Meinung

Ist das noch Religion oder kann das weg?

Ein Theologe soll für die Berufungsverhandlung prüfen, ob Olaf Latzels Aussagen über Gender und Homosexuelle „noch von der Bibel gedeckt“ seien. Ein seltsamer Vorgang.
Von Nicolai Franz

Ist das noch Religion oder kann das weg? So lässt sich die Anfrage zusammenfassen, die das Bremer Landgericht an den Theologen Christoph Raedel von der Freien Theologischen Hochschule Gießen gerichtet hat. Er soll prüfen, ob die umstrittenen Aussagen Olaf Latzels zu Gender und Homosexualität „noch von der Bibel gedeckt“ seien. Denn wenn das so wäre, dann würde das zu Latzels Gunsten für die Religionsfreiheit sprechen. Er war in voriger Instanz wegen „Volksverhetzung“ verurteilt worden. Ein seltsamer Vorgang.

Ja, natürlich können Theologen prüfen, welche Aussagen der Bibel entsprechen. Bei Latzel dürfte der Fall aber klar sein: Selbstverständlich lassen sich Bibelstellen heranziehen, die Latzels Aussagen decken, auch wenn seine Wortwahl („Genderdreck“, „Verbrecher vom Christopher Street Day“) sehr derb war.

Natürlich kommen andere Christen trotzdem zu völlig entgegengesetzten und gut begründeten Meinungen. Allein das zeigt: Wie die Bibel interpretiert wird, das ist keine mathematische Rechenaufgabe, bei der es nur eine Lösung gibt. Wie Christen die Bibel verstehen, hängt von vielen verschiedenen hermeneutischen Faktoren ab. Sie können richtig liegen, aber auch irren, oder sich in ihrer Auslegung schlicht unterscheiden.

Christoph Raedel ist evangelikaler Theologe, ohne Zweifel besitzt er eine hohe Kompetenz. Der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler kritisierte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst, dass das Gericht einen Theologen aus der evangelikalen Bewegung beauftragt hat. Stattdessen hätte man doch lieber mal bei der Bremischen Landeskirche – die Homosexuelle traut und segnet – nachfragen sollen. In dieser Forderung zeigt sich eine befremdliche Vorstellung von Religionsfreiheit.

Die Religionsfreiheit betrifft individuelle persönliche Glaubensüberzeugungen. Sie gilt für Alle gleich, egal ob sie in einer liberalen oder einer konservativen Kirche Mitglied sind oder ob sie gar keiner Kirche angehören. Wenn Pastor Latzel sich auf seine aus der Bibel gewonnen Glaubensüberzeugungen beruft, übt er also damit seine Religion aus. Egal ob Experten diese Meinung für richtig oder falsch halten. Wie also sollte ein Kirchenamt oder ein einzelner Theologe definieren können, wo die Grenzen der Religionsfreiheit einer ganz bestimmten Person liegen?

Die Frage, die das Landgericht Bremen klären muss, ist eine andere: Hat Latzel mit seinen Verbalattacken seine Religions- und Meinungsfreiheit dermaßen überzogen, dass er die persönliche Würde von Menschen herabgesetzt hat? Denn darum geht es beim Begriff der „Volksverhetzung“ – der ja impliziert, dass es jemanden gibt, der „verhetzt“ wird, der also zum Hass gegenüber Menschen angestachelt wird.

In einem Land, in dem der Satz „Soldaten sind Mörder“ höchstrichterlich als verfassungskonform erklärt wurde, ist das nur schwer vorstellbar. Eins scheint sicher: Die Causa Latzel wird Theologen und Justiz noch länger beschäftigen.

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30 Antworten

  1. Hat das Gericht das Gutachten tatsächlich eingefordert, weil es Bibelauslegung für eine „Rechenaufgabe“ hält, „bei der es nur eine Lösung gibt“? Das wäre befremdlich, denn gerade Juristen wissen aus ihrer Praxis, dass die Auslegung von Texten je nach Standpunkt und Fragestellung unterschiedliche Ergebnisse erbringen kann. Wäre es anders, wäre auch im Fall Latzel die Sache nach dem ersten Urteil klar gewesen. Ich vermute, dass sich das Gericht ein Bild darüber machen will, ob Latzels Position in einer hermeneutisch reflektierten Weise vertreten werden kann. Und da ist der Freikirchler Raedel sicher ein passender Gutachter, denn Stellungnahmen aus der EKD und von theologischen Fakultäten erregen nicht selten den Eindruck, es gäbe gar keine theologisch reflektierte Kritik an einer auf Vielfalt angelegten Sexualethik, u.a. an der kirchlichen Segnung der „Homo-Ehe“, mehr. Die besondere Wertschätzung der heterosexuellen Ehe als Schöpfungsordnung habe ausgedient; wer sich dafür noch immer auf die Bibel beruft, wiederhole nur in unreflektierter Weise die Aussagen einzelner Stellen, ohne den Geist der ganzen Bibel bzw. ihre christologische Mitte zu beachten. Dieser Haltung kommt auch der Artikel nahe, wenn es heißt: „Selbstverständlich lassen sich Bibelstellen heranziehen, die Latzels Aussagen decken“. Das wird das Gericht aber wissen. Offenbar stellt sich aber auch folgende Frage: Geht es nur um einzelne Stellen, die ein womöglich zeitbedingtes Verständnis von Ehe und Sexualität propagieren, das heute obsolet ist? Und hat Latzel diese veralteten Aussagen nur nachgesprochen – aus einem unterreflektierten Bibelverständnis oder womöglich sogar nur, weil er in ihnen ein Ressentiment gegenüber Homosexuellen bestätigt findet? Oder – und diese Alternative gilt es gegenüber dem kirchlichen „Mainstream“ zu prüfen – handelt es sich um Aussagen der Bibel, die als zentral gelten können, und die in einem theologisch reflektierten Verständnis, das den Horizont heutiger Erkenntnisse berücksichtigt, nach wie vor eine Bedeutung haben, die Christen nicht übersehen dürfen? Wenn man diese Frage begründet mit „Ja“ beantworten kann, geht es bei Latzel um mehr als nur um Volksverhetzung. Dann kann er sich in theologisch begründeter Weise auf seine Religionsfreiheit berufen. Ob er diese zur Volksverhetzung missbraucht hat, ist dann eine weitere Frage, die nicht vorschnell zu bejahen ist wie die im Artikel genannte höchstrichterliche Entscheidung zu dem Satz „Soldaten sind Mörder“ zeigt.

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  2. Es ist ziemlich unerheblich, wie die „Causa Latzel“ ausgeht – der für die evangelikalen Christen entstandene Image-Schaden ist immens. Zumal Olaf Latzel wieder da macht, wo er aufgehört hat. In der letzten Predigt ging es wieder unter anderem um Buddha- und Talisman-Figuren. Wenn neben der Ablehnung der Homo-Ehe das die relevante Themen der „Frommen“ sind, dann muss man sich nicht wundern, dass man niemanden mehr mit der Frohen Botschaft erreicht.

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    1. … „dann muss man sich nicht wundern, dass man niemanden mehr mit der Frohen Botschaft erreicht.“

      Gerade im evangelikalen Bereich gibt es doch Wachstum. Da wo die Botschaft verwässert oder dem Zeitgeist angepasst wird, scheint sich nach und nach niemand mehr dafür zu interessieren.

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  3. Obwohl ich theologisch Latzel nahestehe bin ich mit seiner Wortwahl nicht einverstanden. Trotz den guten Argumenten für Raedel wundert mich seine Auswahl schon. Egal wie er antwortet kann er es mit seinem Hintergrund eigentlich nur falsch machen: bleibt er bei seinem Standpunkt war es absehbar, ändert er ihn ist er umgefallen. Als theologisch konservativer Christ muss es schon klar sein, dass wir mit unserer Position in einer Minderheitenmeinung sind und deshalb nicht mit einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung rechnen können. Deshalb scheint die wichtigste Frage schon zu sein, ob seine Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und nicht eine wie immer geartete theologische Bewertung, denn der Theologe könnte auch ganz anders orientiert sein…

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    1. Lieber Matze,
      dem Gericht ist sicher völlig klar, dass Theologen auch „ganz anders orientiert“ sein können als Raedel. Die Frage kann auch nicht die sein, ob Latzel theologisch recht hat oder nicht. Darüber hat ein Gericht gar nicht zu entscheiden. Die Frage ist offenbar – wie ich schon in meinem letzten Beitrag sagen wollte -, ob Latzel eine theologisch begründbare Position vertritt oder ob er ohne theologische Begründung nur Vorurteile oder Verachtung gegen Homosexuelle schürt. Das ist etwas völlig anderes als die Frage, ob man ihm zustimmen muss oder nicht.
      Die große Mehrheit von Theologen in Landeskirchen und an staatlichen Fakultäten vertritt die Auffassung, dass die Ablehnung der Homo-Ehe theologisch nicht mehr zu begründen ist. (Wer anderer Auffassung ist, muss mit u. U. großen Nachteilen rechnen und hält daher oft seine Meinung hinter dem Berg!) Die Benennung von Raedel als Gutachter ist m.E. aus dem Bemühen des Gerichts zu erklären, auch die andere Seite als den landeskirchlichen „Mainstream“ zu hören, um zu sehen, ob man Latzel zugestehen kann, dass seine Position theologisch begründbar ist. Wenn man Latzel das zugestehen kann, dass er also aus einer theologisch begründbaren Position spricht und nicht nur biblische Aussagen wahllos heranzieht, um Vorurteile gegen Homosexuelle zu schüren, dann ist zunächst einmal festzuhalten, dass er sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen kann. Das Gericht hat schon angekündigt, dass es dieses Grundrecht ggf. höher bewerten wird als den Vorwurf der Volksverhetzung.
      Um die Frage nach der einen richtigen theologischen Position zur Homosexualität geht es also ganz sicher nicht und kann es vor Gericht nicht gehen. Offenbar will sich das Gericht aber anhand von Raedels Gutachten ein Bild darüber machen, ob Latzel eine theologisch zu rechtfertigende Position vertritt, die vom Grundrecht der Religionsfreiheit gedeckt ist, auch wenn es sich in Kirche und Gesellschaft um eine Minderheitenposition handelt.

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      1. Lieber Meik Gerhards,
        Verstanden, nur nach der Logik müsste ein extrem liberaler Theologe und ein extremistischer muslimischer Theologe auch jeweils aus seiner Richtung einen Gutachter erhalten ob das jeweilige gesagte durch die Religionsfreiheit gedeckt ist. Kann das sinnvoll sein?

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        1. Lieber Matze,
          im Prinzip ja. Bei der Religionsfreiheit ist natürlich zu beachten, dass sie innerhalb der geltenden Gesetze ausgeübt werden darf. Deshalb sind bei Latzel ja auch zwei Fragen zu stellen: a) Ist das, was er verkündigt, überhaupt „Religion“ oder nur Hetze? – Da würde das Gutachten von Raedel möglicherweise Klarheit schaffen (allerdings hat ihn die Staatsanwaltschaft ja mittlerweile abgelehnt). b) Hat er in einer Form, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, seine Religionsfreiheit zu Hetze missbraucht? Diese zweite Frage wäre dann eigens noch einmal abzuwägen. Ähnliche Fragestellungen könnten sich auch bei liberalen oder muslimischen Theologen stellen. Nehmen Sie die Beschneidungsfrage. Vor einigen Jahren hat ein Kölner Gericht die Beschneidung kleiner Jungs als nicht-zulässige Körperverletzung beurteilt. Ausgangspunkt war ein Fall in einer muslimischen Familie. Jetzt stellen sich genau diese Fragen: a) Ist die Beschneidung kleiner Jungs ein integraler Bestandteil muslimischer Religion? Das könnte ein Gutachter klären, der idealerweise selbst muslimischer Gelehrter ist. b) Ist es eine nicht-zulässige Körperverletzung an Unmündigen? Das wäre nun gegen das hohe Gut der Religionsfreiheit abzuwägen. Eine wirkliche Abwägung hat damals nicht stattgefunden, weil von dem Beschneidungsurteil ja auch die Juden betroffen waren. Und als diese sagten, jüdisches Leben sei in Deutschland nicht mehr möglich, wenn das Urteil in Kraft tritt, war die Sache verständlicherweise sofort geklärt.

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  4. Ich stelle mir vor, was junge Menschen ertragen und erleiden, die in einem solchen „frommen“ Milieu aufwachsen. Angesichts der Verletzungen und Beschädigungen, die diesen Menschen zugefügt wurde und wird, ist der Image-Schaden doch wirklich zu vernachlässigen. Kirche und fromme Werke haben eine unerträgliche Schuld- und Versagensgeschichte gegenüber diesen Menschen. (Bevorzugt stellen sie aber selbst als Opfer einer gottlosen Zeit dar, da wird es dann ganz unappetitlich!)
    Die Frage ist allerdings, ob gegen solche falschen und unmoralischen Positionen das Strafrecht ein probates Mittel ist. Sollte Olaf Latzel auch zweitinstanzlich verurteilt werden, nehmen das seine Anhänger neuerlich zum Anlass, ihn zum Opfer eines zunehmend antichristlichen Zeitgeistes zu stilisieren (man pflegt im bundesdeutschen Vollkaskofundamentalismus eben zu gern den Verfolgungsfetisch!). Wird er hingegen freigesprochen, nehmen diese das als Bestätigung seiner Position. Weder das eine noch das andere aber kann ein Gerichtsurteil aber bestätigen…
    Zu Prof. Raedel: Seine Position ist ja hinlänglich bekannt, sonst hätte ihn die Verteidigung von Olaf Latzel sicher nicht vorgeschlagen. Erstaunlich für einen „christlichen Ethiker“ ist seine Stellungnahme zur Positionierung der weltweiten Generalkonferenz des Methodismus zum Thdema Homosexualität (Raedel ist Methodist). Man kann ja schon über das Zustandekommen dieser Entscheidung ebenso verwundert wie besorgt sein. Dass allerdings ein „christlicher Ethiker“ einer Entscheidung der Generalkonferenz so unumwunden zustimmt, die in ihren Ausführungskonsequenzen zu Denunziantentum und Überwachung führt und ermutigt, lässt m.E. Rückschlüsse über die ethische Dispostion dieses „Gelehrten“ zu. Die deutsche EMK hat sich – aus guten moralischen Gründen – entschieden, diesen Beschluss nicht umzusetzen.

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  5. P.S. Es geht natürlich um Menschen, die in einem solchen Milieu, als homosexuell empfindene Menschen leben…..

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  6. Lieber Alex. Mit der unveränderlichen Wahrheit der Bibel werden ständig zunehmend mehr Menschen erreicht. Mit der weichgespülten Bibelversion der Amtskirche tatsächlich nicht – siehe Kirchenaustritte

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    1. Also dass die Kirchenaustritte mit der „weichgespülten Bibelversion“ der Amtskirche zu tun hätte, ist eine steile These, die sich kaum belegen lässt…
      Und dass man massenhaft Einreisanträge für Fundamentalien registrieren müsste, davon kann keine Rede sein… es sammeln sich dort doch eher die anderenorts entlaufenen „Extremisten“… (Auch in den Staaten schrumpfen z.B. die Southern Baptists…)
      Wenn Sie sich irgendwann einmal wirklich ernsthaft mit der universitären Bibelwissenschaft beschäftigen würden, müssten Sie feststellen, dass das nichts mit „Weichspülen“ zu tun hat… ganz im Gegenteil, hier wird akribisch geforscht….

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      1. @Carvalho. Ich bin selbst ein Vertreter der universitären Bibelwissenschaft und muss Ihnen einerseits zustimmen: Die Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen forscht akribisch, spült nicht weich und bohrt dicke Bretter. Wenn Roland Beck den Eindruck hat, dass die Bibel weichgespült wird, hat das nicht unbedingt mit den Ergebnissen der universitären Bibelwissenschaft zu tun, sondern mit Fragen, die jeder Theologe für sich beantworten muss, bevor er Bibelwissenschaft betreibt oder in den kirchlichen Dienst geht. Die erste und grundlegende Frage ist die, ob der Gott, von dem die Bibel spricht, für mich Wirklichkeit ist: Glaube ich, dass dieser Gott eine Beziehung zu mir sucht und durch die Bibel zu mir spricht? Wenn ich das glaube, dann bin ich bereit, die Bibel als Wort Gottes auszulegen (was übrigens nicht heißt, dass ich fundamentalistischen Unsinn behaupten würde, etwa dass die Bibel in allen historischen und naturkundlichen Fragen korrekt ist). Die Mehrheit heutiger Theologen und Bibelwissenschaftler behandelt die biblischen Texte aber ausschließlich als historische Dokumente, in denen Menschen ihre Gotteserfahrungen niedergelegt haben. Wenn ich so an die Bibel herangehe, wenn ich sie also nicht als inspiriertes Gotteswort anerkenne, dann kann ich z. B. selbst entscheiden, was von den Gotteserfahrungen, die Menschen in den biblischen Texten aufgeschrieben haben, für mich noch Gültigkeit hat und was nicht. Dann kann man immer noch gründlich an den biblischen Texten forschen. Die Texte haben aber – wenn überhaupt – sehr viel weniger Verbindlichkeit, als wenn ich davon ausgehe, dass in den Worten der menschlichen Autoren Gott redet. In Theologie und Kirche werden die biblischen Texte heute sehr oft auf Literatur reduziert, in denen Menschen ihre Gotteserfahrungen niedergelegt haben. Daraus ergibt sich das, was Roland Beck offenbar mit „weichgespült“ meint. Sicher ist es zu einfach, die hohe Zahl der Kirchenaustritte allein mit diesem Bibelverständnis zu begründen. Andererseits wenden sich viele Menschen von der Kirche ab, die nie die Chance hatten, eine Beziehung zu dem Gott aufzubauen, der in der Bibel zu uns spricht. Sie haben in der Kirche nur etwas kennengelernt, was auch ich als „weichgespülte Religion“ bezeichnen würde.

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        1. Ich bin in etlichen Punkten durchaus Ihrer Meinung. Es gibt sie wohl auch, die spirituell und intellektuell „softe“ Seite des durchschnittlichen Landeskirchentums. Dagegen erheben sich innerhalb dieser Kirchen unterschiedliche Stimmen, die gerne Abhilfe schaffen würden und zwar aus ganz unterschiedlichen „theologischen Lagern“, von Friedrich Wilhelm Graf, der ja ein dezidierter Vertreter des liberalen Protestantismus ist (- und dessen Kritik zuweilen beißend trifftig ist, aber dessen Gegenposition kaum überzeugt -), bis hin zu Wilfried Härle u.a.m. Auch Hans-Peter Hempelmann hat mit seinen Milieustudien eine sehr bedenkenswerte Diskussion angestoßen.
          Womit ich mich allerdings wenig anfreunden kann, ist die Tendenz, die in Ihren Ausführungen unüberhörbar mitschwingt, dass es nämlich zwei Positionen gäbe: einerseits die Menschen, die die Bibel eh nur noch literaturhistorisches Dokument ansehen, und in der Frage der Homosexualität sich einer moderner Unverbindlichkeit an den Hals werfen, während anderseits diejenigen, die an der Bibel als Gottes Wort festhalten, zu der „traditionellen“ Auffassung kommen. Dem ist nicht so! Prof. Härle bspw. vertritt explizit eine Theologie, bei der die Verkündigung des lebendigen Gottes, der in der Bibel bezeugt wird, im Zentrum steht. Auf dieser Basis hat er beispielsweise dem „grottenschlechten“ Familienpapier der EKD vehement widersprochen. Anderseits vertritt er in Hinblick auf Homosexualität und Kirche nicht den „traditionellen“ Standpunkt. (Für viele Worthaus-Referenten gilt dies übrigens auch, Prof. Zimmer, Prof. Dietz u.v.a.m.)
          Und hierzu nur eine kurze Anmerkung:
          Wenn man eine so weitreichende Ausgrenzung von Menschen rechtfertigen möchte, müsste man exegetisch und hermeneutisch und ethisch-philosophisch sehr gute Argumente beibringen. Diese vermisse ich auf alle drei Ebenen eklatant! Ich habe mir auch die Veröffentlichungen von Prof. Raedel zu diesem Thema angeschaut, die etliche gute Gedanken enthalten, aber an entscheidender Stelle nicht überzeugend sind!
          In der Kirche geht es um den lebendigen Glauben an Jesus Christus, der den Menschen und der Welt, Heil und Leben und Zukunft und Freiheit verheißt, aber ein Bibelfundamentalismus ist diesem Glauben nach meiner Überzeugung wenig zuträglich. Und die Fixierung auf Sexualmoral in Fundamentalien ist mit Verlaub ziemlich krank!

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          1. @Carvalho. Ich gebe Ihnen sofort Recht, dass meine Ausführungen holzschnittartig waren. Nur das gilt für Ihren Kommentar, auf den ich geantwortet hatte, auch. Sie hatten die akribische Arbeit der universitären Bibelwissenschaft etwas einseitig dem „Weichspülen“ gegenübergestellt – und ich wollte zunächst nur darauf aufmerksam machen, dass es bei Roland Beck wohl nicht um Ergebnisse der BIbelwissenschaft geht, sondern um theologische Grundentscheidungen, die die Ergebnisse zum Teil auch bestimmen. Um Ihrem letzten Kommentar nicht auszuweichen, darf ich meine Position zur Homosexualität vielleicht kurz umreißen. Ich bin überzeugt, dass die Kirche durch nichts dazu berechtigt ist, homosexuelle Beziehungen zu segnen oder gar der Ehe gleichzustellen. Die heterosexuelle Beziehung von Mann und Frau ist nach Gen 1 ein integraler Bestandteil der Gottebenbildlichkeit des Menschen, so dass man nicht einerseits an der Gottebenbildlichkeit des Menschen festhalten und sich zugleich von der heterosexuellen Ehe als normativer Lebensform verabschieden kann. Ich halte das für eine ethische Position, weil das Festhalten an der Ehe als Norm auch homosexuellen Menschen und allen anderen, die diese Norm nicht leben, zugute kommt. Es geht also um Schöpfungsordnung, nicht darum, Menschen auszugrenzen. Wie man im Einzelfall mit homosexuellen Menschen und ihren Beziehungen umgeht, ist Frage individueller Seelsorge. Ich würde von keinem Homosexuellen eine Therapie verlangen, um seine Orientierung zu ändern. Darin unterscheide ich mich sicher von Raedel. Ich würde auch praktizierende Homosexuelle nicht aus der Kirche ausschließen und ihnen die Sakramente oder seelsorgerliche Begleitung verweigern. Aber ich sehe – wie gesagt – keine theologische Legitimation, um ihre Beziehung kirchlicherseits zu segnen. Wir sind hier m.E. in einer Grauzone – wie in vielen anderen Fällen auch. Eine Fixierung auf Sexualmoral lehne ich ebenfalls ab. Da dürften wir uns einig sein.

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          2. @meik gerhards: Ich finde Ihre Argumentation so wenig überzeugend wie diejenige von Herrn Raedel. Im Kern wird nämlich eine metaphorisch-analogische Argumentation derartig ontologisiert, dass man glaubt, daraus Umkehrschlüsse ziehen zu können, die durch diese Rede m.E. nicht gedeckt sind! Dass in der Polarität von männlich und weiblich in der personalen Konstitution des Menschen die Signatur der Ebenbildlichkeit Gottes erkannt wird (bei Raedel kommt noch das Bild von Christus als Bräutigam und der Gemeinde als Braut hinzu), zeigt die hohe Wertschätzung der Geschlechterpolarität und der Verbindung von Mann und Frau, aber diese Einschätzung lässt eben nicht zu, alle sexuell abweichenden Orientierungen als widergöttlich zu qualifizieren.
            Ferner ist eine Wertschätzung von Menschen mit abweichenden sexuellen Orientierungen einschließlich der Zulassung zu allen kirchlichen Ämtern und der Segnung von auf Dauer und verbindlicher Verantwortung angelegter Lebensbeziehungen überhaupt keine Infragestellung der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die idealerweise auf Nachwuchs angelegt ist! Das sind falsche Alternativen, die logisch werder zwingend noch plausibel sind.
            Und schließlich müsste man ein gutes philosophisches Argument finden, warum abweichende sexuelle Orientierungen per se moralisch defizient sind (und in der Kirchengeschichte hat man sie immer in der Weise herabgewürdigt, O. Latzel sprach von „degeneriert“). Warum die Ehe mit Kindern in vielerlei Hinsicht für das moralisch Gute steht, lässt sich unschwer begründen. Warum aber verbindliche Beziehungen von Menschen, deren abweichende sexuelle Orientierung eine solche Verbindung zwischen Mann und Frau nicht möglich macht, moralisch böse sein sollten, dafür gibt es überhaupt keinen überzeugenden philosophischen Grund!

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          3. @Meik Gerhards
            Ich klinke mich hier einmal ein, da ich selten die Möglichkeit hatte, mich mit einem universitär ausgebildeten Theologen, der eine „evangelikale“ Haltung zu Homosexualität hat, auszutauschen.
            Mich interessiert, wie Sie aus der Aussage der Gottebenbildlichkeit in männlich und weiblich Schlussfolgerungen für die Segnungs-Berechtigung von Ehen ziehen. Da ist mir die Verbindung nicht klar. Im Rückschluss würde Ihre Argumentation für mich bedeuten, dass volle Gottesebenbildlichkeit nur in einer heterosexuellen Ehe gelebt werden kann (manche konservative Gläubige argumentieren auch genau so, wenn sie begründen, weshalb sie die homosexuelle Ehe ablehnen). Das ist aber schon allein dadurch biblisch nicht zu begründen, dass Jesus nicht als Ehepaar, sondern als unverheirateter Mann als volles Ebenbild Gottes auftreten konnte und Paulus, soweit ich ihn verstanden habe, die Ehe eher als Auslaufmodell betrachtet und nur jenen empfiehlt, die ihren Sexualtrieb nicht so gut zügeln können.
            Zum Begriff „Schöpfungsordnung“, der ja in der konservativen Argumentation ein Schlüsselelement ist: Ich habe diesen Begriff noch in keiner deutschen Bibelübersetzung gefunden. Und auch in den Schöpfungserzählungen gibt es keine Aussage darüber, dass Gott mit der Schaffung eines weiblichen und eines männlichen Menschen irgendeine „Ordnung“ aufgestellt hätte. Mir scheint, dass er überhaupt nicht biblisch ist, sondern ein Konstrukt, was eigens dazu entworfen wurde, um homosexuelle Beziehungen irgendwie biblisch ablehnen zu können – wenn es schon die Handvoll Bibelstellen bei näherer Betrachtung nicht können, die sonst dagegen ins Feld geführt werden. Woher kommt dieser Begriff/dieses Konstrukt der „Schöpfungsordnung“ und wer hat es entworfen?
            Ich freue mich, wenn Sie auf meine Fragen antworten.

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          4. @Carvalho. @Kaja. Da Ihre unten stehenden Kommentare keine Antwortfunktion haben, versuche ich, Ihnen an dieser Stelle zu antworten – in der Hoffnung, dass das möglich und willkommen ist. Wenn ich recht sehe, haben Sie beide ein Problem damit, dass ich die heterosexuelle Beziehung von Mann und Frau als integralen Bestandteil der Gottebenbildlichkeit des Menschen bezeichne. Zunächst zum Textbefund: Nach Gen 1,26-28 ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen, wobei „Mensch“ (hebr. „adam“) ein Kollektivum ist. Es ist also nicht gesagt, dass jeder Einzelne Ebenbild Gottes ist, sondern die Menschheit (!) ist Ebenbild Gottes (Die Würde eines jeden Einzelnen ergibt sich allerdings daraus, dass er an der Gottebenbildlichkeit der Menschheit Anteil hat; vgl. das Verbot der Menschentötung in Gen 9,6). Dass die Menschheit Gottes Ebenbild ist, ist eine metaphorische Aussage (Carvalho), die auf ihren Sinn hin befragt werden muss – und der liegt bei der Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Gen 1,28 darin, dass der Mensch die Erde füllt und beherrscht. Dabei bedeutet „herrschen“ so viel wie „Chaos besiegen“ und „Lebensräume schaffen“ (Hintergrund: altorientalische Königstheologie, der auch die Metapher des Ebendildes Gottes entnommen ist). Die Menschheit als Ebenbild Gottes soll also im Kleinen das leisten, was Gott im Großen getan hat, nämlich einen Lebensraum schaffen. Es bedeutet nun (gegen Carvalho) keine Ontologisierung einer metaphorischen Aussage, wenn man den Sinn der Metapher der Gottebenbildlichkeit als nach wie vor gültigen Auftrag der Menschheit ansieht. Dazu gehört aber, dass die Menschen fruchtbar sind und sich mehren, was nach Gen 1,28 zugleich Auftrag und Segensspruch ist, den die Menschen von Gott empfangen. Wenn die Menschheit in Sinne von Gen 1 ihrem Auftrag, Gottes Ebenbild zu sein, gerecht werden will, kann als normale Lebensform, die die Kirche im Auftrag Gottes segnen kann, nur die auf Kinder angelegte Ehe von Mann und Frau gelten. Der Begriff „Schöpfungsordnung“ kommt zwar in Gen 1 nicht vor (Kaja), liegt aber sachlich auf der Linie des Textes, denn der Text beschreibt ja, wie Gott selbst die Schöpfung haben will: als Lebensraum, den die Menschheit – u.a. dadurch, dass sie in der Ehe von Mann und Frau Leben an künftige Generationen weitergibt – weiter pflegen und ausbauen soll. Von diesem Kern muss man m. E. bei allen weiteren Überlegungen zu Lebensformen (auch zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft) ausgehen. Zu beachten ist, dass nicht jeder einzelne Mensch die Norm einer Ehe mit Kindern erfüllen kann und wird – allerdings ist davon auszugehen (auch im Vertrauen auf Gott den Schöpfer), dass alle Menschen davon profitieren, dass es normal ist, wenn Menschen beizeiten heiraten und Kinder bekommen. Unsere demographische Situation in Deutschland wird uns das bald schon noch lehren!

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          5. Lieber Herr Gerhards,
            vielen Dank für die ausführliche Antwort.
            In der Tat habe ich ein Problem damit, die heterosexuelle BEZIEHUNG als integralen Bestandteil der Gottesebenbildlichkeit zu sehen – und, wie ich an Jesus und Paulus ausgeführt habe, sehe ich es auch biblisch nicht unbedingt begründbar. Ich denke nicht, dass man aus der Formulierung, dass Gottebenbildlichkeit in männlich UND weiblich Ausdruck findet, ableiten muss, dass es eine heterosexuelle BEZIEHUNG/ eine Ehe braucht, um Gottebenbildlichkeit zu leben (siehe, wie gesagt, auch Jesus). Aus meiner Sicht zeigt die Formulierung in Genesis lediglich an, dass sich Gott sowohl in männlich als auch in weiblich ausdrückt, dass Gott beides gleichermaßen ist und dass er, entgegen der damaligen Auffassung, die sich leider auch Jahrtausende lang gehalten hat, eben nicht nur durch Männer repräsentiert wird.
            Für mich ist die Vorstellung, Gott könne (via Kirche) seinen Segen nur an heterosexuelle, potenziell sich fortpflanzende Menschen vergeben, nicht nachvollziehbar. Segnet er doch selbst in den biblischen Erzählungen auch andere Menschen, die nicht im Begriff sind, zu heiraten oder sich fortzupflanzen. Und auch der kirchliche Segen im Gottesdienst ist ja nie explizit für heterosexuelle Menschen und zur Vermehrung gedacht. Segen ist doch immer mehr als nur „ihr sollt Kinder kriegen“.
            Zudem meine ich, gilt es zu beachten, dass der Genesis-Text eine Ursprungserzählung ist. Und da ist es selbstverständlich, dass die ersten Menschen den Auftrag hatten, sich zu vermehren.
            Angesichts unserer aktuellen globalen Situation wäre für mich die Frage, was es heute denn bedeutet „Lebensraum zu schaffen“ und „Chaos zu besiegen“ (ich finde es kurzsichtig, hier nur auf Deutschland zu schauen, denn der biblische Auftrag richtet sich ja an alle Menschen, auch an solche in Ländern, deren Problem in Überbevölkerung oder in einer zu großen Anzahl Kinder, besteht, die nicht ausreichend medizinisch, finanziell und mit Nahrung versorgt werden können).
            Aus meiner Sicht ist sicherlich heute nicht die weitere (Über)Bevölkerung des Planeten die Umsetzung des Auftrages, Lebensraum zu schaffen. Eher, einen Raum für die Milliarden Menschen zu schaffen, die schon da sind, in dem sie gut leben können. Und da haben wir als Menschheit in der Vergangenheit wahrlich versagt.
            Zuletzt ist mir als Christin natürlich der Blick auf Jesus zentral. Der ja nicht nur Gottebenbild war, sondern Gott selbst. Und er hat seine Gottebenbildlichkeit, seinen Auftrag, Chaos zu besiegen und Lebensraum zu schaffen, nun eben nicht dadurch erfüllt, dass er geheiratet und Kinder gezeugt hat. Sondern dadurch, dass er anderen Menschen echtes, erfülltes ermöglicht hat. Sünder, Ausgestoßene, Unreine in die Gemeinschaft zurückgeholt hat, ihnen neues soziales, körperliches… („irdisches“) und neues geistliches Leben geschenkt hat. Und ich finde, darauf sollte auch als ChristusnachfolgerInnen unser Fokus liegen.

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          6. Liebe Kaja. Dass die heterosexuelle Beziehung ein integraler Bestandteil der Gottebenbildlichkeit ist, ergibt sich schon aus dem Kontext von Gen 1,26-28, zumal das Weitergeben des Lebens – also fruchtbar zu sein und sich zu mehren – zur Gottebenbildlichkeit gehört. So wie ich Sie verstehe, übersehen Sie wohl, dass Gottebenbildlichkeit in Gen 1 nicht dem einzelnen Menschen, sondern der Menschheit als Kollektiv zugesprochen wird. Auch da ist jedenfalls der hebräische Text eindeutig. (Ich kenne jedenfalls niemanden, der das „adam“ von 1,26 nicht als „Menschheit“ versteht.) Wenn Sie schreiben, dass es Ihrer Meinung nach „keine heterosexuelle BEZIEHUNG/ eine Ehe braucht, um Gottebenbildlichkeit zu leben“ und als Beispiel Jesus nennen, klingt mir das zu sehr danach, als sei der einzelne Mensch aufgerufen, sein Leben als individuelles Abbild Gottes zu gestalten. Darum geht es aber auf Grund der kollektiven Bedeutung von „adam“ = „Menschheit“ in Gen 1 nicht. Wohl aber geht es darum, was die normale Lebensform der Menschen sein soll – und dazu gehört offenbar die heterosexuelle Gemeinschaft der Geschlechter, was in Gen 2 bestätigt wird.
            Nun sagen Sie, dass Gen 1 eine „Ursprungserzählung“ sei, so dass der Mehrungsauftrag nur für die ersten Menschen gelte. Demgegenüber ist aber zu beachten, dass alle Texte in Gen 1-11 keine Ursprungserzählungen im historischen Sinn sind, so dass das, was sie erzählen, nur am Anfang der Welt gegolten hätte. Es handelt sich um „Urgeschichten“ im mythischen Sinn. Was sie erzählerisch an den Anfang der Welt projizieren, gilt grundsätzlich und immer. Die Ordnungen, die Gott am Anfang der Welt gesetzt hat – z.B. die Ehe von Mann und Frau – gilt nach dem Anspruch der Texte noch immer. Nun weisen Sie darauf hin, dass eine ungebremste Mehrung der Menschen viele Probleme schafft. Das ist natürlich richtig. Allerdings sagt der Text nicht, dass wir eine Geburtenrate von 8 Kindern pro Frau haben müssen. Und wir sind uns sicher einig, dass im globalen Süden die Geburtenraten sinken müssen – was sie aber auch tun. Das Mittel dazu ist aber nicht der Verzicht auf die heterosexuelle Ehe als Norm. Das wird m. W. in Afrika gar nicht diskutiert. Der Weg dahin führt über bessere medizinische Versorgung und Bildung insbesondere von Frauen. Letztlich auch über Wohlstandssteigerung. Ich habe mich auf Deutschland bezogen, weil die Diskussion um die „Ehe für alle“ eine typisch westliche Diskussion ist. Und es ist eben auch nicht ungefährlich, die Norm der Ehe von Mann und Frau aufzugeben. Darüber sollten wir bei uns nachdenken. Was nun Jesus und Paulus angeht, vielleicht nur soviel: Es ist immer so gewesen, dass einzelne Menschen auf Ehe und Familie verzichtet haben, z.B. auf Grund einer besonderen Berufung. Klassische Beispiele sind katholische Priester und Ordensleute, die dies in der Nachfolge Jesu tun. Es gibt auch andere Gründe. Das ist an sich kein Problem, solange die Norm steht, denn auch Ehe- und Kinderlose profitieren davon, dass es normal bleibt, dass Menschen heiraten und Kinder bekommen. Da Sie auch darauf verweisen, dass Jesus viele Menschen gesegnet und ihnen erfülltes Leben ermöglicht hat, will ich nur kurz daran erinnern, dass er dabei eine eindeutige Haltung zur Ehe als Schöpfungsnorm hatte (Mk 10,2-9). So fordert er auch die Ehebrecherin, die er vor ihren Verfolgern rettete, auf, hinfort nicht mehr zu sündigen (Joh 8,11) – also offenbar: den Ehebruch bleiben zu lassen.

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          7. Ich denke, dass man diese Frage nicht rein philologisch wird beantworten können. Die philologischen Ausführungen von Herrn Gerhards sind weitgehend Konsens. Allerdings sind die Konsequenzen, die er daraus ableitet, keinesfalls überzeugend (Hermeneutik).
            Dass es eine Hochschätzung des Menschen gibt, die mit der Generativität zu tun hat, wird doch von niemand bestritten. Dass allerdings Menschen und ihre Beziehungen von der kirchlichen Segnung ausgeschlossen werden, kann man m.E. nicht mit diesen Texten begründen, es sei denn man würde hier eine massive Ontologisierung vornehmen und das tut Herr Gerhards ganz explizit (Schöpfungsordnung) ebenso wie Prof. Raedel!
            Dass eine Diskriminierung von Menschen, die ihre Beziehungen unter den Segen Gottes stellen möchten, eine moralisch höchst fragwürdige Sache ist, kann man mit guten Gründen nicht bestreiten. Ich kann mich hier nur wiederholen, weil die konservativen Autoren hier die Antwort schuldig bleiben: eine so weitreichende Ausgrenzung von Menschen müsste man hermeneutisch und ethisch-philosophisch begründen können. Eine solche Begründung finde bei Prof. Raedel (und bei Herrn Gerhards) nicht, jenseits einer höchst problematischen Ontologisierung, die den historischen Wandel nicht angemessen berücksichtigt.
            Wer die Fragestellung innerhalb einer theologischen Ethik diskutieren möchte, muss zumindest in Rechnung stellen, dass sehr verschiedene biblische Positionen in Konflikt geraten müssen (Hochschätzung der Ehe von Mann und Frau, Liebesgebot, Jesus Haltung zum Gesetz usw. usf.), die noch dazu jeweils historisch kontextualisiert werden müssten. Leider kommen konservative Autoren nicht vor zu diesem Punkt, weil sie sich in einem ebenso formalen wie selektiven Biblizismus permanent selbst bestätigen.

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          8. Lieber Herr Gerhards,
            ich hoffe, einigermaßen sortiert und nicht allzu lang auf Ihre Ausführungen antworten zu können – es sind ja doch viele verschiedene Aspekte.
            Zur Gottesebenbildlichkeit in der heterosexuellen Beziehung: ich sehe diesen Konnex im Kontext nicht. Und er bringt aus meiner Sicht auch weitreichende Probleme mit sich (wie zB den Minderwertigkeitsaspekt, der sich daraus für unfruchtbare Paare oder unfreiwillige Singles ergibt, die dadurch ja nicht die volle Gottebenbildlichkeit haben – und es auch leidvoll in konservativen Gemeinden erfahren müssen, dass sie irgendwie nicht „normal“ sind).
            Ich denke, dass sowohl jeder einzelne Mensch als auch die Menschheit als Ganzes, Männer wie Frauen, Gottesebenbild ist. Weil Gott nicht entweder männlich oder weiblich ist, sondern beides. Aber eben nicht im Speziellen ausgeführt als Ehe. Dann würden ja auch freiwillig zölibatär Lebende ihrem Auftrag, als Gottebenbilder zu leben, nicht nachkommen. Und gerade an solchen „geistlichen“ Menschen kann man doch sehen, wie „Fruchtbarkeit“ möglich ist, ohne dass sie sich in menschlichen Nachkommen ausdrückt. Ich jedenfalls erlebe sehr viel geistliche Fruchtbarkeit durch die Diakonissen und Ordensleute, die mich und meine Familie bisher begleitet haben. Übrigens auch durch Menschen, die kinderlos sind.
            Zur „Urgeschichte“: Ich kenne viele Christen, die „adam“ nicht als Kollektivum verstehen. Insbesondere konservativ-biblizistische Christen (die hinsichtlich der Ehe genauso argumentieren wie Sie) sehen in Adam den historisch ersten Menschen als Individuum mit seiner Frau Eva. Und diese Christen gehen auch massiv gegen angeblich „verwässerte“ Universitätstheologie vor, die die Ursprungserzählungen mythologisch verstanden wissen will. Ich finde es nicht überzeugend, wie Sie einerseits von Adam als Menschheit mit ihrem kollektiven Auftrag sprechen und dann auf die individuelle Ebene einer heterosexuellen Ehe wechseln, um Gottebenbildlichkeit als zwingend notwendig ausschließlich in der heterosexuellen Ehe gelebt zu propagieren.
            Ich kann an dem Punkt mitgehen, dass die Ursprungsgeschichten mythologisch zu verstehen sind und allgemeinde Weisheiten über die Welt transportieren. Dennoch gibt es doch in den beiden Schöpfungserzählungen Aspekte, die „einmalig“ sind, wie etwa die Erschaffung des ersten Menschen aus Erde (danach schuf Gott mW weder in den mythologischen noch in anderen biblischen Texten einen Menschen aus Erde, sondern alle anderen Menschen wurden von Menschen gezeugt), die Trennung von Wasser und Land, von Tag und Nacht usw.
            Zu den „Ordnungen“: Ich kann nichts im Text finden, was darauf hindeutet, dass Gott in seinen Ordnungen (zB Tag&Nacht, Wasser&Land) eine Institution Ehe geschaffen hätte. Auch wird nirgends festgelegt, dass das die „normale“ Form des Zusammenlebens von Menschen sein soll.
            Zur „Ehe von Mann und Frau als Norm“: Ich glaube, in der Diskussion wird grundsätzlich nicht beachtet, dass die Ermöglichung der Eheschließung für nicht-heterosexuelle Paare nicht zur Folge haben wird, dass es keine heterosexuellen, kinderzeugenden Ehen mehr geben wird. Soweit es aktuell erforscht ist, ist der Anteil der homosexuell empfindenden Menschen in einer Population über die Jahre immer gleich. Es besteht also keine reelle Gefahr, dass eine Population dadurch ausstirbt, dass neben heterosexuellen auch homosexuelle Menschen heiraten dürfen. Und selbst wenn sie es nicht dürfen, sind sie ja trotzdem noch homosexuell und werden keine Kinder zeugen, sondern vllt eher zölibatär leben (der Anteil homosexueller Männer unter katholischen Geistlichen/Ordensleuten ist ja bekanntermaßen überdurchschnittlich hoch). Selbstverständlich konnten sie das zu früheren Zeiten nicht, als die Ehe ihnen gesellschaftlich als Norm gesetzt war. Auch heute gibt es ja in christlichen Kreisen einige Menschen, die trotz ihrer homosexuellen Orientierung heterosexuell heiraten, weil das als Norm gilt. Mit verheerenden psychischen und auch körperlichen Folgen für sie selbst, ihre PartnerInnen und ihre Kinder, bis hin zum Suizid. Das ist nun wirklich nicht das, was „Lebensraum schafft“.

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          9. @Meik Gerhards
            Zu der Geschichte mit der Ehebrecherin: Hier ist es ja nun aber nicht so, dass ihre Sünde darin besteht, dass sie keine heterosexuelle Ehe gelebt hätte, sondern dass sie die Verbindlichkeit der Ehe/ das Vertrauensverhältnis gestört hat. Ihre Sünde bestand nicht in einer vom heterosexuellen Modell abweichenden Beziehung, sondern in einer ungesunden Weise, ihre heterosexuelle Beziehung zu leben (die übrigens ja nicht von Gott zusammengefügt, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach von den Vätern arrangiert wurde).

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      2. Kirchenaustritte werden nach ihren Gründen nicht untersucht und deshalb gibt es direkt dazu keine Hinweise. Carvalho hat hier aber trotzdem Recht: Der evangelikale Bereich ist zahlenmäßig in den letzten mindestens ca. 40 Jahren nicht gewachsen. Natürlich sind einzelne Gemeinden gewachsen, aber oft nur deshalb, weil die neuen bereits vorher in einer evangelikalen Gemeinde waren. Natürlich gab es auch Neubekehrte. Diesen wurden aber in der Summe durch Todesfälle und Austritte ausgeglichen von Leuten, die sich vom evangelikalen Verständnis abgewandt haben. Ich weiss, die fromme Eigen-Werbung sagt etwas anderes, aber auch in anderen westlichen Staaten sieht es nicht anders aus.

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  7. Herr Steffen Kern, der neue Leiter des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes erklärte vor Kurzem in einem Interview mit PRO, daß es darauf ankäme, daß wir auf der Höhe der Zeit sind und im besten Sinne “ zeitgemäß“ leben, um viele Zeitgenossen anzusprechen. Das heißt doch mit anderen Worten, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, Hauptsache die heutige Sicht eines bestimmten Themas wird bedingungslos unterstützt um zu zeigen, daß man mit dem Zeitgeist konform geht.
    So ist es auch mit der Homosexualität, die von Paulus im Römerbrief im 1.Kapitel vor 2000 Jahren beschrieben wurde und davon daß sie ganz klar gegen Gottes Ordnung, die er uns gegeben hat, verstößt. Nun, für die modernen Christen, die dem Zeitgeist nacheilen ist das kein Hinderungsgrund, Gottes Ordnung in des Gegenteil umzukehren und jeden nach seiner Facon leben zu lassen. Wenn dann aber jemand auftritt wie Olaf Latzel, der als bibeltreuer Christ Gottes Wort so wie es aufgeschrieben wurde, öffentlich vertritt und gegen Angriffe aus den eigenen „Christlichen Reihen“ verteidigt, wird er vor Gericht gezerrt und verurteilt. Ein spezieller Gutachter muß her um einige klare Worte aus der Bibel, die Olaf Latzel für seine Aussagen anführt, für zutreffend oder falsch zu erklären. In meinen Augen eine Lächerlichkeit sonder gleichen. Worte, die sicher jeder normale Konfirmand erklären könnte.
    Was ist denn mit Latzels Vorgesetzten aus der Nordkirche, die sicher auch einmal Theologie studiert haben, können sie sich kein Urteil bilden? Oder haben sie Angst davor, man könnte sie auf ihre Entscheidung homosexuelle Paare zu trauen. anzusprechen?

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    1. Das verstehe ich jetzt nicht. Woher soll der Gutachter denn kommen, wenn bei den meisten Theologen Homosexualität anders gesehen wird wie nach der Schrift. Wo soll denn ein besserer Gutachter auf der Sicht Latzels als Raedel herkommen?

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    2. Gehört 5. Mose 21,18ff auch zu den Ordnungen Gottes…? Die Aussage ist so eindeutig, dass jeder Konfirmand sie zweifelsohne verstehen kann! Ich nehme an, in Ihrer Gemeinde gibt es keine eigenwilligen Söhne, die Vater und Mutter widersprechen… oder gehen Sie gelegentlich nach dem Gottesdienst zum fröhlichen Kindersteinigen?

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  8. Die Entscheidung des Gerichts, einen theologischen Gutachter hinzu zu ziehen, wenn es um den Vorwurf der Volksverhetzung geht, ist befremdlich.
    Latzels Anhänger und Hardcore-Fans mögen sich daran erinnern, dass nicht seine persönliche Meinung vor Gericht verhandelt wird – er darf Homosexualität als Sünde geißeln und von Herzen ablehen – sondern, dass ein Pfarrer einer Landeskirche öffentlich und wiederholt eine Grenze überschritten hat, indem er gelebte Homosexualität kriminalisiert, d.h. zu einer strafbaren und juristisch verfolgungswürdigen Sache macht.
    Jetzt das ganze mit einem theologischen Gutachten zu untermauern geht am Kern der Anklage vorbei.
    Zudem: gesetzt den Fall, ein Angeklagter muslimischen Glaubens würde sich bei ähnlichen Vergehen auf seine Religionsfreiheit berufen und dies durch eine Fatwa (ein islamisches Rechtsgutachten) belegen wollen – wie würde wohl die Reaktion evangelikaler Christen ausfallen?
    Ich vermute, es dürfte da keine Beifallsstürme geben.

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  9. Wollte Prof. Raedel eigentlich nur „raus aus der Nummer“ als Gutachter? Wurde er gedrängt? Oder warum hängt er schon vor dem Gutachten seine Meinung zum Fenster heraus, wissend, dass er damit natürlich als befangen abgelehnt wird? Auf Dummheit kann das doch wohl bei einem Theologieprofessor nicht beruhen….
    Hätte mich nur einmal interessiert, wenn ein anderer Gutachter mit genau der gegenteiligen Meinung vor Abschluss des Gutachtens an die Öffentlichkeit getreten wäre…. Ob DER dann auch wegen Befangenheit abgelehnt worden wäre?

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  10. Die Äußerungen in seinem Interview mussten dazu führen, dass Prof. Raedel als befangen abgeleht wurde. Latzels umstrittene Äußerungen billige ich in dieser Form nicht, wobei der Vorwurf der Volksverhetzung viel zu hoch gegriffen ist. Allerdings frage ich mich auch, wo deutsche Staatsanwaltschaften gegen radikalmuslimische Imame ermitteln, die ihre volksverhetzenden Hetzreden schamlos öffentlich verbreiten.

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  11. Da wird der eingesetzter Gutachter, die Meinung von Olaf Latzel zu sehr untermauern, darum wird er jetzt kritisiert und sein Gutachten als nicht gültig gewertet.
    Im Grunde ist es wichtig, was der lebendige Gott dazu sagt!
    Wie viele Bücher sind letzte Zeit über Dietrich Bonhoeffer erschienen und wie würde er von den Kirchenleitungen heute beurteilt und kritisiert werden, würde er in unserer Zeit leben!

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