„Menschen mit Behinderung haben uns etwas zu sagen“

Der 21. März war der Welt-Down-Syndrom-Tag. Bei Menschen mit Down-Syndrom ist das Chromosom 21 dreifach vorhanden, deshalb auch die Bezeichnung Trisomie 21. Der Verleger David Neufeld hat sich mit seinem Verlag in besonderer Weise des Themas angenommen. Im Gespräch mit pro erklärt er seine Motive und bricht eine Lanze für Menschen mit Behinderung.
Von PRO
Verleger David Neufeld hat zwei Jungs mit Down-Syndrom adoptiert

pro: Warum engagieren Sie sich als Verleger für Menschen mit Behinderung?

David Neufeld: Wir waren von Anfang an sensibel für das Thema. Eines unserer ersten Bücher im Verlag war die Biografie von Jean Vanier. Der katholische Philosoph gründete vor über 50 Jahren in Frankreich die Lebensgemeinschaft Arche. Dort leben Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Mittlerweile haben meine Frau und ich selbst zwei Söhne mit Down-Syndrom. Meine Frau sagt manchmal aus Spaß, dass unser 15-jähriger Sohn den Verlag schon länger leitet, als es mir bewusst ist.

Inwiefern prägt das?

Die Alltagserfahrung prägt auch die Sicht auf das Leben. Allmählich ahne ich, dass uns dieses Thema auch als Verlag in besonderer Weise anvertraut ist. Mit unserem Motto „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder willkommen ist“ wollen wir zwei Dinge deutlich machen. Zum einen spiegelt es unsere christliche Grundhaltung wider: Wir wollen Menschen einladen, zu erleben, dass sie bei Gott willkommen sind. Andererseits erleben wir, dass uns Menschen mit Behinderung bei aller Begrenzung und Gebrochenheit etwas zu sagen und zu geben haben. Deswegen sollen sie in unsrer Gesellschaft auch willkommen sein. Das ist leider überhaupt nicht selbstverständlich.

Inwiefern spielt die persönliche Betroffenheit eine Rolle?

Wir haben einen 17-jährigen Pflegesohn und zwei adoptierte Jungs mit Down-Syndrom, die 10 und 15 Jahre alt sind. Die wenigsten Menschen wissen, dass sie ein behindertes Kind adoptieren können. Die Eltern unserer Jungs fühlten sich mit der Behinderung der Kinder überfordert. Wenn die Eltern früher von der Behinderung gewusst hätten, hätte es unsere beiden Jungs heute vielleicht gar nicht gegeben.

Was halten Sie von pränataler Diagnostik, mit der Veränderungen am Erbgut eines Menschen bereits im Mutterleib erkannt werden können?

Wir mussten uns diese Frage nicht stellen. Aber ich halte das für katastrophal. Die Suche nach Veränderungen der Chromosomen kommt mir vor wie eine Rasterfahndung. Wir glauben, dass Menschen mit Behinderung uns etwas zu sagen und zu geben haben. Dies betrifft unser Menschsein und die Tatsache, dass wir bei Gott so angenommen sind, wie wir sind. Unsere Welt wäre ärmer ohne Menschen mit Down-Syndrom, weil es nicht nur um Leistung geht. Das Leben ist vielfältiger. Menschen mit Behinderung können uns zeigen, dass unser Leben echt und wertvoll ist. Warum um alles in der Welt kommen wir auf die absurde Idee, auszuwählen, wer zur Welt kommen soll und wer nicht?

Die Prüfung auf Trisomien mittels eines Bluttests bei der Mutter könnte möglicherweise bald als Kassenleistung in Anspruch genommen werden …

Ich sehe darin eine große Gefahr, dass es dann eine Art Selektion gibt. Wir kritisieren alle das Dritte Reich, in dem gezielt Leben als unwert klassifiziert wurde. Heute werde manche Eltern gefragt, ob man das Kind nicht hätte „vermeiden“ können.

Was heißt das in der Praxis?

Schwangere müssen sich bei manchen Ärzten massiv wehren, wenn sie bestimmte Tests vermeiden und ihr Kind auf jeden Fall zur Welt bringen möchten. Die Entscheidung liegt bei den Eltern, aber wenn die Kassen diesen Test übernehmen, dann wird der Druck massiv zunehmen. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, dann wird es in absehbarer Zeit nur noch sehr wenige Menschen mit Down-Syndrom geben. In der Diskussion um Inklusion führen wir gerade eine genau entgegen gerichtete Debatte. Behinderte haben ein Recht darauf, dabei zu sein in der Gesellschaft und im Berufsleben. Dieses Recht spricht die UN-Behindertenkonvention den Menschen leider erst ab der Geburt zu.

Woran liegt das?

Ich kann es mir kaum anders erklären als mit unserem Herangehen an das ungeborene Leben. Wir haben in unserer Gesellschaft eine Sichtweise kultiviert, dass Abtreibung kein Problem ist. Ich würde immer sagen: Ich nehme jemanden das Leben. Ich will nicht die offenen Konflikte klein reden. Der gesellschaftliche Grundkonsens, Abtreibung als Familienplanung zu sehen und zu praktizieren, hat in Bezug auf den Respekt vor dem Leben die Dämme brechen lassen. Dadurch wird der Mensch leider erst ernst genommen, wenn er geboren ist.

Müssen wir darüber diskutieren, ob unsere Gesellschaft in Zukunft bereit ist, Behinderungen auch hinsichtlich der Kosten zu tragen?

Ich glaube, dass wir an der falschen Stelle diskutieren. Was ist, wenn jemand einen Unfall hat? Was ist mit Frühchen, die zur Welt kommen und wo dann alles dafür getan wird, dass die Kinder einen Start ins Leben bekommen? Was ist mit älteren Menschen, die behindert sind? Wir haben 10 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Davon ist ein ganz erheblicher Teil dement, einfach aus Altersgründen. Das verursacht ja auch Kosten. Sagen wir dann: „Du bist jetzt zu teuer!“? Natürlich verursacht eine Behinderung Kosten. Ich bin dankbar dafür, dass es in Deutschland ein Bewusstsein dafür gibt, soziale Verantwortung für Schwächere zu übernehmen. Aber ich wehre mich dagegen, die Kostenfrage beim ungeborenen Leben zu stellen und dann möglicherweise sogar noch zum Kriterium zu machen, ob es sich um ein Leben handelt, das sich die Gesellschaft leisten kann oder will. Das halte ich für eine krasse Frage.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer

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