Gott ist weiblich

Dialog wird auf dem Kirchentag großgeschrieben, vor allem der zwischen den Religionen. Das zeigt sich auch in den Bibelarbeiten, wo Christen, Juden und Muslime die Bibel auslegen. Ein Beispiel zeigt, wie das zum gemeinsamen Bemühen um Frieden beitragen kann – und dass sich die Differenzen nicht nur um Jesus drehen.
Von Jonathan Steinert
Die evangelische Theologin Claudia Janssen und die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi sprachen bei einer Dialogbibelarbeit über einen Text aus dem Lukasevangelium

Der Morgen auf dem Kirchentag beginnt mit einer Bibelarbeit. Es gibt jeden Tag über zwanzig verschiedene – als Kabarett mit dem Arzt Eckart von Hirschhausen, ausgelegt von Politikern wie Manuela Schwesig (SPD), Winfried Kretschmann (Grüne) oder Wolfgang Schäuble (CDU), von Christen anderer Länder und Kirchen, als Dialog zwischen Theologen – oder zwischen Vertretern verschiedener Religionen.

Der jeweilige Bibeltext ist im Programmheft abgedruckt. Neben der revidierten Lutherübersetzung von 2017 und einer Version in leichter Sprache gibt es eine eigene Kirchentagsübersetzung. Dort ist Gott weiblich. In dem Bericht aus dem Lukasevangelium über den Besuch der schwangeren Maria bei ihrer ebenfalls schwangeren Cousine Elisabeth sagt diese etwa: „Es wird zur Vollendung kommen, was die EWIGE ihr zugesagt hat.“ Oder: „Mein Innerstes lobt die Größe der EWIGEN; und mein Geist freut sich über Gott, meine Rettung, weil Gott die Erniedrigung ihrer Sklavin sieht.“

Jesus ist im Koran Marias, nicht Gottes Sohn

Der Textabschnitt über die Begegnung der zwei Frauen lag den Bibelarbeiten am Donnerstag zugrunde. In einer christlich-muslimischen Variante versuchten die Marburger feministische Theologin Claudia Janssen und die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi aus Paderborn, den Text aus ihrer jeweiligen Sicht zu beleuchten. Wobei Janssen vor allem ihre muslimische Kollegin danach fragte, wie sie den Text versteht.

Diese erklärte, dass Maria auch im Koran eine wichtige Rolle spiele und die einzige Frau sei, die mit Namen genannt werde. Sie sei von Gott auserwählt worden, um Jesus in sich zu tragen, der ebenfalls ein großer Prophet im Islam sei. Jedoch habe der Koran ein Problem damit, dass Gott sein Vater sein solle. Jesus sei im Koran der Sohn Marias, nicht der Sohn Gottes. Wo Mohagheghi auch nicht mitgehen konnte: Dass Gott weiblich sein solle.

Die Erzählung von Maria und Elisabeth komme so nicht im Koran vor. Mohagheghi sah sie beispielhaft dafür, dass Frauen selbständig sein und ihren eigenen Weg auch gegen die Traditionen gehen sollten. Das Vertrauen auf Gott, dem sie sich unterwerfe, mache sie frei dazu. Das machte sie am Beispiel ihrer eigenen Lebensgeschichte deutlich: Sie habe sich geweigert, schon als Teenager verheiratet zu werden.

Nicht über die Wahrheitsfrage entzweien

Mohagheghi machte deutlich, dass sie die Bibel lese, um Einzelheiten im Koran zu verstehen, wenn dieser von biblischen Personen berichtet. „Wir können uns mit unseren Büchern bereichern. Vielleicht gibt es in der Theologie kein richtig oder falsch, sondern nur ein ‚anders‘“, sagte sie. Jeder solle zwar bei seiner Wahrheit bleiben, aber letztlich sei sie Gottes Sache. Das sei für den Frieden zwischen den Religionen wichtig und helfe dabei, sich nicht um dieser Frage willen gegenseitig auszugrenzen. Janssen wollte noch einen Schritt weitergehen und ergänzte: „… und vielleicht ein Stück gemeinsame Wahrheit im Gespräch zu finden“. Worauf Mohagheghi entgegenete: „Wir können vieles gemeinsam machen. Das ist aber nicht abhängig von unserer Wahrheit oder unserem Glauben, sondern wir tun es als Menschen.“

Die evangelische Theologin betonte ihrerseits, dass der Koran ihr helfe, die Bibel besser zu verstehen. Er sei eine Stimme im christologischen Diskurs im siebten Jahrhundert gewesen. „Der Koran ist in seiner Jesus-Darstellung zum Teil biblischer als die altchristliche Tradition“, sagte Janssen. (pro)

Von: jst

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