Heiligs Blechle

Die Liebe von Autofahrern zur ihrem PKW hat pro-Kolumnist Jürgen Mette veranlasst, den Umgang mit dem Ehepartner zu hinterfragen. Seine Erkenntnis könnte Ehen retten.
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

Samstagnachmittag an der Tankstelle. Beim Tanken habe ich die Ausfahrt der Waschstraße im Blick. Ein älterer Herr steuert den noch nicht ganz trockenen aber schon strahlenden Golf aus der Anlage und parkt seinen kleinen vierrädrigen Lebenstraum behutsam auf dem Platz, wo die Staubsauger und Luftpumpen stehen. Sie trägt einen roten Pulli zum braunen Rock, er trägt eine Batschkapp, wie wir sie von Heinz Becker kennen, und über dem karierten Hemd eine gemusterte Strickweste.

Das Klischee des am Samstag autowaschenden Rentners ist perfekt inszeniert. Nur dass alles wirklich live ist, das fesselt mein ganzes Interesse. Er holt aus dem Kofferraum eine Plastikflasche, sie fingert aus dem Handtäschchen weiße Wattepads, genau die, die meine Frau immer bei der Kosmetik verwendet. Und dann nimmt das Ritual der Anbetung seinen Lauf. Er gießt das kostbare Pflegemittel vorsichtig auf die Kosmetikwatte, beugt tatsächlich die Knie vor seinem fahrbaren Blechgehäuse und lässt sich auf eine Fußmatte direkt vor den Felgen nieder, um die Insignien seines bescheidenen Wohlstandes liebevoll zu pflegen.

„Hast du etwas Zeit für mich?“

Der ältere Herr hat sichtlich Mühe, die Knie noch krumm zu kriegen, aber er ist mit Andacht und Hingabe bei der Sache. Überall wo die Maschinenbürsten nicht hingekommen sind, wo der Abrieb der Bremsbeläge wie Zahnstein auf dem Gebiss klebt, da fingert er sich mit Inbrunst Millimeter für Millimeter durch die Felgenöffnungen. Frau Gemahlin steht aufmerksam daneben und reicht immer wieder artig das Pflegemittel und hält frische Wattebäusche bereit. Als ich vom Bezahlen zurückkomme, hat er die erste Felge nahezu sauber. Fast zärtlich trocknet er mit einem feinen Wolltuch das Objekt seiner Anbetung ab.

Ich kann nicht anders, als den gebeugten Herrn mit einem schelmischen Augenzwinkern zu fragen, ob er denn seine Gattin auch so liebevoll pflegen würde. Die verdreht die Augen und zwinkert mir mit einem vielsagenden Blick zu, als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Er, sichtlich verlegen und irritiert, stammelt etwas von Wiederverkaufswert und vom schlechten Zustand der Waschanlage.

Ich habe dann mit irgendeiner Nettigkeit die peinliche Spannung aufgelöst und er konnte am Ende auch wieder lächeln. Ob er die Lektion verstanden hat?

Wenn alle Männer so viel Zeit für ihre Frau investieren würden, wie sie sich für das Auto nehmen, dann wäre schon viel erreicht.

Von: Jürgen Mette

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