Belarus: „Kirche hat sich komfortabel eingerichtet im autokratischen Regime“

Der belarussische Autokrat Alexander Lukaschenko ließ sich am Dienstag für seine sechste Amtszeit vereidigen. Das Magazin Der Spiegel berichtet über die Verflechtung von Staat und orthodoxer Kirche in Belarus und dass sich die Mehrheit der orthodoxen Führungspersönlichkeiten angesichts der andauernden Proteste in Schweigen hüllt.
Von Jörn Schumacher
Die Kirchenoberen in Weißussland halten sich bei den Protesten gegen den Autokraten Lukaschenko weitestgehend heraus, kritisieren Interviewpartner des Magazins Der Spiegel. (Die Gedächtniskirche aller Heiligen in Minsk)

Alexander Lukaschenko ist seit 1994 der Präsident von Weißrussland (Belarus), der sich gegen Neuwahlen verweigerte und schließlich am Dienstag während noch laufender Proteste gegen das mutmaßlich gefälschte Wahlergebnis für seine sechste Amtszeit hat vereidigen lassen. Das Magazin Der Spiegel schreibt unter der Überschrift „Priesterprotest in Belarus: ‚Die Mächtigen verletzen die Gesetze Gottes‘“, dass sich die Mehrheit der orthodoxen Führungspersönlichkeiten nicht an den Protesten gegen Lukaschenko beteiligt.

„Wer sich im Internet oder öffentlich kritisch äußert, kommt schnell in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden, wird überwacht oder direkt angegangen“, schreibt Spiegel-Autorin Annette Langer. „Die russisch-orthodoxe Kirche in Belarus ist traditionell ebenso regierungsfreundlich wie die große Schwester im Osten, der sie untersteht.“ Auch wenn offiziell eine Nichteinmischungspolitik bestehe, ließen sich die Geistlichen von der Regierung Lukaschenkos instrumentalisieren. Am 22. August habe Lukaschenko bei einer Massenveranstaltung klargestellt, dass sich Geistliche aller Konfessionen aus der Politik herauszuhalten hätten.

Rund 48 Prozent der Belarussen sind offiziellen Angaben zufolge orthodoxen Glaubens, sie gingen aber längst nicht alle in die Kirche. Die katholische Kirche ist mit einer Million Gläubigen die zweitgrößte Konfession im Land. Der Priester Alexander Shramko erklärt, die belarussische Gesellschaft sei jedoch säkular, und der Einfluss der Kirchen auf die Massen ist „überschaubar“. Shramko war Priester in der Kirche des Heiligen Erzengels Michael in Minsk, doch er kritisierte den Moskauer Patriarchen Kirill, und deshalb sei ihm 2017 ein Schreibverbot erteilt worden, so der Spiegel. Ein Jahr später sei er zusätzlich aus allen Ämtern entfernt worden. Die Kirche denke von sich selbst, sie stehe über der Politik, erklärt Shramko. Er kritisiert, dass sich die Kirche angesichts der angespannten Situation in Belarus zurückhält und ist überzeugt: „Die Mächtigen verletzen die Gesetze Gottes.“ Wenn die Regierung Wahlbetrug betreibe und gewaltsam gegen ihre Bürger vorgehe, „muss die Kirche aufstehen, Stellung beziehen und einen Dialog einfordern“.

Die Leiterin des Vereins „Ökumenisches Zentrum“ und der Gruppe „Christliche Vision“ beim oppositionellen Koordinationsrat, Natallia Vasilevich, sagte gegenüber dem Magazin, die Kirchenführung habe sich „komfortabel eingerichtet im autokratischen Regime, das ihr symbolische, aber auch handfeste ökonomische Privilegien eingeräumt hat“. Vasilevich ist überzeugt: „Die Kirche kann nicht mehr schweigen oder sich verstecken. Sie muss reagieren.“

Von: Jörn Schumacher

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