Ein Mann der Geschichte lebt nicht mehr

Erinnerungen an Begegnungen mit Bundeskanzler Helmut Kohl
Von PRO
Wolfgang Baake hatte einige persönliche Begegnungen mit dem verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl

Im Frühsommer 1983 besuchte eine 25-köpfige Journalisten-Delegation den damaligen Staatsminister Friedrich Vogel im Bundeskanzleramt in Bonn. Ich leitete die Fahrt, die das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) für die Konferenz Evangelikaler Publizisten (KEP) anbot. Diese trägt heute den Namen Christlicher Medienverbund KEP, und ich war damals ihr Geschäftsführer. Als wir nach dem Gespräch mit Staatsminister Vogel das Kanzleramt verließen, fuhr gerade eine schwarze Limousine vor, aus der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl stieg. Der Kanzler erkundigte sich bei uns, wer wir seien. Ich berichtete ihm von uns und dass wir bei Staatsminister Vogel zum Gespräch gewesen seien. Darauf Helmut Kohl: „Und warum besucht ihr mich nicht?“ Meine Antwort: „Weil Sie uns bisher noch nicht eingeladen haben.“ „Einladung ist hiermit ausgesprochen“, sagte Helmut Kohl.

Ich versicherte mich sofort beim Abteilungsleiter des BPA, Dr. Wolfgang Bergsdorf, einem sehr engen Vertrauten des Bundeskanzlers, ob er diese Einladung gehört habe. Nachdem er mir das bestätigte, vereinbarten wir einen Gesprächstermin im BPA, bei dem wir die Vorbereitungen für ein erstes Gespräch beim Bundeskanzler durchgingen und wichtige Einzelheiten klärten. Dies war der Anfang einer Reihe persönlicher Begegnungen mit Helmut Kohl, die mich sehr geprägt haben, und die zu den Höhepunkten meines journalistischen Dienstes zählen.

Evangelikale hatten im Kabinett einen Fürsprecher

Wer das Misstrauen des Kanzlers kannte, das er Journalisten immer wieder entgegenbrachte, versteht, dass diese Einladung eine Sensation war. Auf meine spätere Nachfrage an Wolfgang Bergsdorf, warum der Kanzler uns wohl so spontan eingeladen habe, berichtete dieser, dass die Evangelikalen im Bundeskabinett einen großen Fürsprecher hätten. Dieser Vertraute des Kanzlers sei selbst Pietist und er habe dem Kanzler viel über die Evangelikalen berichtet. Die Rede war vom Parlamentarischen Staatssekretär, Dr. Horst Waffenschmidt, der im Bundesinnenministerium zuständig für den Kontakt zu den Kirchen war.

Einige Wochen später fand der Besuch im Rahmen einer weiteren Tagung mit dem BPA beim Bundeskanzler und weiteren Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären statt. Natürlich waren wir alle sehr gespannt, wie dieser Besuch ablaufen würde. Denn alle Teilnehmer waren zum ersten Mal im Kanzleramt und hatten auch zum ersten Mal ein Gespräch mit dem Bundeskanzler. Wir trafen Helmut Kohl im kleinen Kabinettsaal im Kanzleramt in Bonn. Ich stand mit einem Mitarbeiter des BPA und dem Pressereferenten des Kanzleramtes an der Tür des Kabinettsaales, um den Kanzler zu begrüßen. Kaum hatte er mich gesehen, rief er sofort einen Fotografen zu sich, der ein Foto vom Kanzler und mir machen sollte. Denn dieses Foto, mit einem Mann „seiner Gewichtsklasse“, so der Bundeskanzler, wollte er unbedingt seiner Frau zeigen.

Bei den folgenden Zusammenkünften mit dem Bundeskanzler wurden immer Fotos gemacht, die Helmut Kohl seiner Frau tatsächlich zeigte. Das hat mir Hannelore Kohl bei einer späteren Begegnung erzählt. Diese kleine Episode bestimmte ab sofort die Atmosphäre der Gespräche und sorgte für einen vertraulichen Umgangston zwischen uns. Die Chemie zwischen dem Kanzler und mir stimmte einfach. Der Bundeskanzler bat das Servicepersonal im Kanzleramt, „nur die besten Plätzchen, Zigarren, Zigaretten und Getränke“ zu servieren, denn, so Helmut Kohl: „Das sind die Guten, die mich jetzt besuchen.“ Das Gespräch dauerte fast zwei Stunden.

Gespräch unter vier Augen

In den folgenden Jahren stellte ich noch weitere Gruppen zusammen, die im Bundeskanzleramt von Helmut Kohl empfangen wurden. Das war zum einen der Kreis der Nachwuchsjournalisten der KEP und zum anderen der Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA).

Der damalige Vorsitzende der DEA, Dr. Fritz Laubach, begann das Gespräch mit einem Bibelwort und Gebet. Zum Ende der Begegnung betete Laubach erneut. Bundesjustizminister Hans Engelhard sagte später zu mir: „Ich habe ja schon viele Gespräche mit kirchlichen Vertretern hier im Kanzleramt mitgemacht. Aber zum ersten Mal habe ich erlebt, dass das Gespräch mit dem Verlesen eines Bibelwortes und einem Gebet begonnen wurde und dass der Allianzvorsitzende am Ende des Gesprächs noch für die Bundesregierung, den Kanzler und die Politiker im Allgemeinen gebetet hat und uns den Segen Gottes zugesprochen hat.“ Gerade dieses Gespräch mit dem Hauptvorstand der DEA hat die Verbindung des Kanzlers zu den Evangelikalen in den folgenden Jahren bestimmt. Ich selbst hatte die Möglichkeit, Helmut Kohl die Glaubensgrundlagen der Evangelikalen zu erläutern. Dies ergab sich im Rahmen zweier Vier-Augen-Gespräche, zu denen der Kanzler mich eingeladen hatte.

Kohl folgt Einladung zu Christentreffen

Die Einladungen waren aber nicht einseitig: In unregelmäßigen Abständen führte die evangelikale Bewegung in Deutschland den „Gemeindetag unter dem Wort“ durch. 1992 war der nächste Gemeindetag auf dem Killesberg in Stuttgart geplant. Ich lud den Bundeskanzler und seine Ehefrau, wie auch den Parlamentarischen Staatsekretär Dr. Horst Waffenschmidt, als Teilnehmer ein und freute mich sehr, dass beide zusagten. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel nahm an dem Treffen von 35.000 Christen teil. Wie mir der Kanzler wenige Tage später bei einer Begegnung in Bonn erzählte, hatten ihn die Atmosphäre auf dem Gemeindetag, die Lieder und vor allem die Predigten sehr angesprochen.

Horst Waffenschmidt, Hannelore und Helmut Kohl und Wolfgang Baake (v.l.) auf dem „Gemeindetag unter dem Wort Foto: privat
Horst Waffenschmidt, Hannelore und Helmut Kohl und Wolfgang Baake (v.l.) auf dem „Gemeindetag unter dem Wort“ im Jahr 1992

Festmahl im Königspalast

Im Frühjahr 1995 erhielt ich einen Anruf aus dem Kanzleramt, mit der Frage, ob ich Interesse hätte, den Kanzler auf einer Reise im Juni 1995 nach Ägypten, Jordanien und Israel als Journalist zu begleiten. Sehr erfreut und dankbar habe ich meine Reisezusage gegeben. Vom 2. bis 8. Juni 1995 war ich als Delegationsmitglied mit dem Bundeskanzler im Nahen Osten. Dabei waren auch Vertreter der Wirtschaft, darunter der größte Schuhunternehmer Europas, Dr. Heinz-Horst Deichmann. Er schenkte jedem Mitreisenden eine Bibel.

Am 4. Juni besuchten wir Jordanien. Der Kanzler hatte Gespräche mit König Hussein. Für den Abend sprach der König eine Einladung zum Abendessen im Königlichen Palast aus, an dem auch einige wenige Medienvertreter teilnehmen durften. Ich hatte das Vorrecht, aufgrund der Vermittlung der deutschen Delegationsleitung mit auf der Gästeliste dieses Essens zu stehen. Wann kommt man schon einmal in den Genuss, in einem Königspalast gemeinsam mit einem König und einem Bundeskanzler zu speisen?

Ein weiterer Höhepunkt dieser Reise war die Einladung zu einem Abendessen, ausgesprochen von Israels Premierminister Rabin in seiner Residenz. Auf dem Programm standen auch ein Besuch der Palästinensischen Autonomiegebiete und ein Gespräch mit Jasser Arafat. Den Weg von Israel nach Jericho legten wir auf Wunsch von Helmut Kohl mit einem Omnibus zurück. Leidenschaftlich gern reiste der Kanzler per Bus. Auf der Fahrt nach Jericho erklärte uns ein Begleiter die Landschaft und bezog sich dabei auch auf die Bibel. Nach einiger Zeit unterbrach Helmut Kohl die Erklärungen, da sie nicht mit der Bibel übereinstimmten, wie der Kanzler korrekt festgestellt hatte. Auf Wunsch einiger Journalisten erklärte ich ihnen später diese Bibelstellen. Sie hatten ja, Deichmann sei dank, alle eine Bibel zur Hand.

Diese Bibelstunde wurde zwei Jahre später zur Initialzündung für das Israel-Projekt des Christlichen Medienverbundes KEP. Und dies hatte ich der Bibelkenntnis Helmut Kohls zu verdanken, weil er die falschen Informationen, die im Bus gegeben wurden, unterbrochen hatte.

Im Privaten treu

Ich lernte Helmut Kohl aber nicht nur als Politiker kennen. Im Januar 1996 erlitt ich einen Herzinfarkt und lag auf der Inneren Station im Klinikum Wetzlar. Bei der Chefarztvisite fragte er mich nach meiner Verbindung zu Helmut Kohl. Ich war überrascht, als er mir sagte, dass ein enger Mitarbeiter des Kanzlers bei ihm angerufen und sich nach meinem Gesundheitszustand erkundigt habe. Der Chefarzt wollte wissen, ob er Auskunft geben dürfe. Ich habe ihm gern meine Einwilligung gegeben und später erfahren, dass es Horst Waffenschmidt war, der den Kanzler über meine Krankheit informiert hatte.

Der größte Verdienst Helmut Kohls auf der großen Weltbühne war die Wiedervereinigung. Der Kanzler wünschte sich, dass beim Staatsakt der Wiedervereinigung das Lied „Nun danket alle Gott!“ gesungen werden sollte. Mit diesem Vorschlag konnte sich Helmut Kohl nicht gegenüber dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (ehemaliger Präsident des Evangelischen Kirchentages) und der damaligen Präsidentin des Deutschen Bundestages, Rita Süßmuth, durchsetzen. Stattdessen wurde das Lied „Freude schöner Götterfunke“ (Ludwig van Beethoven / Friedrich Schiller ) gesungen.

Das hat Helmut Kohl sehr geschmerzt. Denn für ihn war immer klar: „Ohne Gottes Hilfe wären Freiheit und Einheit nie erreicht worden.“

Von: Wolfgang Baake

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Eine Antwort

  1. Helmut Kohl stand fast immer da, wo die Blitzlichter flackerten und damit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dennoch gab es auch den
    umtriebigen Kohl, der mit Lobbyisten und Ministern oder Industriellen redete sowie mit seinen Vertrauten. Hannelore Kohl kam zwar mit ihm zu den verschiedenen Anlässen, sprach aber öfter mit Journalisten als er. Man hatte den Eindruck sie ergänzen sich. Das „Raumschiff Bonn“ hatte Piloten.

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