Hitler-Putsch scheitert – auch dank einer Katholikin

Vor 100 Jahren probte Adolf Hitler den ersten Aufstand. Der „Bürgerbräu-Putsch“ konnte verhindert werden. Das ist unter anderem einer gläubigen Katholikin zu verdanken, die ein wenig in Vergessenheit geraten ist.
Von Jörn Schumacher
Die schwedisch-deutsche Politikerin Ellen Ammann

Sein Putsch am 8. und 9. November 1923 in München scheiterte, dennoch legte er den Grundstein für Hitlers spätere Popularität im Deutschen Reich. Das Scheitern ist auch der engagierten Katholikin, Politikerin, Frauenrechtlerin und Gründerin des katholischen Bayerischen Frauenbundes, Ellen Ammann zu verdanken.

Der „Hitlerputsch“, der auch als „Hitler-Ludendorff-Putsch“ oder „Bürgerbräu-Putsch“ bekannt ist, jährt sich am 8. November zum 100. Mal. Adolf Hitler und Erich Ludendorff wollten nach dem Vorbild Mussolinis die Reichsregierung in Berlin stürzen. Das Ziel war die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und die Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur.

München hatte sich in den 1920er Jahren zu einer Hochburg mehrerer rechter Gruppierungen entwickelt. Hitler war zum Führer des „Deutschen Kampfbundes“, der neuen Dachorganisation der Vaterländischen Verbände, gewählt worden. Der neu ernannte diktatorische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr erklärte den Ausnahmezustand, setzte die Grundrechte außer Kraft und übernahm das Kommando von bayerischen Truppen der Reichswehr. Der offene Bruch mit der Weimarer Republik war vollzogen.

Trotz Scheitern ein Erfolg für Hitler

Am Abend des 8. November 1923 hielt Kahr im Münchener Bürgerbräukeller vor Mitgliedern des bayerischen Kabinetts und Prominenten aus nationalistischen Lagern eine Rede. Hitler, der befürchtete, dass Kahr die nationale Revolution ohne ihn ausrufen könnte, stürmte gemeinsam mit Hermann Göring und weiteren Nationalsozialisten die Veranstaltung etwa 30 Minuten nach deren Beginn.

Er stieg auf einen Stuhl, feuerte mit einer Pistole in die Decke und verkündete die Ausrufung einer Revolution. Hitler brachte Kahr – nach späteren Aussagen mittels Erpressung – auf seine Seite. Die Regierung in Berlin erklärten die Putschisten für abgesetzt und sie gründeten eine eigene provisorische Nationalregierung.

Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Franz Matt versuchte mit einem Rumpfkabinett von Regensburg aus die Regierungsgewalt zu sichern. Kahr widerrief um 2:55 Uhr nachts im Rundfunk die ihm „mit vorgehaltener Pistole abgepressten Erklärungen“ und erklärte die NSDAP für aufgelöst. Am nächsten Tag kam es in der Münchener Innenstadt noch zu Scharmützeln zwischen der Polizei und den Hitler-Putschisten.

Vor der Feldherrnhalle auf dem Odeonsplatz wurden vier Polizisten, dreizehn Putschisten sowie ein Schaulustiger getötet. Hitler entkam durch Flucht in einem Sanitätsauto. Er wurde am am 11. November 1923 in Uffing am Staffelsee festgenommen. Hitler wurde zu einer eher milden Strafe von fünf Jahren Haft verurteilt. Schon nach acht Monaten kam er frei.

„Der Putschversuch Hitlers hätte womöglich ein anderes Ende genommen“

In der Zeit der Haft begann Hitler mit dem Verfassen seines Manifests „Mein Kampf“. Darin formulierte er seine Gedanken zur Herrschaft Deutschlands über Kontinentaleuropa, zum Sozialdarwinismus und zum rassenideologischen Antisemitismus. Obwohl Hitlers Versuch, die Macht im Staat zu erobern, kläglich gescheitert war, war er am Ende ein Vorteil für ihn: sein Bekanntheitsgrad stieg.

Später überhöhte die nationalsozialistische Bewegung den Putschversuch von 1923 zu einem Symbol eines heldenhaften Aufstandes für das Vaterland. Nach seiner Haftentlassung versuchten sowohl Hitler als auch Ludendorff, völkische Strömungen um sich zu scharen und zu einer starken politischen Kraft zu formen. Beide unterschieden sich nach Auffassung von Historikern unter anderem in einem Punkt stark voneinander: Während Hitler machiavellistisch nach einem Modus vivendi sowohl mit den Protestanten als auch mit den Katholiken suchte, hatte Ludendorff gemeinsam mit seiner Frau Mathilde esoterisch-religiöse Vorstellungen entwickelt, bei denen es um eine germanische Rasse-Religion ging. Diese war mit den christlichen Kirchen unvereinbar.

Wenig bekannt ist der Part der Politikerin und kirchlichen Aktivistin Ellen Ammann an dem Ereignis von 1923. Ellen Aurora Elisabeth Morgenröte Ammann wurde 1870 in Stockholm geboren. Beide Eltern waren Journalisten. Ammann wurde zwar protestantisch getauft, doch von ihrer Mutter, die zum katholischen Glauben konvertiert war, katholisch erzogen worden. Das Mädchen ging auf eine katholische Schule, im Alter von 14 Jahren konvertierte sie selbst zum Katholizismus.

Sie studierte in Schweden Heilgymnastik. Im Jahr 1890 heiratete sie 20-jährig den deutschen Orthopäden Ottmar Ammann, das Paar zog nach München. Sie bekamen insgesamt sechs Kinder, der älteste Sohn Albert Maria (1892–1974) wurde katholischer Priester und Kirchenhistoriker.

Ammann gründete 1895 den „Marianischen Mädchenschutzverein“ mit. Frauen hatten zu jener Zeit nur wenige Chancen auf Ausbildung und Beruf; der Traum von einem besseren Stadtleben endete für junge Frauen oft schon am Ankunftsbahnhof, wo Mädchenhändler sie in die Prostitution führten. Ammann gründete daher die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands, die sie mehr als zwei Jahrzehnte selbst leitete. 1904 gründete sie zudem den Münchner Zweig des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), um politisch für die Rechte von Frauen einzutreten. Außerdem gründete Ammann 1911 den bayerischen Landesverband des Katholischen Frauenbundes.

Päpstlicher Orden für den sozial-karitativen Einsatz

Im Jahr 1909 begann sie mit dem Aufbau der „Soziale und Caritative Frauenschule“, eine der ersten Ausbildungsstätten für soziale Arbeit in Deutschland. Bis zu ihrem Tod unterrichtete sie einmal wöchentlich das Fach „Frauenfrage und Frauenbewegung“. Im Jahr 1970 wurde die Institution in die heutige Katholische Stiftungshochschule München integriert. 1914 wurde Ellen Amman für ihren sozial-karitativen Einsatz mit dem Päpstlichen Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ ausgezeichnet.

Sie gründete 1919 die Vereinigung Katholischer Diakoninnen (heute: Säkularinstitut Ancillae Sanctae Ecclesiae). Sie erklärte: „Wir brauchen neben der verheirateten Frau eine Schar von unverheirateten Frauen, die unabhängig sind, die aus Liebe zu Gott verzichtet haben auf die Ehe und sich ganz rückhaltlos der Bewegung, der sozialen Versöhnungsarbeit, der Caritas gewidmet haben mit allen ihren Kräften, und zwar nicht als Klosterfrauen, sondern in jenem dritten Beruf der Jungfrau in der Welt, der noch zur vollen Blüte sich entfalten muss.“

Nach Einführung des Frauenwahlrechts 1918 wurde Ellen Ammann als eine der ersten Frauen in den Bayerischen Landtag gewählt, dem sie bis 1932 angehörte. Als eine der wenigen Politiker der damaligen Zeit betrachtete sie mit besonderer Sorge die zunehmende Erstarkung des Nationalsozialismus. Sie bemühte sich im Frühjahr 1923 um eine Ausweisung Adolf Hitlers aus Bayern.

Ammann hatte am Abend des 8. November zufällig von den Putschplänen der Nationalsozialisten erfahren und verständigte daraufhin per Telefon alle Mitglieder der Regierung, die noch nicht von den Putschisten verhaftet worden waren. Den stellvertretenden Ministerpräsidenten Franz Matt benachrichtigte einer ihrer Söhne sogar mit dem Fahrrad. Ammann holte die Politiker in die von ihr gegründete Frauenschule, dort konnten sie sich beraten.

Noch am selben Abend erklärten sie in einer Regierungserklärung den Putsch zum Staatsverbrechen. Ammann organisierte zudem ein Auto, das die Regierung in ein Ausweichquartier nach Regensburg bringen konnte. „Hätte Amman gezögert, die Politiker um Franz Matt wären wohl von den Nationalsozialisten überrascht worden“, schrieb zum 90-jährigen Gedenken ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung. „Und der Putschversuch Hitlers hätte womöglich ein anderes Ende genommen.“ Franz Matt erinnerte sich später mit den Worten: „Die Kollegin Ammann hatte damals mehr Mut bewiesen als manche Herren.“

Ellen Ammann starb am 23. November 1932 in München an den Folgen eines Schlaganfalls im Alter von 62 Jahren. Anlässlich ihres 150. Geburtstages im Jahr 2020 ersuchte der bayerische Landesverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), unterstützt vom Münchener Weihbischof Wolfgang Bischof, Kardinalerzbischof Reinhard Marx um die Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens.

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