„Kirchen haben große Rolle gespielt“

Die Bedeutung der Kirchen für die Friedliche Revolution kann man nicht hoch genug einschätzen, meint der Soziologe Detlef Pollack. Im Gespräch mit pro erklärt er, warum – und wieso der Osten Deutschlands trotzdem eine der religionsärmsten Regionen Europas ist.
Von PRO
In der Salvatorkirche in Gera treffen sich am 9. November 1989 hunderte Menschen zum Friedensgebet. An diesem Abend öffnet sich die Mauer in Berlin.

pro: Sie haben in diesem Jahr eine Auseinandersetzung mit DDR-Oppositionellen und Historikern darüber geführt, wer maßgeblich für die Friedliche Revolution verantwortlich ist. Worum ging es Ihnen?

Detlef Pollack: Es ist historisch nicht genau, wenn man sagt, dass die DDR-Oppositionellen die Revolution angeführt und die Massenproteste initiiert hätten, im revolutionären Umbruch also gewissermaßen vorangegangen seien. Die historische Wahrheit ist differenzierter. Man muss unterscheiden zwischen den Massenprotesten – das war in meinen Augen eine Volksbewegung – und den Oppositionsgruppen. Diese waren vor allem daran interessiert, in den Dialog zu kommen mit allen Kreisen der Gesellschaft, den Trägern des Systems und der Bevölkerung. In diesem Sinne wurde das „Neue Forum“ gegründet, „Demokratie jetzt“, der „Demokratische Aufbruch“, die SPD. Hätten sie sich für Demonstrationen ausgesprochen, hätten sie leicht als Verfassungsfeinde kriminalisiert werden können. Sie wollten aber eine Veränderung der DDR auf der Grundlage der in der Verfassung garantierten Rechte.

Die Oppositionellen haben sich auch unter dem Dach der Kirche getroffen. Wie ist da die Rolle der Kirche für die Friedliche Revolution einzuordnen?

Die Bedeutung der Kirchen kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Denn sie boten die einzigen Strukturen, die nicht in den staatlichen Zentralismus eingebettet waren. In ihren Räumen gab es ein gewisses Maß an Eigenständigkeit. Das war wichtig für alle, die das freie Gespräch gesucht und kritische Diskussion angestrebt haben. Die Kirche war der einzige Ort in der DDR außerhalb des Privaten, wo das möglich war. Das hat eine große Rolle für die Friedliche Revolution gespielt.

Spielten dafür auch kirchliche Inhalte, die christliche Botschaft, eine Rolle?

Ich würde nicht sagen: Weil es das befreiende Evangelium von Jesus Christus gibt, war es möglich, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind. Entscheidend war vor allem, dass die Kirche einen strukturellen Freiraum bereitstellte. Ungefähr ab dem 9. Oktober – das war die große Demonstration in Leipzig, zu der 70.000 Menschen auf die Straße gegangen sind – beginnt sich die Kommunikationskultur in der DDR zu öffnen. Sie wird liberaler. Dadurch kommen die Argumente, die bisher unter dem Dach der Kirche diskutiert worden sind, in die Öffentlichkeit und bestimmen sehr stark die Diskussionen in der sich entwickelnden Umbruchsgesellschaft. Da ging es um Umweltprobleme, Probleme der Demokratisierung, der Selbstbestimmung der Menschen – Themen, über die vorher nur im Raum der Kirche frei diskutiert worden war.

Nach der Friedlichen Revolution haben viele Pfarrer und Menschen mit kirchlichem Hintergrund politische Verantwortung übernommen – Rainer Eppelmann, Ulrich Kasparick oder die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Hängt das auch damit zusammen, dass die Kirche vorher schon so eine Plattform für freie Meinungsäußerung war?

Ich würde sogar noch weitergehen: Man hat in der Kirche schon sehr frühzeitig Formen von Demokratie eingeübt, wenn man zum Beispiel an die Synoden denkt. Pfarrer und die Angestellten der Kirche waren artikulationsfähig, sie konnten öffentlich auftreten. Das war nicht selbstverständlich in der DDR.

Ulrich Kasparick, 61, war in den Achtzigerjahren Stadtjugendpfarrer in Jena. 1989 trat er in die SPD ein. 1998 zog er in den Bundestag ein, wurde 2004 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und später im Verkehrsministerium. Im pro-Interview erklärte er, warum der Erfolg der AfD im Osten mit der DDR zu tun hat. Foto: Ulrich Kasparick
Ulrich Kasparick, 61, war in den Achtzigerjahren Stadtjugendpfarrer in Jena. 1989 trat er in die SPD ein. 1998 zog er in den Bundestag ein, wurde 2004 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und später im Verkehrsministerium. Im pro-Interview erklärte er, warum der Erfolg der AfD im Osten mit der DDR zu tun hat.

Im Herbst 1989 waren die Kirchen zu den Friedensgebeten rappelvoll, und auch Theologen und Prediger wie Theo Lehmann haben tausende Menschen angezogen bei ihren Evangelisationen. Mittlerweile ist der Osten Deutschlands eine der Regionen Europas mit der geringsten Kirchenbindung. Woher kommt dieses Missverhältnis?

Damals hatten die Kirchen eine politische Funktion. Auch Theo Lehmann hat das sehr stark bedient. Er war ein evangelikaler Prediger, trat ein für ein bestimmtes Verständnis des Evangeliums. Aber dass er eine solche Wirkung erzielen konnte, dass die Menschen zu Tausenden hingeströmt sind, hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass die Kirchen eine Ersatzfunktion für die fehlende politische Öffentlichkeit wahrgenommen haben. Man war interessiert an einem freien, an einem offenen, ehrlichen Wort. Das hatte möglicherweise weniger mit den Inhalten des Evangeliums zu tun.

Was war der stärkste Grund dafür war, dass es im Osten zu einem Abbruch der christlichen Tradition und zur Entfremdung von der Kirche kam?

Der Anteil der Kirchenmitglieder betrug 1949, als die DDR und die Bundesrepublik gegründet wurden, in beiden Teilen Deutschlands weit über 90 Prozent. Nach 40 Jahren waren es im Westen immerhin noch rund 80 Prozent, im Osten zwischen 25 und 30 Prozent. Das muss man auf die politischen Verhältnisse in der DDR zurückführen. Die Repression in der DDR war entscheidend für die Verluste. In den Fünfzigerjahren war die Repression am schärfsten, und in dieser Zeit waren auch die Austrittszahlen am höchsten. Allerdings haben die Kirchen nicht allein durch die Austritte verloren, sondern vor allem dadurch, dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr haben taufen lassen und auch nicht christlich erzogen haben. Sie wollten nicht, dass die Kinder deshalb Nachteile in der Schule, in der Ausbildung haben.

In einem Aufsatz stellen Sie fest, dass die erwartete Rückkehr der Religion nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Ostdeutschland ausblieb. Dafür machen Sie auch das Verhalten der Kirche selbst verantwortlich. Wie meinen Sie das?

Die Kirchen waren eigentlich die einzigen Institutionen nach 1989, die überlebt haben. Sie haben sich über Jahre hinweg für die Belange der Bevölkerung eingesetzt, haben den Umbruch moderiert. In dieser Zeit standen sie auf der Seite des Volkes. Nach dem Umbruch aber standen sie auf einmal gewissermaßen der Bevölkerung gegenüber. Dadurch, dass die Kirchen im Osten auch von den westlichen Kirchen finanziell, personell und strukturell unterstützt worden sind, kamen sie auf der Seite derjenigen zu stehen, die das System überlebt haben, und wurden als Siegerinstitutionen wahrgenommen.

Eine aktuelle Umfrage von Infratest dimap zeigt, dass ein Fünftel der Ostdeutschen findet, die Meinungsfreiheit habe sich seit dem Mauerfall verschlechtert. Immer wieder ist auch zu hören, das Klima heute erinnere an die DDR, wo man aufpassen musste, was man sagt, um nicht in Konflikt mit dem Staat zu kommen. Ist aus Ihrer Sicht was dran?

Diejenigen, die das sagen, wissen ganz genau, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Damit wird ein Signal an die Öffentlichkeit gesendet: Hört auf uns, nehmt uns ernst. Man möchte die Öffentlichkeit provozieren. Aber ich halte solche Äußerungen für massiv übertrieben. Der Unterschied zwischen einer Diktatur und der Demokratie ist jedem bewusst. Und auch diejenigen, die das sagen, wissen das, denn was sie jetzt sagen, hätten sie vor 30 Jahren niemals sagen können. Sie instrumentalisieren damit in meinen Augen die Freiheit.

Sie sagten, das sei ein Signal „Hört auf uns, nehmt uns ernst!“. Werden die Ostdeutschen nicht genug ernst genommen?

Dahinter steht eine Erfahrungsgeschichte von mehreren Jahrzehnten. In den Neunzigerjahren gab es schon mal so etwas wie eine Rückwendung zur DDR. Diese nachholende Identifikation hatte sehr viel mit der Kommunikation zwischen West und Ost zu tun. Viele von den Ostdeutschen haben sich unterschätzt und nicht ernst genommen gefühlt, hatten den Eindruck, ihre Biografien seien weniger wert. Das hat sich bei manchen zu einer bestimmten Haltung verfestigt. Es hat sich inzwischen vieles geändert. Man sieht, dass der Westen, die Medien, die Politik, die Parteien, auch der Bundespräsident viel stärkere Aufmerksamkeit auf die besonderen Schwierigkeiten des Veränderungsprozesses im Osten Deutschlands legen. Das nehmen aber manche der ehemaligen DDR-Bürger jetzt nicht mehr wahr. Sie hatten über Jahre hinweg das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Und jetzt beharren sie gewissermaßen auf dieser Haltung und möchten sich nach wie vor als Opfer stilisieren.

Noch eine persönliche Frage. Sie waren bis Oktober 1989 selbst in Leipzig und sind dann für ein Stipendium nach Zürich gereist. Wie haben Sie die Demonstrationen und Friedensgebete bis dahin erlebt?

In den Jahren vor 1988 war es immer nur ein ganz kleiner Kreis, der sich zu den Friedensgebeten getroffen hat. Manchmal waren es einige Dutzend, in der Regel nicht mehr als hundert. Die Friedensgebete sind nach 1988 sehr stark politisiert worden, vor allem dadurch, dass Ausreisewillige sie besucht haben. Es brauchte in der heißen Phase ab September 1989 einen gewissen Mut, um da überhaupt hinzugehen. Man konnte ja gesehen werden. Ich habe diese Zeit so wahrgenommen, dass die Demonstranten sehr vorsichtig waren, sehr viel Angst hatten, sehr genau ausprobiert haben, bis wohin sie gehen konnten. Nach den Friedensgebeten stand die Polizei auf dem Nikolaikirchhof, die Polizeiketten waren geschlossen, und man wollte mit denen besser nichts zu tun haben. Der Einzelne war aber auch geschützt durch die große Masse. Dass es dann zu den Demonstrationen gekommen ist, war in meinen Augen das Ergebnis eines vorsichtigen Ausprobierens. Schritt für Schritt ist man losgegangen. Keiner hat die Führung übernehmen wollen. Das war für mich spontan und nicht so, dass einige mutig vorangegangen wären und vielleicht noch einen Choral gesungen hätten. Ganz im Gegenteil: Einer hat sich hinter dem anderen versteckt. Aber so kam man eben doch voran.

Im Herbst 1989 waren die Kirchen zu den Friedensgebeten rappelvoll, und auch Theologen und Prediger wie Theo Lehmann haben tausende Menschen angezogen bei ihren Evangelisationen. Mittlerweile ist der Osten Deutschlands eine der Regionen Europas mit der geringsten Kirchenbindung. Woher kommt dieses Missverhältnis?

Damals hatten die Kirchen eine politische Funktion. Auch Theo Lehmann hat das sehr stark bedient. Er war ein evangelikaler Prediger, trat ein für ein bestimmtes Verständnis des Evangeliums. Aber dass er eine solche Wirkung erzielen konnte, dass die Menschen zu Tausenden hingeströmt sind, hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass die Kirchen eine Ersatzfunktion für die fehlende politische Öffentlichkeit wahrgenommen haben. Man war interessiert an einem freien, an einem offenen, ehrlichen Wort. Das hatte möglicherweise weniger mit den Inhalten des Evangeliums zu tun.

Was war der stärkste Grund dafür war, dass es im Osten zu einem Abbruch der christlichen Tradition und zur Entfremdung von der Kirche kam?

Der Anteil der Kirchenmitglieder betrug 1949, als die DDR und die Bundesrepublik gegründet wurden, in beiden Teilen Deutschlands weit über 90 Prozent. Nach 40 Jahren waren es im Westen immerhin noch rund 80 Prozent, im Osten zwischen 25 und 30 Prozent. Das muss man auf die politischen Verhältnisse in der DDR zurückführen. Die Repression in der DDR war entscheidend für die Verluste. In den Fünfzigerjahren war die Repression am schärfsten, und in dieser Zeit waren auch die Austrittszahlen am höchsten. Allerdings haben die Kirchen nicht allein durch die Austritte verloren, sondern vor allem dadurch, dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr haben taufen lassen und auch nicht christlich erzogen haben. Sie wollten nicht, dass die Kinder deshalb Nachteile in der Schule, in der Ausbildung haben.

In einem Aufsatz stellen Sie fest, dass die erwartete Rückkehr der Religion nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Ostdeutschland ausblieb. Dafür machen Sie auch das Verhalten der Kirche selbst verantwortlich. Wie meinen Sie das?

Die Kirchen waren eigentlich die einzigen Institutionen nach 1989, die überlebt haben. Sie haben sich über Jahre hinweg für die Belange der Bevölkerung eingesetzt, haben den Umbruch moderiert. In dieser Zeit standen sie auf der Seite des Volkes. Nach dem Umbruch aber standen sie auf einmal gewissermaßen der Bevölkerung gegenüber. Dadurch, dass die Kirchen im Osten auch von den westlichen Kirchen finanziell, personell und strukturell unterstützt worden sind, kamen sie auf der Seite derjenigen zu stehen, die das System überlebt haben, und wurden als Siegerinstitutionen wahrgenommen.

Eine aktuelle Umfrage von Infratest dimap zeigt, dass ein Fünftel der Ostdeutschen findet, die Meinungsfreiheit habe sich seit dem Mauerfall verschlechtert. Immer wieder ist auch zu hören, das Klima heute erinnere an die DDR, wo man aufpassen musste, was man sagt, um nicht in Konflikt mit dem Staat zu kommen. Ist aus Ihrer Sicht was dran?

Diejenigen, die das sagen, wissen ganz genau, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Damit wird ein Signal an die Öffentlichkeit gesendet: Hört auf uns, nehmt uns ernst. Man möchte die Öffentlichkeit provozieren. Aber ich halte solche Äußerungen für massiv übertrieben. Der Unterschied zwischen einer Diktatur und der Demokratie ist jedem bewusst. Und auch diejenigen, die das sagen, wissen das, denn was sie jetzt sagen, hätten sie vor 30 Jahren niemals sagen können. Sie instrumentalisieren damit in meinen Augen die Freiheit.

Sie sagten, das sei ein Signal „Hört auf uns, nehmt uns ernst!“. Werden die Ostdeutschen nicht genug ernst genommen?

Dahinter steht eine Erfahrungsgeschichte von mehreren Jahrzehnten. In den Neunzigerjahren gab es schon mal so etwas wie eine Rückwendung zur DDR. Diese nachholende Identifikation hatte sehr viel mit der Kommunikation zwischen West und Ost zu tun. Viele von den Ostdeutschen haben sich unterschätzt und nicht ernst genommen gefühlt, hatten den Eindruck, ihre Biografien seien weniger wert. Das hat sich bei manchen zu einer bestimmten Haltung verfestigt. Es hat sich inzwischen vieles geändert. Man sieht, dass der Westen, die Medien, die Politik, die Parteien, auch der Bundespräsident viel stärkere Aufmerksamkeit auf die besonderen Schwierigkeiten des Veränderungsprozesses im Osten Deutschlands legen. Das nehmen aber manche der ehemaligen DDR-Bürger jetzt nicht mehr wahr. Sie hatten über Jahre hinweg das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Und jetzt beharren sie gewissermaßen auf dieser Haltung und möchten sich nach wie vor als Opfer stilisieren.

Noch eine persönliche Frage. Sie waren bis Oktober 1989 selbst in Leipzig und sind dann für ein Stipendium nach Zürich gereist. Wie haben Sie die Demonstrationen und Friedensgebete bis dahin erlebt?

In den Jahren vor 1988 war es immer nur ein ganz kleiner Kreis, der sich zu den Friedensgebeten getroffen hat. Manchmal waren es einige Dutzend, in der Regel nicht mehr als hundert. Die Friedensgebete sind nach 1988 sehr stark politisiert worden, vor allem dadurch, dass Ausreisewillige sie besucht haben. Es brauchte in der heißen Phase ab September 1989 einen gewissen Mut, um da überhaupt hinzugehen. Man konnte ja gesehen werden. Ich habe diese Zeit so wahrgenommen, dass die Demonstranten sehr vorsichtig waren, sehr viel Angst hatten, sehr genau ausprobiert haben, bis wohin sie gehen konnten. Nach den Friedensgebeten stand die Polizei auf dem Nikolaikirchhof, die Polizeiketten waren geschlossen, und man wollte mit denen besser nichts zu tun haben. Der Einzelne war aber auch geschützt durch die große Masse. Dass es dann zu den Demonstrationen gekommen ist, war in meinen Augen das Ergebnis eines vorsichtigen Ausprobierens. Schritt für Schritt ist man losgegangen. Keiner hat die Führung übernehmen wollen. Das war für mich spontan und nicht so, dass einige mutig vorangegangen wären und vielleicht noch einen Choral gesungen hätten. Ganz im Gegenteil: Einer hat sich hinter dem anderen versteckt. Aber so kam man eben doch voran.

Leipzig, 23. Oktober 1989: Nach Friedensgebeten in verschiedenen Kirchen ziehen die Demonstranten durch die Innenstadt Foto: Friedrich Gahlbeck, Bundesarchiv | CC BY-SA 3.0 Unported
Leipzig, 23. Oktober 1989: Nach Friedensgebeten in verschiedenen Kirchen ziehen die Demonstranten durch die Innenstadt

Haben Sie dann, als Sie in die Schweiz abgereist sind, damit gerechnet, dass in einem Monat die Mauer fallen könnte?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe erwartet, dass diese DDR über Jahre und Jahrzehnte bestehen bleiben wird. Und ich habe immer damit gerechnet, dass die Demonstrationen niedergeschlagen werden. Das war für mich und für viele in meinem Umkreis vollkommen klar, dass das System nach dem 40. Jahrestag am 7. Oktober 1989 zuschlagen wird.

Wäre es damals denkbar gewesen, dass eine Art Dialog entstehen könnte, um den Sozialismus zu reformieren?

Nein, nicht mal das. Die flächendeckende Erfahrung war: Hier ändert sich nie etwas. Es war ein Gefühl der Ohnmacht, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Aussichtslosigkeit, das alles dominierte.

Wie haben Sie vom Mauerfall erfahren?

Ich war ja in der Schweiz, und als am 9. November die Mauer fiel, habe ich das gar nicht gemerkt. Am nächsten Morgen schlug ich die Neue Zürcher Zeitung auf und las, die Mauer sei gefallen. Das war für mich unvorstellbar. Ich konnte das gar nicht glauben. Ich hatte das Gefühl, die Welt ist eine andere, irgendwie öffnet sich der Horizont.

Vielen Dank für das Gespräch.

Haben Sie dann, als Sie in die Schweiz abgereist sind, damit gerechnet, dass in einem Monat die Mauer fallen könnte?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe erwartet, dass diese DDR über Jahre und Jahrzehnte bestehen bleiben wird. Und ich habe immer damit gerechnet, dass die Demonstrationen niedergeschlagen werden. Das war für mich und für viele in meinem Umkreis vollkommen klar, dass das System nach dem 40. Jahrestag am 7. Oktober 1989 zuschlagen wird.

Wäre es damals denkbar gewesen, dass eine Art Dialog entstehen könnte, um den Sozialismus zu reformieren?

Nein, nicht mal das. Die flächendeckende Erfahrung war: Hier ändert sich nie etwas. Es war ein Gefühl der Ohnmacht, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Aussichtslosigkeit, das alles dominierte.

Wie haben Sie vom Mauerfall erfahren?

Ich war ja in der Schweiz, und als am 9. November die Mauer fiel, habe ich das gar nicht gemerkt. Am nächsten Morgen schlug ich die Neue Zürcher Zeitung auf und las, die Mauer sei gefallen. Das war für mich unvorstellbar. Ich konnte das gar nicht glauben. Ich hatte das Gefühl, die Welt ist eine andere, irgendwie öffnet sich der Horizont.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Jonathan Steinert

Detlef Pollack, Jahrgang 1955, ist Professor für Religionssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der religiöse Wandel in Ost- und Westeuropa sowie DDR-Forschung gehören zu seinen Schwerpunkten. Studiert und promoviert hat er an der Universität Leipzig.

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