„Es geht mir nicht darum, recht zu haben“

Hanno Herzler schult als Rhetoriktrainer andere Menschen darin, ihre Botschaft überzeugend rüberzubringen. Wie kann das gelingen, wenn Christen über ihren Glauben sprechen? Und wie würde sich Debatten verändern, wenn man sich an Jesus orientierte?
Von Jonathan Steinert
Hanno Herzler

PRO: Was muss eine Rede haben, damit Sie gern zuhören?

Hanno Herzler: Einem Vortrag kann ich dann gut folgen, wenn mich nichts stört; wie etwa dass jemand häufig „ähm“ sagt oder mitten im Satz öfter nicht mehr weiter weiß. Wichtig sind natürlich auch eine überzeugende Argumentation, eine gute Gestik sowie eine interessante Stimme und Sprechweise. Mit Markus Lanz würde ich zum Beispiel gern daran arbeiten, dass er die einzelnen Laute länger hält, um nicht immer wieder unfreiwillig ins Stocken zu geraten; und dass er Wörter wie „wahnsinnig“ oder „unheimlich“ weniger inflationär gebraucht.

Mittlerweile lässt sich mit wenigen Sekunden Tonmaterial eines Sprechers eine künstliche, digitale Stimme erzeugen, um zum Beispiel Texte vorlesen zu lassen oder mit Kunden zu sprechen. Welche rhetorische Qualität hat das?

Das, was ich bisher an KI-generierter Sprache gehört habe, bleibt noch weit hinter menschlichem Sprechen zurück. Da klingen die unterschiedlichen Emotionen in der Stimme an den falschen Stellen auf oder fehlen ganz. „Wer redet, führt“ – nämlich den Gedankengang des Zuhörers durch sinnhafte Betonungen. Die erscheinen mir bei KI-generierter Sprache ganz unzulänglich. Noch.

Welche Bedeutung hat die Art und Weise, wie ich einen Inhalt vortrage, dafür, welche Wirkung meine Worte beim Hörer hervorrufen? Kann der Inhalt auch für sich wirken?

Das Wort als Begriff, als Sinnträger, ist natürlich das, worauf es uns beim Reden meist ankommt. Die Form sollte dem Inhalt so dienen, dass er optimal vermittelt wird. Wenn sich freilich starke Emotionen Bahn brechen, sprechen die lauter als der Sachgehalt; auch das ist legitim.

„Man kann seine Meinung einem Anderen wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen – oder sie ihm hinhalten wie einen wärmenden Mantel.“

Sie wehren sich dagegen, von „rhetorischen Tricks“ zu sprechen. Trotzdem geht es bei Rhetorik darum, mit bestimmten Worten, Stilmitteln und Körpersprache eine gewünschte Wirkung zu erreichen. Wo ist die Grenze zur Manipulation?

Dienen „Tricks“ nicht der Absicht, das Gegenüber zu täuschen und zu manipulieren – es also in eine Richtung zu drängen, die es nicht will oder die ihm zumindest undurchsichtig bleibt? Bei der Frage „Beeinflussung oder schon Manipulation?“ geht es vor allem um Aufrichtigkeit. Dafür haben Menschen meist ein feines Gespür. Etwas anderes ist es, die Wahrheit in Liebe auszusprechen. Da entscheidet die Balance: Ich möchte klar, aber annehmbar kommunizieren. Man kann seine Meinung einem Anderen wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen – oder sie ihm hinhalten wie einen wärmenden Mantel.

Sie geben Schulungen dafür, wie man Bibeltexte gut vorliest. Warum muss man das üben?

Weil die Heilige Schrift nicht unaufmerksam gelesen sein will! Es erscheint mir unangemessen, das Wort Gottes hektisch, zerstreut oder halb geistesabwesend vorzutragen. Wenn ich hingegen den Text vorher genau anschaue und zu mir sprechen lasse, kann ich ihn, womöglich ohne zu stocken, vor allem aber mit innerer Beteiligung vortragen. Alles andere erscheint mir fast wie ein Frevel, um ein großes Wort zu verwenden.

Hanno Herzler, Sprecher, Rhetoriktrainer Foto: Petra Herzler-Grossmann

Zur Person

Hanno Herzler, Jahrgang 1961, ist freischaffender Sprecher, Rhetoriktrainer, Autor und Regisseur – unter anderem von Hörspielen für Kinder und Jugendliche, Büchern und Musicals. Er hat auch zahlreiche Hörbücher produziert, darunter Hörbibeln nach der Übersetzung von Schlachter und „Hoffnung für alle“ sowie der Bestseller „Das Gebet des Jabez“. Derzeit arbeitet er an einer neuen Hörfassung der Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann. Der evangelische Theologe ist auch als Redner für Trauerfeiern und Hochzeiten tätig. Für PRO hat er vor der Bundestagswahl die Rhetorik in der Politik analysiert.

Ist nicht jedes Vorlesen auch eine Interpretation, mit der man die Hörer in eine bestimmte Richtung lenkt?

Wenn Sie etwas vorlesen, können Sie in der Tat Ihre Persönlichkeit nicht verstecken. In einem Seminar las ein Teilnehmer mal einen Bibeltext bewusst monoton und völlig beteiligungslos. Auf meine Frage nach dem Grund sagte er, das habe er in seiner Gemeinde so gelernt: Der Bibeltext solle ganz im Mittelpunkt stehen, und er als Person habe sich komplett zurückzunehmen. Ich sagte: Das geht vielleicht, wenn du den Text per Beamer an die Wand wirfst. Sobald du aber dem Text deine Stimme leihst, trittst du als Person mit in Erscheinung. Und wer dabei völlig unbeteiligt tut, suggeriert dem Hörer, dass die Worte nichts bei ihm auslösen. Wie kannst du dann hoffen, dass sie es bei den Zuhörern tun?

Paulus sagt: „Ihr seid ein Brief Christi“ (2. Kor 3,3; d. Red.) – das heißt nicht nur, dass wir selber immer mit vorkommen, wenn wir das Wort Gottes weitersagen, sondern dass dies sogar von Gott so gewollt ist. Warum sollte also jemand, der sich aufrichtig in den Dienst Gottes stellt, verleugnen, was ihn emotional berührt?

Worauf kommt es an, wenn wir verständlich von unserem Glauben sprechen wollen in einem Umfeld, wo christliche Inhalte immer weniger bekannt sind?

Konkret hängt dabei für mich vieles an der mentalen und emotionalen Präsenz. Also mein Gegenüber wirklich wahrzunehmen und Einfluss nehmen zu lassen auf meine eigenen Gedanken und Empfindungen, ebenso wie Gott. Es ist uns ja im Neuen Testament verheißen: „Der Heilige Geist wird euch in dem Moment lehren, was ihr sagen sollt“ (vgl. Lukas 12,12; d. Red.). Darauf können wir vertrauen. In dem Moment, wo ich Hoffnung in den Augen des Anderen aufglimmen sehe, wird mir klar, dass das, was ich gesagt habe, etwas ausgelöst hat.

„Bereit sein, den Glauben zu bezeugen, ist etwas anderes, als jemandem etwas aufzudrängen.“

Aber wie können wir Worte finden, mit denen wir einen Glauben, der unser eigenes menschliches Verstehen weit übersteigt – an einen unsichtbaren, ewigen, auferstandenen Jesus – verständlich machen können?

Meine Erfahrung ist, dass man mit nackten Behauptungen wie „Jesus ist auferstanden“, in einen säkularen Raum hineingesprochen, meistens wenig erreicht. Aber meine Erfahrung ist auch, dass zum Beispiel ein freimütiges Gebet, das ich wirklich an Gott richte ­– und nicht insgeheim zur Belehrung an andere –, manchmal viel bewirkt. Dann merken Menschen: Da hat jemand eine innere Beziehung zu etwas Unsichtbarem, das ich nicht kenne, das mich aber anspricht. Ich habe dann einfach nur gezeigt, wie ich Gott lebe und erlebe. Da gebe ich dem Anderen wieder etwas vom „Brief Christi“ zu lesen. Bereit sein, den Glauben zu bezeugen, ist etwas anderes, als jemandem etwas aufzudrängen.

Christen, insbesondere Evangelikale, werden in der allgemeinen Wahrnehmung oft auf bestimmte Themen und Positionen festgelegt, etwa auf ihre Haltung zu Abtreibung, sexualethische Fragen oder ein strenges Befolgen biblischer Gebote. Wie kann man auf so etwas reagieren, ohne unter Rechtfertigungsdruck zu geraten?

Lassen Sie uns doch, statt auf die Reizthemen einzugehen, davon sprechen, was uns der Glaube an den lebendigen Gott positiv bedeutet: Wir haben in jeder Lage ein Gegenüber, das uns liebt! Jemanden, den ich zu Hilfe rufen, bei dem ich klagen oder dankbar jubeln kann. Einen inneren Anker in Situationen, die uns aus der Bahn zu werfen drohen; und eine Hoffnung über die Zeit hinaus. Ich stelle meine persönliche Erfahrung neben die ihre. Es geht mir dann nicht darum, recht zu haben.

Jetzt könnte man einwenden, die Bibel ist die Wahrheit. Also warum sollte man sich nicht darauf berufen, was sie zu diesen Themen sagt?

Die Bibel wird glaubhaft in ihrer Botschaft, wo ich sie an mir wirken lasse. Und dann kann sie eher plausibel werden für andere. Wenn ich hingegen meine Glaubensüberzeugung absolut setze, tue ich nichts spezifisch Christliches, im Gegenteil: Zur Rechthaberei neigt jeder Mensch von Natur aus. Das spezifisch Christliche liegt eher darin, in Liebe zu schauen, wo das, was ich von Gott erfahren habe, für den anderen fruchtbar werden könnte. Dann bekommt das einen ganz anderen Ton.

Was lässt sich daraus für unsere Debattenkultur ableiten? Oft ist sie insbesondere in sozialen Medien sehr emotional aufgeladen und zuweilen verletzend.

Auch ich beobachte eine stark wachsende Abneigung, dem Andersdenkenden in irgendeiner Weise Verständnis entgegenzubringen – also begreifen zu wollen, warum er so denkt oder welche Hintergründe und Erfahrungen ihn dazu gebracht haben. Wenn man das scheut und nur hört, der ist rechts, der ist dies, der jenes, dann entstehen Fronten; und „Fronten“ bedeuten Krieg! Wer dem Anderen jedes Verständnis vorenthält, und sei es auch „nur“ in den sozialen Medien, benimmt sich also kriegerisch – und stellt sich damit gegen den Jesus, der sagt: „Friede sei mit euch.“

Verständnis für den Anderen zu entwickeln, ist so wichtig. Offenbar herrscht aber das Missverständnis, dem Anderen dadurch schon Recht zu geben. Die Souveränität, Verstehen vom Zustimmen zu unterscheiden, können wir bei Jesus lernen. Dann kann ich immer noch deutlich Stellung beziehen, muss aber nicht mehr vordergründig Front gegen jemanden machen. Denn wir haben einander – als Menschen – an irgendeinem Punkt berührt. Leider scheuen das viele Medien heute. Man hält das wohl für gefährlich. Ich halte es aber für genau das Notwendige und göttlich wie menschlich Gebotene. Der Mensch selbst ist für Gott immer wichtiger als dessen Meinung oder Einstellung.

Hanno Herzler Foto: PRO/Christian Biefel
„Verständnis für den Anderen zu entwickeln, ist so wichtig. Offenbar herrscht aber das Missverständnis, dem Anderen dadurch schon Recht zu geben.“ Hanno Herzler im PRO-Interview

Wo fällt Ihnen auf, dass Medien Fronten aufbauen?

Überall da, wo Feindbilder etabliert und Menschen auf wenige Aspekte reduziert werden. So gehen ja die Medien vielfach auch mit nicht stromlinienförmigen Christen, besonders mit „den Evangelikalen“, um. Und gegenüber bestimmten Leuten hat sich die Überzeugung verfestigt, dass man ihnen nicht einmal zuhören darf. Um Ulrich Reitz vom „Focus“ zu zitieren: „Man erkennt diese Art der versuchten Publikumsbeeinflussung stets daran, dass missliebige Politiker vom Interviewer nicht befragt, sondern widerlegt werden sollen. Früher galt so etwas als unjournalistisch.“ Mitunter gehen Medien mit genau der missionarischen Ausschließlichkeit vor, die sie manchen Christen vorwerfen.

Was wünschen Sie sich von Christen für die Debatten, die in unserem Land geführt werden?

Dass wir Brückenbauer sind! Dass wir uns klug verhalten wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Das heißt auch, sich nicht an der falschen Stelle wehrlos zu machen; aber einen verbindenden Akzent zu setzen da, wo es andere nicht tun. So wie es Jesus getan hat: Jesus begegnete der verachteten Frau am Brunnen ebenso offen wie einem Zeloten oder gar einem Zachäus; voller Empathie, aber auch souverän, ohne sich vereinnahmen zu lassen. In solchen Verhaltensweisen ist Gott.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 4/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Hier können Sie das Heft kostenlos bestellen oder online lesen.

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