PRO: Du machst bei Instagram jetzt „Slow Content“. Was versteht man darunter?
Nicolai Opifanti: Im Intro der Beiträge sage ich immer: „Content, der gut tut und dich fokussiert für deinen Alltag.“ Das trifft es eigentlich gut. Ich habe gemerkt: Der Algorithmus fördert fast nur sehr schnellen Content. Auf Instagram, aber vor allem auch auf Tiktok, sind die Videos unglaublich schnell geschnitten. Das hat mittlerweile schon psychische Folgen für uns. Ich will einen Kontrast setzen, indem ich bewusst ganz langsamen Content mache. Das Intro ist immer gleich, die Schnitte sind langsam. Man sieht meistens auch nur Naturbilder oder -videos im Hintergrund. Es ist ein Kontrast zu dem, was du tagtäglich auf Social Media siehst.
Wie sahen deine Social-Media-Beiträge vorher aus?
Ich habe versucht, mitzuhalten. Ich wusste ja, dass der Algorithmus es belohnt, je schneller und je provokanter die Inhalte sind. Man sagt: Du musst in den ersten drei Sekunden deine Leute abholen. Also meistens mit einer provokanten These starten, dann gleich der nächste Schnitt. Ich habe versucht, mitzumachen. Habe aber gemerkt, dass mir das selbst nicht guttut. Ich konnte diese Provokation irgendwann auch nicht mehr mit mir selbst vereinbaren. Als Christ und Pfarrer dachte ich: Du kannst nicht ständig irgendwelche steilen Thesen raushauen, nur um nachher zu sagen: So schlimm ist es ja doch nicht. So funktioniert Social Media zwar teilweise. Aber ich habe gemerkt, dass es mit mir selbst und mit dem, was ich dort repräsentieren möchte, nicht funktioniert.
Du schreibst in einem Beitrag, dass du nach einer längeren Instagram-Abstinenz gemerkt hast, dass die Plattform dir in der Form wie bisher nicht gut getan hat. Wie genau hat sich das geäußert?
Ich habe gemerkt: Wenn ich gar kein Social Media konsumiere und auch nicht produziere, geht es mir nicht schlechter. Mir fehlt nichts. Im Gegenteil: Ich fühle mich ausgeglichener, ich habe mehr Zeit fürs Wesentliche und ich werde ruhiger. Gleichzeitig habe ich ein riesiges Herz für Social Media. Ich wusste also: Ich muss etwas ändern, denn so, wie ich es bisher gemacht habe, hat es mich nicht erfüllt. In den vier Wochen Auszeit, die ich regelmäßig im Sommer mache, ging es mir so viel besser als zuvor.
Was mich auch ins Nachdenken gebracht hat, waren Studien, die zeigen, dass viele Nutzer selbst gar nicht mehr so schnell und viel konsumieren wollen – besonders junge Menschen. Das fand ich krass. Sie konsumieren viel, obwohl sie es gar nicht wollen. Das ist eigentlich ein typisches Suchtverhalten. Auch bei mir selbst und bei Freunden habe ich gemerkt, dass man das Handy nur aus Gewohnheit zur Hand nimmt. Und weil man ein neues Like oder einen neuen Follower braucht.
Die erste Woche meiner vierwöchigen Auszeit war ziemlich hart, ich hatte beinahe Entzugserscheinungen. Ich habe ständig meine Aktienkurse verfolgt. Total unnötig, weil die sich nicht großartig ändern. Ich musste die ganze Zeit etwas am Handy nachschauen können. Ich musste ständig irgendeine App öffnen, weil ich ja eben Instagram nicht mehr hatte, was mir diesen Dopamin-Kick gibt. Das hat mich ins Nachdenken gebracht. Und ich war eine Zeit lang auf Linkedin. Ich habe dann dort geschaut und dann dachte ich: Das macht ja gar keinen Sinn, das ist ja wie ein Ersatzstoff. Da merkt man schon ein Suchtverhalten.
Hast du daran gedacht, Instagram komplett zu verlassen? Warum bist du trotzdem geblieben?
Ja, ich habe daran gedacht, Instagram zu verlassen. Es gibt zwei Gründe, warum ich es nicht getan habe. Erstens: Ich habe ja einen Dienstauftrag dort für 50 Prozent meines Jobs. Bei mir geht es um Beruf und Berufung. Ich hätte jetzt nicht kurzfristig sagen können, dass ich von heute auf morgen aufhöre. Im Gegensatz zu Menschen, die das ehrenamtlich machen oder privat dort unterwegs sind.
Der zweite Grund ist ein theologischer: Kirche war schon nicht immer nur Inkarnationsgesellschaft. Jesus hat sich zum Beispiel diakonisch zu speziellen Zeiten immer für spezielle Menschen eingesetzt. Nach meinem Verständnis müssen wir als Kirche auf Social Media sein. Wir müssen der Kirche jetzt in unserer Zeit dienen. Wie macht man das? Viele sind auf Social Media, also geht man da auch hin. Kirche kann aber auch Kontrastgesellschaft sein. Ich habe mich da an das gleichnamige Buch von Gerhard Lohfink erinnert. Warum also nicht zwar auf Social Media sein, aber innerhalb von diesem Kontext Kontrastgesellschaft sein? Salz und Licht sozusagen. Das hört sich mit so ein paar Reels natürlich hochtrabend an und ich allein werde das auch nicht schaffen. Aber wenn da mehr Leute mitmachen, könnte sich eine Art Gegenbewegung bilden zu dem „immer schneller, immer weiter“.
Das, was du erlebt hast, erleben auch viele andere Menschen. Studien zeigen, dass gerade Jüngere Social Media immer öfter komplett den Rücken kehren. Hast du von anderen gehört, denen es ähnlich ging wie dir?
Meine Follower sind hauptsächlich zwischen 25 und 45 Jahren alt. Als ich gepostet habe, warum sich bei mir etwas ändert, haben mir viele geschrieben, dass es ihnen genauso geht. Und dass sie es gut finden, was ich vorhabe. Ich habe geschrieben, dass mir die Leute gerne entfolgen können, wenn es ihnen zu doof wird mit dem langsamen Zeug. Aber viele sagten, dass sie so etwas gerne selbst machen würden oder dass sie es als Konsumenten gut finden, weil ihnen Social Media auch zu schnell ist. Viele meinten auch, dass sie sich oft zu viel aufregen und ihnen die starke Polemisierung zu viel wird.
In meinem Freundeskreis bauen viele sich Selbstbeschränkungen ein. Einen Timer bei Instagram in der App setzen zum Beispiel. Das finde ich auch krass. Wenn man Parallelen zieht, ist das ja so ähnlich wie wenn man sich beim Alkoholkonsum oder Rauchen begrenzen muss. Weil man weiß, dass es einem nicht guttut. Das sind ja Alarmsignale, die zeigen, dass es in eine falsche Richtung geht.
Glaubst du, dass wir ohne Instagram, Tiktok und Co. besser dran wären?
Ich kann es natürlich nur für mich beantworten. So wie es jetzt gerade ist, wäre ich besser dran ohne Social Media. Mir würde nichts fehlen. Das ist eine harte Aussage dafür, dass ich es zu 50 Prozent beruflich mache. Das hätte ich vor einem halben Jahr noch anders gesehen.
Eine riesige Chance für Kirche und Seelsorge ist immer noch, dass sie dort niederschwellig ansprechbar sind. Dass man ganz leicht zu erreichen ist. Das motiviert mich, weiterzumachen. Mir schreiben nach wie vor fast täglich Menschen, die seelsorgerliche Hilfe brauchen oder eine theologische Frage haben. Per E-Mail würden mich viele nicht so schnell kontaktieren.
Mit Blick auf den Content finde ich gerade die Entwicklung im kirchlichen Bereich krass. Wir haben mitgemacht bei allem, was außerhalb von der Kirchenbubble zu beobachten war: Ständig nochmal eins draufsetzen mit reißerischen Thesen und sich gegenseitig bekriegen. Jetzt denke ich: Es muss nicht mehr sein, sofort Kommentare zu schreiben und jedem irgendetwas zu unterstellen. Das passiert in der christlichen Bubble und wir waren Spiegelbild davon. Wir haben überhaupt keinen positiven Unterschied zu nicht-christlichen Nutzern oder Creatoren gemacht. Das brauche ich nicht mehr.
Aber im Bereich der Seelsorge und der Begleitung und Vernetzung von Menschen sehe ich weiterhin die Vorteile von Social Media. Ich konnte viele Menschen auch schon an professionelle Anlaufstellen weiterleiten.
„So wie es jetzt gerade ist, würde mir ohne Social Media nichts fehlen.“
Glaubst du, dass Social Media irgendwann aussterben wird, weil viele die Plattformen verlassen? Oder anders gefragt: Wie könnten sich die Plattformen entwickeln?
Da gibt es zwei Entwicklungen. Manche Medienanalysten vertreten die These, dass wir den Peak bei der Social-Media-Nutzung erreicht haben und es ab jetzt runter geht. Die Abrufzahlen sinken langsam und die Nutzungszahlen gehen runter, weil viele doch genug haben von der Art und Weise, wie der Algorithmus gepolt ist. Ob das stimmt, wird sich zeigen. Ich finde es aber bedenkenswert.
Ich fände zurück zu den Ursprüngen von Instagram schön. Also wieder mehr Fokus auf Ästhetik und das Schöne im Leben zu legen. Nicht, indem man das Böse ausblendet. Aber ich fand den ästhetischen Fokus, den Instagram mal ausgemacht hat, sehr schön. Es gibt auch viele Creator, die das ähnlich sehen. Es gibt sogar Petitionen, die das fordern. Es muss ja nicht das „alte Insta“ sein. Aber dass der Algorithmus den Fokus wieder auf Ästhetik legt und nicht auf schneller, höher, weiter und auf Polemisierung, fände ich gut.
Ich glaube aber nicht, dass es so kommt. Ich denke, dass KI alles nochmal deutlich schneller machen wird und KI-generierter Content die Zukunft ist. Das heißt, es wird eigentlich noch künstlicher und schneller. Manche Leute würden sagen, es wird dann auch kreativer. Aber es wird dann irgendwann auch menschenlos, ein rein technischer Wettkampf. Wenn das der Weg ist, würde ich sagen: Nein, da gehe ich raus. Social Media lebt ja vom Sozialen mit anderen Menschen. Wenn es nur noch KI-basiert ist, ist das für mich kein erstrebenswerter Ort mehr.
„Wenn wir es schaffen, uns selbst zu regulieren, würde Social Media automatisch ein langsamerer und menschlicherer Ort werden.“
Was muss sich ändern, damit Instagram und Co. Orte werden, an denen man sich gern aufhält und die einem nicht schaden? Wären mehr Regulierungen sinnvoll?
Natürlich denkt man zuerst daran, dass alles reguliert werden muss. Ich glaube nicht, dass es an der Regulierung liegt. Zumindest nicht an denen des Algorithmus und der Konzerne. Es braucht die Regulierung von uns Nutzern und Nutzerinnen. Wir müssen uns klar werden, was wir dort wollen: Wollen wir höher, schneller, weiter? Wollen wir die ständige Polemisierung, indem wir sofort zum Handy greifen, wenn uns irgendwas aufregt und anderen gleich etwas an den Kopf werfen? Oder lernen wir wieder, uns zu regulieren, durchzuschnaufen, Dinge auch einfach stehen zu lassen?
Wenn wir es schaffen, uns selbst zu regulieren, würde es automatisch ein langsamerer und menschlicherer Ort werden. Und wenn wir es vor allen Dingen schaffen, liebevoller miteinander umzugehen. Das ist ein Idealismus. Aber das ist auch der Punkt, an dem ich privat ansetze. Ich kommentiere nicht mehr. Es sei denn, ich denke ein oder zwei Tage darüber nach, bevor ich einen Kommentar abschicke. Seit ich „Slow content“ mache, habe ich aber tatsächlich keinen einzigen Kommentar mehr abgesendet.
» Zwischen Faszination und Überforderung
» Wahrhaftiger Glaube im digitalen Raum
» Viele Jugendliche wünschen sich eine Welt ohne Social Media
Was hältst du von Altersbeschränkungen für Social Media?
Ich bin kein Freund von externen Regulierungen. Ich finde immer, der Mensch muss zuerst an sich arbeiten. Es geht darum, junge Menschen zu befähigen, einen kritischen Umgang mit Social Media zu lernen. Gleichzeitig ist es natürlich so: Wenn zehn Leute auf dem Schulhof rauchen oder Bier trinken und du dir vorgenommen hast, nicht mitzumachen, ist das wirklich schwer. Und in 99 Prozent der Fälle schafft man es wegen des Gruppenzwangs nicht. Weil wir um die Gefahr von Social Media und der Algorithmen wissen und was es mit jungen Menschen machen kann, führt leider kein Weg an Altersbeschränkungen und -kontrollen vorbei. Die Unternehmen müssen wirklich verpflichtet werden, weil die Folgen zu evident sind. Es gibt ja Studien dazu, wie sehr zum Beispiel Bodyshaming oder toxische Verhaltensweisen durch Social-Media-Konsum zunehmen.
Was kann man selbst tun, damit man an Social Media keinen Schaden nimmt und anderen auch keinen Schaden zufügt?
Den eigenen Konsum kritisch zu hinterfragen. Sich ehrlich aufzuschreiben, wieviel Social Media man am Tag nutzt und das auch mit Apps messen. Und im zweiten Schritt: Wenn es zuviel ist, sich eine Selbstbeschränkung einrichten. Im dritten Schritt prüfen: Wem folge ich? Tut mir das wirklich gut? Oder folge ich demjenigen nur, um eine Dopaminausschüttung zu haben, weil ich mich aufregen kann? Und im vierten Schritt Konsequenzen ziehen und denjenigen nicht mehr folgen. Oder schließlich die App komplett löschen, wenn man nur Content ausgespielt bekommt, der einem psychisch schadet. Ich weiß zum Beispiel, dass viele sich aus dem Grund entscheiden, Tiktok zu löschen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!