Indischer Pastor: „Berichte über Christenverfolgung prüfen“

Kumar Sahu ist Vizepräsident von Christian Endeavour, dem weltweiten EC-Verband, für die Region Asien. Der Inder rät, bei Berichten über Benachteiligung von Christen in seiner Heimat genau hinzusehen.
Von Norbert Schäfer
Haridwar, Uttarakhand, India

PRO: Der indische Premierminister verfolgt in Indien einen hindu-nationalistischen Kurs. Hier mehren sich Berichte über Einschränkungen der Religionsfreiheit. Wie bewerten Sie das?

Kumar Sahu: Ich äußere hier meine persönlichen Ansichten. Ich spreche für niemanden offiziell. Die indische Verfassung erlaubt auch uns Christen, unseren Glauben frei zu leben. Ich hatte seit mehr als 40 Jahren geistliche Ämter und habe in dieser Zeit keine Einschränkungen meiner Religionsfreiheit oder Benachteiligung oder Verfolgung erfahren.

Ich kann für mich persönlich sagen, dass ich keine Bedrohung aus irgendeiner Ecke der Politik erfahren habe. Ich kann meinen Glauben frei praktizieren. Ohne jede Schwierigkeit, ohne jede Bedrohung.

Wenn ich in meinem Glauben transparent bin, kann mir nichts schaden. Ich habe noch nie ein Problem bekommen, weil ich das Evangelium in der Kirche gepredigt oder jemanden getauft habe, oder den Glauben in der Gesellschaft praktiziert habe. Ich predige und lebe meinen Glauben ohne Angst, weil ich in meinem Tun vollkommen transparent und im Einklang mit den Gesetzen bin.

Wie ist dann das Konversionsverbots-Gesetz in Indien einzuordnen?

Das Gesetz, von dem Sie sprechen, wurde vom Legislativrat verabschiedet und besagt, dass man niemanden zwangsweise – also gegen seinen erklärten Willen – von einer Religion zu einer anderen bekehren darf. Man darf auch keine besonderen Anreize schaffen. Also man darf zum Beispiel niemandem Geld oder andere Vorteile geben, damit er seine Religion wechselt. Das Gesetz schließt alle Religionen in Indien ein und erlaubt den Menschen, ihr demokratisches Recht, ihre Religion frei auszuüben. Dieses Gesetz wurde nicht speziell zur Konversion zum Christentum verabschiedet, dieses Gesetz gilt für alle Religionen.

Es soll unterbinden, dass sich Menschen zu einer Konversion bedrängt oder genötigt fühlen, weil sie beispielsweise bei einer Veranstaltung eine Zuwendung erhalten haben.

Das Gesetz gilt für Christen, Muslime, Hindus – alle Religionen. Ein praktizierender Muslim kann nicht von einer Gruppe von Hindus gezwungen werden, ein Hindu zu werden. Eine Gruppe von Muslimen kann einen Christen nicht dazu zwingen, Muslim zu werden. Das wäre Zwangskonvertierung und würde bestraft. Dasselbe gilt für eine christliche Gemeinschaft, die keine der anderen Glaubensrichtungen dazu zwingen kann, Christ zu werden.

Konversion zum Christentum ist in Indien also prinzipiell möglich?

Ist sie. Wenn jemand Christ werden möchte, dem rate ich, mindestens für ein Jahr lang in die Kirche zu gehen, sich mit der Bibel und Jesus eingehend zu beschäftigen. Ich muss wissen, aus welchen Beweggründen ein Mensch die Taufe begehrt. Dann kann die Person selbst, dann kann ich als Pastor, diesen Schritt schlüssig und glaubhaft begründen. Solange das alles klar und offen ist, ist alles in Ordnung.

Es muss klar sein, dass die Person bereit ist, Christus aus freien Stücken anzunehmen und sich daher zum Glauben an Christus bekennt. Welchen Sinn sollte es auch haben, auf einer Veranstaltung einem Menschen eine Stunde etwas vom christlichen Glauben zu erzählen und ihn dann aufzufordern, die Hand zu heben, wenn er Christ werden und getauft werden möchte? Der Mensch weiß doch so gut wie nichts über den christlichen Glauben, über Jesus und das Evangelium.

Indien: Zahlen und Fakten

In Indien leben rund 1,4 Mrd. Menschen. Das Land ist seit April 2023 vor der Volksrepublik China der bevölkerungsreichste Staat der Erde und auch die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind Hindus, 14 Prozent Muslime. Nur etwas mehr als 2 Prozent der Bevölkerung sind Christen.

Die Gesellschaft ist trotz verfassungsmäßiger Religionsfreiheit stark vom religiös-hierarchischen Kastensystem geprägt. Auf dem Weltverfolgungsindex 2023 von Open Doors steht Indien nach dem Sudan auf Platz 11.


Sind denn die Medienberichte hierzulande falsch?

Ich habe die Berichte, die Sie ansprechen, nicht selbst gelesen. Ich spreche kein Deutsch. Wenn dies dort so steht, wie Sie sagen, dann sind sie nicht falsch, aber sie sind eben auch nicht vollständig. Wenn ausländische Organisationen und christliche Hilfswerke – in ihren Newslettern und Magazinen – darüber berichten, dass mit ausländischem Geld in Indien Hilfe geleistet wurde und deshalb über Nacht sich Menschen massenhaft zum Christentum bekehrt haben, muss das bei den lokalen Behörden auch Zweifel an den lauteren Motiven der NGOs wecken.

Dient die Hilfe letztlich nur dazu, Menschen zu einem anderen Glauben zu leiten? Die Berichterstattung führt dazu, dass von Amtswegen noch genauer darauf geachtet wird, dass ausländische Organisationen alle behördlichen Vorschriften erfüllen und bei Verstößen – das betrifft dann die NGOs und deren Partner und Kirchen in Indien – sanktioniert wird. Das kann dann wiederum als Benachteiligung von Christen gewertet werden. Man muss bei Berichten über Benachteiligung ausländischer Organisationen in Indien genau hinsehen und die Ursachen prüfen.

„Eine pauschale Verurteilung der Regierung halte ich nicht für angemessen.“

NGOs fühlen sich von der indischen Regierung gegängelt und haben deshalb humanitäre Hilfe eingestellt oder massiv zurückgefahren …

Was ausländische Spenden angeht, gibt es genaue und strenge Vorgaben der indischen Behörden, wie viel von einer Spende dem Spendenzweck zufließen muss und wie viel für die Verwaltung und Löhne abgezogen werden darf. Das ist gesetzlich genau geregelt. Wenn ausländische Gelder ordnungsgemäß – etwa für humanitäre Hilfe – verwendet werden und darüber ordnungsgemäß Rechenschaft erfolgt, wird das von den Behörden akzeptiert. Ansonsten drohen Sanktionen.

Vielleicht haben sich ein paar wenige Organisationen nicht oder zu nachlässig an die behördlichen Vorgaben gehalten, und deren Buchführung und das Belegwesen waren lückenhaft, und deswegen leiden nun andere mit. Ich habe deren Buchführung nicht gesehen. Aber ich kann mir vorstellen, dass auch vertrauenswürdige Organisationen, die schon lange im Land gearbeitet haben, nicht alles digitalisiert hatten und deswegen nun nicht ordentlich nachweisen können, dass sie all die Jahre korrekt gearbeitet haben.

Die Behörden achten genauer auf die Einhaltung der Vorgaben als noch vor ein paar Jahren. Eine pauschale Verurteilung der Regierung halte ich nicht für angemessen. Einige Organisationen und auch Kirchen, die Gelder aus dem Ausland erhalten haben, sind gegenüber den Behörden nicht vollkommen transparent gewesen. Dagegen ist die Regierung vorgegangen.

Was sollten Christen hierzulande über die Glaubensgeschwister in Indien wissen?

Indien ist ein riesiges Land mit vielen Religionen. Christen gibt es jedoch nur wenige im Land. Sie machen nicht einmal drei Prozent der indischen Bevölkerung aus. Die unterschiedlichen Konfessionen – mehrheitlich gehören indische Christen der katholischen Kirchen an – pflegen aber eine gute Zusammengearbeitet über ein christliches Forum, das sich in allen Bundesstaaten des Landes etabliert hat.

Spielt das indische Kastensystem bei Christen noch eine Rolle?

Ja leider, auch unter Christen besteht das Kastensystem weiter. Vor allem in den ländlichen Gebieten. Jemand, der aus einer höheren Kaste stammt, wird keinen Partner aus einer niedrigeren Kaste heiraten. Das hat viel mit dem Prestige, der Erziehung und sozialer Stigmatisierung zu tun. Das ist die Mentalität in Indien. Menschen, die aus der einen Kaste kommen, auch wenn sie zum Christentum konvertiert sind, gehören weiter in diese Tradition und zu diesen Bräuchen. Es ist sehr schwierig, da herauszukommen.

Das Kastensystem stimmt offensichtlich nicht mit dem überein, was die Bibel sagt. Aber es gibt Menschen, die zwar der Bibel folgen wollen, sich dennoch dafür entscheiden, dies nicht zu 100 Prozent zu tun. Manche Menschen entscheiden selektiv, welcher Teil der Bibel zu dem Lebensstil passt, den sie in ihrem Umfeld pflegen. Das ist überall auf der Welt so. Auch in Indien.

Vielen Dank für das Gespräch!

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