Welche politische Einstellung hat eigentlich Jesus? Für SPD-Fraktionschef Matthias Miersch ist die Antwort klar: „Jesus ist ein Linker. Anders kann ich mir das gar nicht vorstellen“, sagte er im PRO-Interview (hier lesen Sie es in voller Länge). Die Äußerung zog weite Kreise, nachdem die SPD-Bundestagsfraktion das Zitat auf Social Media gepostet hatte – und sie erntete zu Recht Widerspruch von CDU-Politikern bis zu grünen Kirchenleuten wie Katrin Göring-Eckardt oder Konstantin von Notz.
Natürlich ist der Satz eine Anmaßung. Doch trotzdem lohnt es sich, näher hinzuschauen. Miersch begründet seine Aussage mit folgenden Worten: „Jesus hat immer auf die Gemeinschaft gesetzt, auf Solidarität. Und haben Sie mal die Bergpredigt gelesen? Die ist hochpolitisch und heute wäre sie eindeutig links.“
Ja, Jesus hat auf Gemeinschaft gesetzt, und auf „Solidarität“ in dem Sinne, dass er gerade für die Schwachen in die Welt gekommen ist. Die Bergpredigt betont sehr stark die Verantwortung von Christen für schwache Menschen, für Frieden. Wäre die Bergpredigt ein politisches Programm, hätte sie durchaus linke Elemente. Aber: Die Bergpredigt war keine politische Rede. Sie war eine Predigt, die Jesus an seine Zuhörer richtete. Sie ist ein Aufruf zur Demut, zum liebevollen und friedfertigen Handeln, zur Nachfolge. Jesu Worte richten sich an jeden einzelnen Menschen, an dich und mich. Und so kann ein politisch Liberaler ein genauso treues Leben nach Jesu Worten führen, wie es ein Linker oder Konservativer kann: gottesfürchtig, großzügig, demütig, friedfertig, barmherzig.
Die gute Botschaft im Miersch-Zitat
Jesus zum Linken zu deklarieren, ist genauso falsch wie ihn wegen des Gleichnisses der anvertrauten Talente zum Marktradikalen zu erklären oder gar zum Klassenkämpfer, weil er die Händler per Peitsche aus dem Tempel trieb. Oder wie die gefährliche Vereinnahmung durch die MAGA-Truppe in den USA. Beides macht Jesus viel kleiner, als er ist. Die Mission des Gottessohnes war nicht sein ethisches Vorbild, keine politische Philosophie, sondern die Rettung der Welt. Er starb am Kreuz nicht für seine politischen Überzeugungen, sondern weil er sich selbst opferte, um die Menschen zu erlösen – quer über Geschlechter, Ethnien und Parteibücher hinweg.
Nicht ohne Grund hat es bei der Gründung der „C“-Parteien Diskussionen gegeben, ob die Nennung des christlichen Glaubens angemessen sei. Ist CDU-Politik automatisch „christliche“ Politik? Und ist alles, was gegen CDU-Politik ist, automatisch „unchristliche“ Politik? Die Unionsparteien stehen auch in der Gefahr, den Glauben an Jesus für eine – natürlich gut gemeinte – Sache zu vereinnahmen. Oder es zumindest so wirken zu lassen.
In dem Miersch-Zitat ist noch etwas anderes bemerkenswert, es ist eine Art Meta-Botschaft. Miersch sagte im PRO-Interview nicht: „Jesus war ein Linker“, sondern „Jesus ist ein Linker“. Dass jemand „ist“, sagt man nicht über Gandhi, Goethe oder Sokrates. Sie waren. Jesus ist. Weil er lebt.
Und wenn diese Botschaft, wenn auch nur unterschwellig die Runde macht, kann man diesem Zitat auch etwas Gutes abgewinnen.