Meinung

Hartl will zurück in die Zukunft

Johannes Hartl hat ein Buch geschrieben, das postmodernen Menschen den Weg zurück in den Garten Eden weisen will. Dabei ist es fortschrittsskeptisch und zukunftsweisend zugleich. Eine Lektüre voller Ärgernisse und Lichtblicke.
Von Anna Lutz

„Eden Culture“ ist ein Buch, so vielschichtig, herausfordernd, ärgerlich und erhebend wie der Autor selbst. Johannes Hartl ist vieles: Gründer eines hoch frequentierten und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Gebetshauses. Vermittler konservativer Weltsichten, etwa der Ablehnung der Pille. Jesus-Verkündiger auf Social Media-Plattformen wie Instagram. Und nicht zuletzt ein echter Freund und Verfechter der Kunst. Diese Kombination kann es einem manchmal schwindelig werden lassen. Man will ihn abtun als religiösen Fundamentalisten. Und bewundert ihn zugleich für sein Bemühen um das Schöne, das allzu oft in religiösen Kreisen gering geachtet ist. Nicht zuletzt ist Hartl ein hervorragender Redner, einer der wenigen wirklich Sprachfähigen der Kirche.

Foto: Julia Marie Werner
Johannes Hartl ist wertkonservativ, aber auch Kunstliebhaber und ein Fan des Schönen

Im Grunde ist damit auch schon das Für und Wider seines neuen Buches besprochen. „Eden Culture“ ist eine Berg- und Talfahrt. Eine Beleidigung feministischer Ideen, ein Schlag ins Gesicht des Silicon Valley und anderer Fortschrittstreiber, aber auch ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Kunst, der Avantgarde, dem Sinn. Doch beginnen wir am Anfang: Im Garten Eden. Der Katholik Hartl will seinen Lesern im neuen Buch den Weg zurück in eben jenen paradiesischen Zustand weisen. Dabei hat er den gestressten postmodernen Menschen vor Augen, zerrissen zwischen Beruf und Elternschaft, zwischen Burn-Out und Sinnsuche, überfordert von den Optionen der heutigen Welt, in der Gott keine große Rolle mehr spielt. Den Weg zurück in einen Zustand der Ausgeglichenheit sollen drei Prinzipien ebnen: Verbundenheit, Sinn und Schönheit.

Geschlechterklischees und Waldspaziergänge

Verbindung vermisst Hartl zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen dem Individuum und seinem eigenen Körper, zwischen Mensch und Natur sowie dessen kultureller Herkunft und natürlich zwischen Mensch und Gott. Spiritualität, das Miteinander mit Gott, so Hartl, soll all diese Dimensionen umfassen. Letztendlich lebe derjenige in gesunden Beziehungen, der seine Familiengeschichte aufgearbeitet habe, sich selbst und die Schöpfung schätze und auf diesem Weg lerne, einfach sein zu können. Ohne den Druck der Welt ständig auf den Schultern zu spüren. Dazu empfiehlt der Autor einsame Waldspaziergänge und das Wiederentdecken der eigenen Heimat.

Das klingt noch idyllisch und unstrittig, doch Hartl geht weiter: Das Kapitel beinhaltet auch ein flammendes Plädoyer gegen Krippenbetreuung und zeichnet ein düsteres Bild der Digitalisierung. „Wir sind Bindungswesen, gestrandet in einer immer isolierteren Welt“, schreibt Hartl mit Blick auf digitale Medien. Dabei waren sie es doch, die Verbindung in Zeiten der Pandemie erst ermöglicht haben. Unsichere Bindungsmuster seien zudem Folge zu früher Trennungen von der Mutter, deren Körper hormonell darauf angelegt sei, das Kind zu betreuen. Erst nach dem zweiten Lebensjahr nehme die Bedeutung des Vaters „rapide zu“. „Ein Kind braucht Vater und Mutter“, gilt dann im Weiteren. Hartl zieht zu alldem viele Studien und Belege heran, eine wahre Fleißarbeit. Dennoch fragt man sich: Wie soll sich die alleinerziehende Mutter, die auf eine frühe Betreuung angewiesen ist, oder die gerade neu entstandene Patchworkfamilie fühlen, wenn sie das liest? Ihre Bindungsfähigkeit, laut Hartl einer von drei Bestandteilen auf dem Weg zurück zum Paradies, ist demnach per se schwer angekratzt. Hoffnung vermittelt das nicht – oder nur für diejenigen mit dem vermeintlich gelingenden Familienleben.

Immer wieder greift Hartl bei seiner Kritik auf das Bild der guten alten Zeit zurück: Seine eigene Schulzeit, in der die Mütter nur halbtags arbeiteten etwa und alle Kinder erst mit vier Jahren in den Kindergarten kamen. Oder die Zeit vor der Industrialisierung, in der die Kinder selbstverständlich den Alltag der Eltern teilten. Gelegentlich will man dem Autor bei der Lektüre zurufen: Jungen und Mädchen, die den ganzen Tag auf dem Feld der Eltern mitarbeiten mussten, hatten womöglich auch keine pädagogisch wertvolle Kleinkindzeit. Früher war keinesfalls alles besser, so sehr sich Hartl dieser Verklärung zu bedienen bemüht.

Vergessene Schönheit wiederfinden

Doch es geht weiter mit den Kapiteln zu Sinn und Schönheit. Und wie die Titel schon sagen: Sie verleihen dem Buch in der Tat beides. Denn natürlich ist es mehr als eine Binsenweisheit, wenn der Autor darauf verweist, dass es schwer geworden ist, in einer Welt der vielfältigen Optionen und des Konsums echten Sinn zu entdecken. Denn den geben eben nicht die Kleider im Schrank, mögen sie noch so hübsch sein, und auch nicht die Stunden, die wir auf Facebook oder TikTok verbringen. „Der Kult der Ablenkung ist Sinn-feindlich“, schreibt Hartl.

Und er hat recht.

Es ist gut, daran erinnert zu werden. Und mehr noch: Die Vielfalt um uns herum sorgt auch für den Verlust von Wahrheit. Im Zeitalter alternativer Fakten fällt es schwer, das Gemeinsame und Verbindende zu finden. Sich auf Werte zu verständigen – weil jeder sich seine eigene Welt zusammenbasteln zu können glaubt. Die Postmoderne ist deshalb auch das Zeitalter der Suche nach einer gemeinsamen großen Erzählung, die die Welt ordnet. Hartl findet diese Erzählung im christlichen Glauben, denn: „In der Gegenwart des Heiligen wird der Mensch heil.“

Den Beweis für das Göttlichen in der Welt findet Hartl in der Schönheit. Denn Schönheit folgt keinem Zweck. Keinem evolutionären Ziel. Sie ist da und der Mensch erfreut sich an ihr. Er darf einfach sein, im Angesicht des Schönen. Umso wichtiger ist es laut Hartl, eben dieses neu zu entdecken: In der Natur, im Gegenüber und in der Kunst. Sogar dann, wenn es nicht den Maßstäben dieser Welt entspricht. „Nur, wenn wir lernen, auch im armen, im leidenden, im behinderten, ungeborenen und sterbenden Menschen etwas zutiefst Würdevolles zu sehen, spüren wir unseren eigenen unverbrüchlichen Wert als Mensch“, schreibt Hartl, und weiter: „Das Schöne und das Heilige sind zwar nicht dasselbe, aber ihre Adressen haben dieselbe Postleitzahl.“

Es ist dieses Plädoyer für Schönheit, für Genuss und Schöpfungskraft des Menschen, die die besondere Stärke dieses Buches ausmacht. Denn Kunst ist ein für viele fromme Christen vernachlässigbares Ding geworden. Sie erscheint nicht heilig genug. Nicht funktional genug. Zeitverschwendung. Dabei blicken wir im Schönen in gottgegebene Kreativität, sei es durch Musik, Malerei oder Bauwerke. Diese Wiederentdeckung treibt Hartl seit Jahren voran – unter anderem durch seine Schön-Konferenz im Jahr 2018, die die Kunst in den Mittelpunkt stellte. „Wir brauchen eine Renaissance der Schönheit!“, schreibt Hartl. Und bei aller Kritik an Fortschrittsskepsis und stereotypen Rollenbildern, allein dieser Aufruf ist es wert, dass „Eden Culture“ gelesen wird – in der Hoffnung, dass sich Christen und Kirchen neben der Theologie auch um die Kunst bemühen. Denn sie kann Gott in einer verwirrend komplexen Welt für das Herz sichtbar machen.

Johannes Hartl: „Eden Culture. Ökologie des Herzens für ein neues Morgen
“, Verlag Herder, 304 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-451-03308-7

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7 Antworten

  1. „In der Gegenwart des Heiligen wird der Mensch heil.“ passt gut zur Theologie der kath. Kirche.
    In der Bibel finden wir die Kapitulation im Angesicht des Heiligen, bei Petrus (Lk 5,8) oder Jesaja (6,5). Gott möchte nicht, dass wir etwas anderes als Ihn an erste Stelle setzen, wie es Römer 1,18+ und das doppelter Liebesgebot klar ausdrücken. Schade dass diese zentrale Aussage der Bibel anscheinend nicht in Hartls Buch vorkommt!

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  2. Wenn eine junge, alleinerziehende Mutter ihr Kind in die Fremdbetreuung gibt, ist das selten eine wirklich freiwillige Entscheidung, von wenigen Egoistinnen abgesehen. Es ist einmal nicht selten die Folge von Unzucht, wenn es durch Beziehungen außerhalb der Ehe zu Geschlechtsverkehr mit Folgen kommt. Diese Beliebigkeit der Beziehungen ist eine Ursache, Hartl spart das nicht aus. Wir alle, auch Christen nicht, können uns aus der Welt lösen, in der wir leben. Wenn hier beschrieben wird, daß die Digitalisierung während Corona vieles erst möglich gemacht hat, dann wird auch wieder ausgespart, was denn zu Corona geführt hat. Bisher ist nicht ausgeschlossen, daß es doch passiert ist, weil Menschen Gott spielen wollten und mit den Erregern experimentiert haben. Dann ist die Verbreitung des Virus durch Reisetätigkeit begünstigt worden, hier ist oft Gier die Triebfeder, z.B. von Webasto Teile der Produktion in den Schurkenstaat China zu verlegen. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich hätte da manches verhindert. Frau Lutz ist offenbar nicht in der Lage in komplexen Zusammenhängen zu denken. Es ist doch der aus dem Marxismus entstandene Feminismus der die Berufstätigkeit von Frauen zur Normalität gemacht hat. Daß eine vollumfängliche Fremdbetreuung von Kindern nicht zu einer höheren Geburtenrate führen, kann man sehen, wenn man die Zahlen BR Deutschland und „DDR“ vor der Deutschen Einheit vergleicht. Da gibt es keine signifikanten Unterschiede. Die Berufstätigkeit der Frauen ist auch im Sinne der Wirtschaft. Bei einem höheren Arbeitskräfteangebot kann man die Löhne niedrig halten, Arbeitslosigkeit ist erwünscht. Auch gibt es so mehr Geld in der Hand von Frauen, die für Konsum empfänglicher sind, gleichzeitig erlangt man so auch immer mehr die „Lufthoheit“ über die Kinderbetten. Merkwürdigerweise ist sich da das Kapital mit den Linken sogar einig, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Es ist überhaupt nicht untersucht, nicht erwiesen, daß eine Frau glücklicher ist, wenn sie erwerbstätig ist. Berufstätig ist eine Hausfrau und Mutter auch, nur wird das verkannt. Warum werden die Mütter bis heute nicht entlohnt, mit Rentenpunkten bewertet, wie es ihrer enormen Arbeitsleistung entspricht?
    Und was die digitalen Medien angeht, es gibt zwar mehr, aber die Qualität, die muß man immer mehr mit der Lupe suchen. Das begann schon mit dem Aufkommen weiterer Fernsehprogramme, die Sendezeit muß gefüllt werden, nur so kann Werbung verkauft werden. Und je mehr sich das Programm an Dumme richtet, umso besser, die sind leichter von Werbung verführbar. Bei nur zwei Programm sorgte begrenzter Programmplatz schon für eine Auswahl auch nach Qualität. Nein, es ist nicht alles schlecht, viele Dinge auf YouTube finden in keinem Fernsehprogramm Platz, obwohl sie sehr wertvoll sind, wie z.B. Reparaturanleitungen oder Reihen wie die „Autodoktoren“. Nur es kostet Zeit, sehr viel Zeit die Perlen zu finden zwischen all dem Schrott, zwischen schadenfrohen Filmchen, extremistischer Propaganda und Katzenvideos. Ja, auch haben Mobiltelefone sicher schon vielen das Leben gerettet, weil eben fast jeder von fast überall Hilfe anfordern kann, ohne mühsam eine Telefonzelle zu suchen, was z.B. in der freien Natur naturgemäß unmöglich ist. Digitalisierung ist nur ein Werkzeug, das kann man für Gutes nutzen oder für Mist, so wie man mit einem Messer Kartoffel schälen kann, etwas Schönes schnitzen oder eben jemanden erstechen.
    Daß Hartl die Kommentatorin aufregt zeigt, daß er wohl in vielen Dingen Recht hat, übrigens hat auch Jesus heftigen Anstoß erregt, so ist der Pfarrer in bester Gesellschaft.

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  3. Vielen Dank für diese differenzierte Rezension. Ich freue mich, wenn Menschen in der Lage sind, nicht nur aus den Schützengräben ihres ‚Lagers‘ zu feuern, sondern offen und unvoreingenommen anderen Menschen und Ideen begegnen. Leider ist das nur bei wenigen Kommentatoren hier der Fall.

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  4. Auch ich möchte mich für diese differenzierte Rezenzsion bedanken. Es scheint eine Gemeinsamkeit christlicher Massenevents zu sein, sich mangelnde Differenzierung, bspw. eine zu große Nähe zum Zeitgeist (Kirchentag), eine zu flache Theologie der Art „Gott ist Liebe“ (Taizé) oder Ewiggestrigkeit (Johannes Hartl) vorwerfen lassen zu müssen. Da hebt sich das pro-Medienmagazin oft positiv von ab.

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  5. Frau Lutz schreibt: „Das Kapitel beinhaltet auch ein flammendes Plädoyer gegen Krippenbetreuung (…)“.

    Dr. Hartl schreibt: „Selbstverständlich gibt es auch Situationen, in denen eine zeitintensive Betreuung des Kindes innerhalb der Familie schlicht nicht möglich oder höchst problematisch ist. Fest steht: Unabhängig davon, ob Kinder zu Hause oder in einer Einrichtung betreut werden, brauchen sie in erster Linie ein Gegenüber, das über Feinfühligkeit verfügt, damit das Kind eine sichere Bindungsbeziehung aufbauen kann. Weder ist das in allen Familien gegeben, noch bringt berufliche Expertise als Erzieher oder Pädagogin das automatisch mit sich. Entscheidend jedoch ist der Betreuungsschlüssel.“
    (Eden Culture, S.78-79)

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