Spaltet sich die orthodoxe Kirche?

Bartholomaios, der orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, hat die Anerkennung einer weiteren, eigenständigen orthodoxen Kirche in der Ukraine eingeleitet. Im Gespräch mit pro erklärt Thomas Schirrmacher, der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, den Vorgang in der Ukraine.
Von PRO
Nik Nedelchev und Thomas Schirrmacher von der Weltweiten Evangelischen Allianz im Gespräch mit Patriarch Bartholomäus I.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete Mitte September von einer drohenden Spaltung der orthodoxen Kirche. Die Redakteure Gerhard Gnauck und Friedrich Schmidt haben den Beitrag „In Richtung Schisma“ betitelt. Demzufolge ebnet der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, derzeit den Weg für eine eigenständige ukrainische Kirche. Die Verfasser werten den Schritt auch als Erfolg jener ukrainischer Politiker und Kirchenführer zu, die sich für „die Abnabelung des Landes von Moskau“ und damit einen ukrainischen Nationalstaat einsetzen.

pro: Herr Schirrmacher, in der Ukraine soll die bisher schismatische orthodoxe Kirche nun anerkannt werden. Warum ist das auch politisch bedeutsam?

Thomas Schirrmacher: Grundsätzlich ist das nur zu verstehen, wenn man das orthodoxe Verständnis der „Autokephalie“ kennt. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „sich selbst regierend“. Es bedeutet, dass eine Kirche ihr eigenes Oberhaupt, einen Patriarch oder Erzbischof, wählt und sich selbst verwaltet. Aktuell gibt es 14 orthodoxe Kirchen, die das machen. Die 14 Patriarchen und Erzbischöfe haben eine alte Ehrenreihenfolge mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel (heute Istanbul, Anm. d. Red.) an der Spitze. Die Autokephalie wird vom Ökumenischen Patriarchen erklärt, muss aber von allen anderen autokephalen orthodoxen Kirchen anerkannt werden. Daneben gibt es fast ein Dutzend sogenannter „autonomer“ Kirchen, die einer autokephalen Kirche unterstehen, sich aber selbst verwalten.

Es scheint so, als gäbe es tiefe Gräben zwischen den Kirchen?

Die gibt es seit Jahrhunderten zwischen dem Ökumenischen Patriarchen, der in Konstantinopel sitzt, und dem Russischen Patriarchen, der seinen Sitz in Moskau hat. Und auch zwischen ihren Kirchen und Lagern, die auch ohne die Ukraine bestehen. Konflikte gibt es auch über die spezielle Frage der Nationalstaatlichkeit der Ukraine. Wenn nun der Ökumenische Patriarch, Bartholomaios, die Eigenständigkeit der ukrainischen Kirche fördert, wächst die Ablehnung des russischen Patriarchen, Kirill, der traditionell eine enge Beziehung zur Obrigkeit in Russland hat. Wladimir Putin dürfte kein Interesse an einer wachsenden Nationalstaatlichkeit der Ukraine haben, die durch eine anerkannte ukrainisch-orthodoxe Kirche unterstrichen würde. Daher steht auch der russische Patriarch der Anerkennung dieser Kirche kritisch gegenüber. Das Entstehen einer ukrainisch-orthodoxen Kirche hat also auch eine weitreichende politische Dimension.

Sind die Spannungen denn neu?

Seit Jahrhunderten gibt es Spannungen im Einzugsbereich der russisch-orthodoxen Kirche des einstigen russischen Reiches, wenn nationale Kirchen autonom oder autokephal werden wollen. Die Ukraine ist lediglich das neueste Beispiel, wo neben einer von Moskau geförderten russisch-orthodoxen Kirche im Land eine ukrainisch-orthodoxe Kirche mit eigenem Patriarch steht, die der ukrainische Staat sehr stark fördert. Es gibt seit dem Fall Konstantinopels 1453 eine tiefgreifende Spannung, wenn nicht gar Spaltung, zwischen – grob gesagt – den griechischen orthodoxen Kirchen und den slawischen orthodoxen Kirchen, etwa der russischen oder serbischen. Im Hintergrund steht auch, dass der Ökumenische Patriarch durch seinen Sitz in der Türkei politisch sehr stark eingeschränkt ist. Dagegen hatte der russisch-orthodoxe Patriarch Rückenddeckung der Zaren, der Sowjets und heute Putins und vertritt zudem zwei Drittel der orthodoxen Gläubigen. Die Spannungen ziehen sich durch alle Bereiche. So waren die orthodoxen Kirchen unter dem Ökumenischen Patriarchen dabei, sich mit dem Papst zu einigen, als die russisch-orthodoxe Kirche alle bisherigen Einigungen widerrief und den Prozess beendete.

Was verbindet Protestanten und Katholiken mit der orthodoxen Kirche?

Mit den westlichen Kirchen haben die orthodoxen Kirchen die ersten sieben Konzile gemeinsam. Das letzte davon fand 787 in Nikaia, heute Iznik, in der Nähe des heutigen Istanbuls statt. Danach kam es zu einer zunehmenden Entfremdung, die 1054 in der gegenseitigen Verbannung des Oberhauptes der anderen Kirche gipfelte – das Schisma zwischen Ost- und Westkirche. Aus diesem Anlass hatten die Oberhäupter der orthodoxen Kirchen letztmalig vor fast 1.000 Jahren einen gemeinsamen Beschluss gefasst. 1965 hob Papst Paul VI. am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils die Verurteilung des Ökumenischen Patriarchen auf. Seitdem gilt das Schisma von 1054 im Prinzip als beendet, auch wenn die meisten orthodoxen Kirchen die katholische Kirche nicht als „Kirche“ anerkennen – die protestantischen Kirchen sowieso nicht. Bereits in Erwartung dieses Ereignisses begannen 1961 die Vorbereitungen für ein orthodoxes Konzil. Über 50 Jahre intensiver Vorbereitung drohten durch das Fernbleiben von vier Kirchen zunichte gemacht zu werden, obwohl die Patriarchen aller vier Kirchen vorher ihr Erscheinen versichert hatten.

Können Sie etwas sagen über orthodoxe Christen in Deutschland?

Wir haben in Deutschland über 1,2 Millionen Angehörige orthodoxer Kirche, ohne die sogenannten altorientalischen Kirchen wie Kopten oder Syrer. Davon gehören etwa 460.000 zum griechisch-orthodoxen Ökumenischen Patriarchat, 300.000 zur rumänisch-orthodoxen Kirche, 250.000 zur serbisch-orthodoxen Kirche und 190.000 zur russisch-orthodoxen Kirche. Mit der 2010 gegründeten orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, zu der zehn Bischöfe aus sieben Kirchen gehören, ist die Einheit – oder wenigstens die Gemeinsamkeit – der orthodoxen Kirchen in Deutschland weiter fortgeschritten als auf internationaler Ebene. Vorsitzender ist der in Bonn ansässige Metropolit Augoustinos, der griechisch-orthodoxe Exarch für Europa. In der ökumenischen Zusammenarbeit kommen die Probleme kaum zum Tragen, wie im internationalen Bereich im Ökumenischen Rat der Kirchen arbeiten die orthodoxen Kirchen auch in Deutschland in ökumenischen Institutionen besser miteinander zusammen, als im direkten Kontakt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer.

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