Gefangen in der Esoterik

Die deutsche Übersetzung für das griechische Wort Esoterik bedeutet, dass sie nur für „Eingeweihte einsichtig“ ist. Der Autor des Buchs „New Cage: Esoterik 2.0“, Johannes Fischler, malt ein düsteres Bild der Esoterik-Szene und klagt über die fehlende Transparenz. Er stellt fest, dass die Esoterik in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei und sich daran mächtig bereichere.
Von PRO

In seinem Vorwort schreibt der Wiener Physikprofessor Heinz Oberhummer, dass Esoteriker auf der einen Seite die Naturgesetze ignorierten, den Glauben aber fast immer als dogmatisch, unveränderlich und starr ansähen. Er fordert alle "kritisch denkenden Menschen dazu auf, diesem Wahnsinn die Stirn zu bieten".

Apple: Marke mit quasi-religiöser Bedeutung

Fischler stellt heraus, dass Esoterik lange Zeit die Angelegenheit von wenigen reichen Menschen gewesen sie. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts schossen magische „Weltsichten wie Pfifferlinge aus dem Boden“. Heute finde eine bis dahin noch nicht dagewesene Vermarktung statt. 40 Prozent der Menschen glaubten, dass ihr Leben von magischen Kräften durchwirkt ist. Der Theologe Paul Zulehner glaubt, einen Trend zur Re-Spiritualisierung festzustellen.

Für Fischler hat die "Esoterik etwas von ‚Modern Talking’". Zwar finde sie "jeder dämlich, aber das Geschäft boomt". Aktuell schätzen Experten den Umsatz der Branche pro Jahr auf 18 bis 20 Milliarden Euro. Dies wirke sich sowohl auf den Bücher- als auch auf den Zeitungsmarkt aus, wobei vor allem Magazine gerne als Türöffner in die Szene genutzt würden. Der Autor bringt bedrückende Beispiele, „wie man sein Geld durch esoterische Aktionen in nichts verwandelt“. Dies könnten Geschäfte mit Essenzen, Kristallen und dergleichen sein. Sogar Apple sieht er als Marke mit quasi-religiöser Bedeutung, die missioniert.

Ähnlich wie Kult-Marken verkaufe auch die Esoterik-Szene ihren Kunden ausgeklügelte Markenwelten. Fast alle esoterischen Bewegungen definierten die Jetzt-Zeit als dramatischen Wendepunkt zwischen alter und neuer Ära. Die Anhänger müssten sich von allem Irdischen reinwaschen. Eingeladen in einen psychischen Ausnahmezustand verliere alles Irdische an Substanz und die Menschen bauten sich eine fiktive innere Welt.

Der Mensch im Zentrum des Geschehens

Mit einer geschaffenen Kunstsprache werde das menschliche Denken unterminiert. Die große Wirkmacht der Esoterik liege geradezu im Unverständlichen. Im Zentrum des Geschehens stehe der Einzelne, der mit fiktiver Aufmerksamkeit beschenkt werde, damit er bereit sei, alles zu geben. „Der Weg von der Allmacht zur Ohnmacht ist hier nicht weit“, schreibt Fischler.

Auch das Marketing spiritueller Energieträger beeindruckt den Autoren. So könne jeder sein spirituelles Selbstbild nach Belieben entwerfen. Es gebe eine stetig wachsende Produktpalette. Das Phantasieren rund um esoterische Artikel verzaubere irgendwann nicht nur den Gegenstand, sondern auch den Nutzer selbst. Mitglieder der Esoterik-Szene feierten Bewusstseinsfeste, nicht unüblich seien aber auch Möglichkeiten des Fernstudiums.

Geändert habe sich, dass moderne Esoteriker häufig nicht mehr offiziell einer Sekte beitreten. Sie drückten ihre Spiritualität mit dem Verbrauch energetischer Produkte aus. Um sich in der Szene weiterzuentwickeln, könnten Esoteriker zahllose spirituelle Diplome erwerben. Danach würden sie instrumentalisiert, um zunächst im direkten und dann im fernen Umfeld neue Kunden zu akquirieren. Der spirituelle Aufstieg wird schrittweise verkauft, die Kunden mit Geschenken geködert und fast schon zur Gegenleistung genötigt: „Mit der steigenden Anzahl der Opfer sinkt beim Nutzer die Wahrscheinlichkeit zu einer Umkehr“, vermutet Fischler.

Vieles, was sich für Außenstehende widersinnig anhöre, werde mit Kalkül inszeniert. Durch den Kauf luxuriöser Schmuckstücke signalisierten Aufsteiger sich selbst und anderen, wie „weit und rein“ sie schon seien. Die Drahtzieher der Szene agierten bei alledem im Hintergrund. Sie kassierten mächtig ab, indem sie den Markt mit immer neuen Produkten überschütteten und alles Bisherige beständig an Wert verliere.

Begeisterungslevel darf nicht abreißen

Damit das Begeisterungs-Level nicht abreiße, müssten "ständig neue Mitspieler gewonnen werden". Mit einem einmal gesprochenen Ja-Wort sei der Anhänger fast schon im „NewCage“ gefangen. Der Rückzug nach innen schaffe immer mehr Feindbilder im Externen, was wiederum zu einer noch größeren Flucht ins Innere führe. Abgeschirmte Zirkel seien die Folge und die Freiheit werde zugunsten einer indoktrinierten Totalüberwachung geopfert, bilanziert Fischler. Wenn auch der Nachwuchs im Sinn der jeweiligen Community erzogen werde, habe man schon die Käuferschicht der Zukunft so gut wie gewonnen. (pro)
Johannes Fischler, New Cage Esoterik 2.0: Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt, molden Verlag, ISBN 978-3-85485-321-3.

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