiner Gummi am oberen Hinterkopf hält es zusammen. Wer den 47-Jährigen auf seinen neuen Stil anspricht, erfährt etwas von einem gewissen Kaiphas, der einst dafür sorgte, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde. „Kaiphas war der Initiator, der versucht hat, Jesus mit List und Tücke aus dem Weg zu räumen“, sagt Dehnel und ergänzt: „Ich bin sicher, dass Gott ihn für die Heilsgeschichte gebraucht hat.“

Dehnel spielt den damaligen jüdischen Hohepriester im Passionsspiel, das in diesem Jahr im erzgebirgischen Zschorlau aufgeführt wird. Zugleich ist Dehnel Vorsitzender des örtlichen Passionsspielvereins und damit einer der Hauptverantwortlichen für das Projekt. Dass die Menschen aus der Region und darüber hinaus etwas von der Bedeutung des Todes Jesu, von der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen, erfahren, das ist sein persönliches Anliegen und das des Vereins.

Passionsspiel Zschorlau Foto: PRO/Jonathan Steinert
Michael Dehnel, Vorsitzender des Zschorlauer Passionsspielvereins, spielt den jüdischen Hohepriester Kaiphas

Es ist die sechste Spielzeit für das Zschorlauer Passionsspiel. 2000 gab es die ersten Aufführungen. Aufgrund des großen Anklangs wurde im Anschluss ein Trägerverein dafür gegründet und das Stück ein Jahr später wiederholt. Alle fünf Jahre, ausgehend von der Uraufführung, wollten die Erzgebirger die Leidensgeschichte von Jesus auf der Bühne erzählen. Corona hat den Rhythmus durcheinandergebracht. 2020 wurde es auf 2021 verschoben, dann musste es abermals abgesagt werden. Die Proben hatten da schon begonnen.

Jetzt ist man wieder im Takt. Zumindest was die Abstände zwischen den Spielzeiten angeht. Doch diesmal spürt Dehnel, war der Anlauf mühsamer. In den ersten Jahren herrschte große Euphorie. Nach der Corona-Unterbrechung neu zu starten, war herausfordernd: Mitspieler gewinnen, sie motivieren, dabeizubleiben und in der Zeit auch manches Persönliche zurückzustellen. Dazu kamen organisatorische Hürden wie die, dass Dienstleister etwa für das Schneidern der Kostüme aufgrund der wirtschaftlichen Lage lange Zeit keine konkreten Angebote machen konnten und damit die Kalkulation der Finanzen in der Luft hing.

Laien mit Leidenschaft

Waren in den ersten Jahren rund 90 Mitwirkende dabei, stehen jetzt etwa 160 Personen auf der Bühne, dazu kommen 20 Musiker und noch einmal rund 40 Helfer, die im Hintergrund anpacken. „Der Anspruch ist gewachsen“, sagt Dehnel, auch wenn sich alle der „laienhaften Qualität“ bewusst seien. 2015 gab es Schauspiel-Workshops mit einem Theaterpfarrer der Landeskirche. „Davon profitieren wir sehr“, sagt Dehnel. Es ging unter anderem um grundlegende Dinge wie Körperhaltung (Brust nach vorn), Sitzposition (auf der Stuhlkante) oder Aussprache (Dialektfärbung ist erwünscht, aber es soll verständlich sein). Darüber hinaus sind die Darsteller nicht in Theatergruppen aktiv.

Auch der Autor und Regisseur des Stückes, Dieter Schürer, ist nicht beruflich in diesem Metier zu Hause – er ist Rechtsanwalt. Nur der Leiter des Ensembles mit Bläsern, Schlagzeug und Keyboard, das die eigens dafür komponierte Musik live zum Stück spielt, ist als Kantor der örtlichen Kirchgemeinde vom Fach.

Passionsspiel Zschorlau Foto: PRO/Jonathan Steinert
Der römische Statthalter Pilatus (Mitte) lässt sich erklären, warum Jesus hingerichtet werden soll

Auf der richtigen Bühne, in der größten Turnhalle des Ortes, können die Passionsspieler erst in den Osterferien proben, wenige Tage vor den Aufführungen. Bis dahin nutzen sie ein Gebäude, das der Verein von der Kommune gemietet hat. Auf dem Boden markieren dicke Klebestreifen die Maße der Bühne. Links und rechts nimmt das Volk Aufstellung, vom Säugling auf dem Arm der Mutter bis zur Seniorin. Einige schwingen Kunststoff-Palmenwedel, „Hosianna“ rufen sie. Jesus zieht mit seinen Jüngern in Jerusalem ein. Ein paar römische Soldaten haben ihre Helme dabei, aber noch wird ohne Kostüme geprobt.

Europassion

83 Passionsspielgruppen aus 16 Ländern vernetzen sich im Verband „Europassion“. Aus Deutschland sind 21 Vereine dabei. In diesem Jahr gibt es hierzulande außer in Zschorlau Passionsspiele in Küllstedt (Eichsfeld), Kemnath (Oberpfalz), Dammbach (Spessart) und Großenlüder (Osthessen). Der diesjährige „Europassion“-Kongress findet im ostsächsischen Crostiz statt, wo das Passionsspiel der Sorben zu Hause ist.

Manche Darsteller haben den Namen ihrer Figur auf dem Pullover kleben. Johannes. Rabbi Nikodemus. Sadduzäer 2. Thomas ist heute zugleich Simon, denn der ist krank. Seine Frau und die vier Kinder sind aber dabei und haben sich unters Volk gemischt. „Wir sind zum Passafest gerade auf einer Pilgerreise nach Jerusalem, als Jesus kommt“, erklärt Mandy Beyreuther ihre und die Rolle ihrer Kinder. Sie mussten sich überlegen, für wen sie jubeln sollen – für den Verbrecher Barabbas oder Jesus. Die Familie, die Beyreuthers spielen, lässt sich von der Masse mitreißen und stimmt in den Chor gegen Jesus ein. Für die Kinder war das anfangs schwierig, erzählt Beyreuther. „Wie können wir für Barabbas sein und dafür stimmen, dass Jesu verurteilt wird, wenn wir doch an Jesus glauben?“

Passionsspiel Zschorlau Foto: PRO/Jonathan Steinert
Eric Seidel, 25, einer der zwei Jesus-Darsteller. Bei der 2021 geplanten Aufführung wäre er Teil des Volkes gewesen.

Der Zschorlauer Passionsspielverein ist über den Verband „Europassion“ mit zahlreichen anderen Passionsspielen in ganz Europa vernetzt. Die Besonderheit im Erzgebirge: Der Verein wird getragen von Gemeinden der Evangelischen Allianz – Kirchgemeinde, Landeskirchliche Gemeinschaft und Methodistische Kirche. Katholische Christen gibt es in der Region nur wenige. Aber mitmachen dürfen sie genauso wie Menschen, die sich keiner Kirche verbunden fühlen, aber denen die Werte und Inhalte der Passionsgeschichte wichtig sind.

Das Ziel ist klar: Menschen sollen von Jesus erfahren. Deshalb findet das Spiel auch bewusst an einem neutralen, nichtreligiösen Ort statt, das erleichtert den Zugang, sagt Dehnel. Um Vergleiche mit dem weltberühmten Passionsspiel von Oberammergau geht es den Zschorlauern nicht. Sie verzichten auch auf Danksagungen an prominente Unterstützer. Wiewohl sich immerhin der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schon eine Karte gesichert hat.

Passionsspiel in Zschorlau endet ohne Applaus

Die Proben beginnen mit einer kurzen Andacht zur Tageslosung. Dann singen alle zusammen die drei Strophen des Chorals „Großer Gott, wir loben dich“. Auswendig. Das müssen sie dann auch auf der Bühne können, denn damit endet das Passionsspiel. Zuvor erscheint der auferstandene Jesus seinen Freunden und sendet sie als seine Zeugen in die Welt. Außer ihm haben die Darsteller dann keine Kostüme mehr an, dann legt auch er sein Gewand ab. Die Botschaft: Jesus ist auch heute unter den Menschen. Einen Schlussapplaus gibt es nicht.

Passionsspiel Zschorlau Foto: PRO/Jonathan Steinert
Jesus-Darsteller Tom Pote, 35, hier im Verhör des Hohenpriesters, hat sich zur Vorbereitung auf seine Rolle die Jesus-Serie „The Chosen“ angeschaut.

Dehnel war 2005 das erste Mal als Darsteller dabei. Seine Frau unterstützt in der Regie, die 20-jährige Tochter und der 16-jährige Sohn stehen ebenfalls auf der Bühne. Und der einjährige Nachzügler wuselt bei der Probe mit einem Spielzeugauto an den Darstellern vorbei. Seinen eigenen Glauben hat es gestärkt, sich so intensiv mit der Passion auseinanderzusetzen, sagt Dehnel. „Wir Christen brauchen die Botschaft genauso.“ Das Spiel hat auch seinen Blick dafür geschärft, wie man Menschen diese Botschaft nahe bringen kann. Der Bedarf dafür, sagt er, ist da: vor der Haustür.

Wenn am Ende des Stückes während des Chorals im Zuschauerraum das Licht angeht, dann ist das für viele Beteiligte überwältigend, ist seine Erfahrung. Die Passion auf die Bühne zu bringen, hat auch etwas mit Emotionen zu tun, von denen die Mitwirkenden ebenso ergriffen sind wie das Publikum. Im März beginnen die Durchlaufproben. „Dann wird es intensiver“, mahnt Regisseur Schürer. Auch die Texte sollten dann weitestgehend sitzen, spätestens, wenn es ab 12. April auf die richtige Bühne geht. Dann stehen Technik, Abläufe, Bewegungen und der Umgang mit den Kostümen im Vordergrund. Der Passionsspielverein plant mit einer Besucherauslastung von 99 Prozent. 5.700 Tickets gibt es für insgesamt acht Aufführungen. An Karfreitag hebt sich der Vorhang zum ersten Mal für diese Spielzeit.

Und der Bart? „Der kommt sicherlich wieder runter und wird in Kurzform getragen“, sagt Dehnel.

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