Dorothee Bär: „Wir dürfen nicht abstumpfen“

Dorothee Bär (CSU) ist Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzler­amt. Im Gespräch mit pro wirbt die Katholikin für den Fortschritt, kritisiert die sprachliche Verrohung und erzählt, wie sie als Schülerin aus einem Bibelkreis flog.
Von PRO
Digitalisierung ist für Dorothee Bär (CSU) der Motor der Lebenserleichterung

pro: Wann waren Sie das letzte Mal in einem Funkloch?

Dorothee Bär: In meinem Wahlkreis kenne ich jedes Funkloch und da ich in der Woche sehr häufig mit dem Zug unterwegs bin, weiß ich natürlich auch, dass Telefonieren zwischen Hauptbahnhof und Südkreuz nicht möglich ist.

Mitten in Berlin.

Ja. Privat ist das für mich nicht sonderlich relevant, denn ich telefoniere ohnehin nicht gerne im Zug. Mich nerven diese furchtbar wichtigen Geschäftsleute, die so laut in ihre Handys schreien und dabei Betriebsinterna ausplaudern, dass ich mir manchmal wünschen würde, dass der Funkkontakt abbricht. Andererseits verstehe ich natürlich, dass die Reisezeit gerade auch in der Privat­wirtschaft von vielen für berufliche Zwecke genutzt werden muss. Unser politisches Ziel ist es, dass Mobilfunk in Deutschland in Stadt und Land flächendeckend verfügbar ist. Es sind sich alle einig, dass mehr staatliches Engagement im Mobilfunk notwendig ist. Mit den Auflagen aus der 5G-Frequenzvergabe und unserer Gesamtstrategie Mobilfunk machen wir unter anderem über die Verkehrswege einen großen Schritt in Richtung Flächendeckung.

Sie sind Staatsministerin für Digitalisierung bei der Bundeskanzlerin. Was bedeutet für Sie Digitalisierung?

Digitalisierung ist für mich der Motor der Lebenserleichterung. Sie kann helfen, dass wir besser, länger und gesünder leben können. Das treibt mich jeden Tag an. Viele Bürger tragen Ängs­te, oft diffuse Ängste vor der Digitalisierung in sich. Ihnen versuche ich immer ganz konkret auf ihre Lebenssituation zu antworten. Medizin, Gesundheit, Pflege, Bildung, Mobilität – überall kann die Digitalisierung Lebensumstände verbessern.

In einem ZDF-Interview sprachen Sie auch über Flugtaxis. Das klang wie Science-Fiction. Sind Sie schon einmal mitgeflogen?

Vergangene Woche wäre ich in Singapur fast beim Jungfernflug von Volocopter in einer Megacity dabei gewesen, es ging leider terminlich nicht. Gesessen habe ich schon in vielen. Nicht nur Volocopter (Unternehmen aus Bruchsal; d. Red.) hat bereits erste Flüge gemacht. Lilium aus der Nähe von München ist in der Entwicklung schon sehr weit. Porsche hat jüngst eine Zusammenarbeit mit Boeing angekündigt, Airbus hat Anfang des Jahres den ersten Entwurf in Ingolstadt vorgestellt. Als ich damals über Flugtaxis sprach, wusste ich, dass sie kommen würden, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht.

Also doch keine Zukunftsmusik.

Ich hielt das auch damals für keine unglaubliche Vision. Da habe ich andere.

Welche denn?

Zum Beispiel, dass wir durch autonomes Fahren die Zahl der Verkehrstoten auf null senken können. Das ist hoffentlich keine Zukunftsmusik. Was Zukunftsmusik angeht, wäre Beamen nicht schlecht. Das wäre für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Eltern ein Segen.

Bevor wir beamen können, brauchen Unternehmen und Privatleute aber schnelles Internet. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hinterher. Wo hakt es?

Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht. In meinen vier Jahren im Verkehrsministerium habe ich gefühlt jedem Bürgermeis­ter und jeder Landrätin in Deutschland einen Förderbescheid in die Hand gedrückt. Selbst in entlegensten Gegenden gibt es in der Regel mindestens 30 Megabit pro Sekunde. Aber neue Anwendungen brauchen auch immer höhere Bandbreiten. Insgesamt kommt der Breitbandausbau zwar voran, allerdings brauchen wir zu lange, um genug Funkmasten aufzustellen. Die Telekommunikationsunternehmen sagen, dass zwischen 18 und 24 Monate vergehen, bis sie einen Mast aufstellen können, zum Beispiel wegen Bürgerprotesten. Es ist paradox: Einerseits wollen die Leute den schnellen Mobilfunkstandard 5G – da braucht man vier Mal mehr Masten als bisher. Gleichzeitig bekomme ich wäschekörbeweise Zuschriften von Menschen, die meinen, ihre Gesundheit würde durch 5G gefährdet.

Sind die Deutschen zu ängstlich?

Sie sind sehr zögerlich. Eine Studie der Uni Wien hat bestätigt, dass wir von allen Nationen die meiste Angst vor Wandel haben. Beruhigenderweise sagt die Studie aber auch, dass wir, wenn wir Wandel annehmen müssen, am besten von allen damit umgehen können. Wir wollen zwar nicht, aber wenn wir müssen, können wir.

Am Smartphone sind Sie sehr aktiv, vor allem auf Instagram und Twitter. Oder machen das Ihre Mitarbeiter?

Nein, ich mache alles selber. Ich bin auch gerne in Sozialen Medien aktiv, denn ich finde es wichtig, Menschen jeden Alters an meiner täglichen Arbeit teilhaben zu lassen, ihnen dadurch Zugang zu politischen Themen zu eröffnen und zur Meinungsbildung und zur Transparenz beizutragen. Ich finde nicht, dass es sinnvoll ist, wenn die Politik sich abkapselt und den Bürgern das Gefühl gibt, „die da oben“ würden Politik im stillen Kämmerlein betreiben.

Haben Sie heute schon Instagram und Twitter gefüttert?

Instagram ja, allerdings mit meinem iPad. Dummerweise hat mein Handy den Geist aufgegeben, kurz bevor ich diese Woche nach Berlin losmusste. Deswegen habe ich gerade das von meiner Tochter ausgeliehen, mit dem ich wenigstens telefonisch erreichbar bin. Aber ich musste ihr versprechen, dass ich ihren Snapchat-Kanal bediene, damit sie keine Flammen verliert (Flammen verliert man, wenn man innerhalb von 24 Stunden keine Nachricht ausgetauscht hat; d. Red.). Getwittert habe ich noch nicht, weil ich es auf dem iPad nicht eingerichtet habe und es mir ein paar Tage im Vergleich zu Insta auch nicht fehlt.

Sie sagten einmal: „Auf Twitter sind ohnehin nur Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs.“

Ja. Davon habe ich nichts zurückzunehmen. Aber vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich normalerweise die männliche und weibliche Form benutze, in diesem Falle nicht (lacht). Twitter fehlt die Kinderstube. Instagram ist eher ein Ort des Wohlfühlens, da in Kombination mit Bildern und Sprache mehr vermittelt werden kann und die Nutzerinnen und Nutzer einfach freundlicher und höflicher sind.

Ihr Kabinettskollege Peter Altmaier ist bei einer Digitalveranstaltung gestürzt. Neben Anteilnahme gab es auf Twitter auch Häme. Sie kommentierten: „Ich könnte kotzen, wenn ich sehe, was im Netz jetzt schon wieder abgeht.“ Brauchen wir einen Werte-Kompass fürs Netz?

Wir lernen von Kleinauf, was sich gehört und was nicht. Erziehung und Anstand dürfen nicht in der analogen Welt enden. Wir irren aber, wenn wir nachträglich durch Gesetze alles heilen wollen. Ich will, dass diese Wunden gar nicht erst entstehen. Mir macht die Verrohung der Sprache in unserer Gesellschaft Sorgen. Denn sie hat Auswirkungen auf unser gesamtes Leben. Die Hemmschwelle sinkt.

Was kann man dagegen tun?

Einhalt gebieten. Und wenn etwas strafrechtlich Relevantes geschieht: Anzeigen, anzeigen, anzeigen. Ich bin da auch nicht immer konsequent. Wenn ich nachts Tweets lese, blockiere ich die Nutzer oft einfach. Ich will mich mit solchem Dreck auch nicht ständig beschäftigen. Neulich fragte eine ARD-Dokumentation Politiker nach den schlimmsten Beschimpfungen, die sie erfahren hatten. Mich wunderte, dass alle Befragten alle Ausdrücke ausgesprochen haben, die ihnen an den Kopf geworfen wurden. Ich war die einzige, die die furchtbaren Beschimpfungen nicht wiederholt hat. Ich will diesen Worten keine Macht geben. Wir dürfen nicht abstumpfen. Die Plattformbetreiber müssen stärker in die Pflicht genommen werden und die Novellierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, eine Meldepflicht für Delikte wie etwa Morddrohungen und Volksverhetzungen für Plattformbetreiber einzuführen, ist der richtige Weg. Letzte Woche haben wir im Kabinett beschlossen, dass das unbefugte Fotografieren unter den Rock oder in den Ausschnitt unter Strafe gestellt werden soll. Ich finde es jedoch unfassbar, dass diese gesetzlichen Regelungen überhaupt nötig sind.

Politiker werden zunehmend bedroht, der Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke ist sogar ermordet worden. Was macht das mit Ihnen?

Ich habe mir von Anfang an gesagt: Entweder du lässt dich von der Angst beherrschen, oder du versuchst, damit zurecht zu kommen. Als ich vor 17 Jahren im Bundestag begann, hatte ich allerdings noch keine Kinder. Wenn die Kinder lesen, was da über Vater und Mutter geschrieben wird, ist das eigentlich viel schlimmer.

Sie sagten mal, Ihre Tochter habe Sie gelassener gemacht. Was meinen Sie damit?

Meine Kinder erden mich, rücken meine Perspektiven zurecht und lassen mich auf das Wesentliche schauen. Das macht mich gelassener. Über Nichtigkeiten rege ich mich nicht mehr auf. Wenn meine Kinder sich ärgern, frage ich sie: Ärgert ihr euch in einem halben Jahr immer noch darüber? In 99,9 Prozent der Fälle ist die Antwort Nein. Dann kann man sich das Ärgern auch gleich schenken. Ich grummele höchstens fünf Minuten, im schlimmsten Fall muss ich auch mal eine Nacht drüber schlafen. Je älter ich werde, desto weniger verschwende ich meine Lebenszeit mit Negativem. Ich versuche, Menschen von mir fernzuhalten, die nur Energieräuber sind. Gott sei Dank merke ich mir schlechte Erfahrungen nicht. Das ist gut für eine gesunde Seele. Es macht etwas mit einem, wenn man Hass an sich heranlässt. Ich will bei einem christlichen Magazin nicht von Karma sprechen …

Wir können auch über biblische Weisheit sprechen. Im Buch Prediger steht: „Sei nicht schnell, dich zu ärgern; denn Ärger ruht im Herzen des Toren.“

Ich habe Religion im Abitur belegt. Mir gefällt, dass der Prediger zu einer heiteren Gelassenheit aufruft.

Angeblich mussten Sie in der Schule eine Bibel-AG verlassen, weil Sie zu konservativ gewesen seien.

Ich bin rausgeworfen worden!

Warum?

Weil mein Vater in der CSU und Bürgermeister war. Die Bibelgruppe war eine Schülerinitiative, donnerstags um 7.30 Uhr vor der Schule. Wir sprachen über Bibeltexte und diskutierten über den Glauben. An einem Donnerstag saß ich wieder dort, am Wochenende vorher war CSU-Sommerfest. Und ich war auf einem Zeitungsfoto zu erkennen! Die beiden Leiter sagten: Dein Vater ist in der CSU, wir wollen dich hier nicht mehr sehen. Also ging ich nicht mehr hin.

Das ist ja nicht gerade christlich.

Im Nachhinein hatte ich erfahren, dass der Vater der beiden verantwortlichen Schüler SPDler war. Die Geschichte mit dem Bibelkurs hat mich natürlich geprägt. Ich lade mich grundsätzlich nicht selber irgendwo ein. Ich würde nie wie Gerhard Schröder am Kanzleramt rütteln.

Sie sind ja auch so reingekommen.

(lacht) Ja, aber weil ich gefragt wurde.

Eine typische CSUlerin sind Sie aber nicht. Als Jugendliche hatten Sie lila Haare und besuchten Punkkonzerte, bei einem Computerspielpreis trugen Sie ein Latex-Outfit.

Es war Leder. Das hat einer vom anderen falsch abgeschrieben.

Sie haben für das Betreuungsgeld geworben und gegen die „Ehe für Alle“ gestimmt. Ein flippiges Image und klassischer Konservatismus – sind das nicht Widersprüche?

Nur wenn man in Schubladen denkt. Es läuft nicht überall wie im Onlinehandel: „Kunden, die für das Betreuungsgeld gestimmt haben, kauften auch eine Hochsteckfrisur.“ Das ist mir zu schlicht. Gerade bei Digitalthemen habe ich auch mal eine andere Meinung als meine Partei. Franz Josef Strauß hat einst gesagt: „Konservativ sein heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Eines meiner Lieblings-Bibelzitate lautet: „Darum prüfet alles, aber das Gute behaltet.“

Sie sind schon früh in die Junge Union und dann in die CSU eingetreten. Warum nicht in eine andere Partei?

Mich hat schon immer die Familienpolitik bewegt. Außerdem die Bewahrung der Schöpfung. Wir leben in Bayern auf dem Land, ich liebe die Natur und bin sehr heimatverbunden. Außerdem hat das Thema Abtreibung eine Rolle gespielt. Als ich 14 war, haben wir im Unterricht ein Gedicht gelesen, in dem ein ungeborenes Kind einen Brief an seine Mutter geschrieben hat, dass es leben will. Das war nicht nur für mich sehr prägend. Für mich war immer klar, dass die CSU meine Partei ist.

Sie haben als Politikerin einen dichten Terminkalender und benutzen exzessiv die Sozialen Medien. Bleibt da noch Zeit für den Glauben?

Den Glauben legt man ja nicht wegen eines dichten Terminkalenders ab. Ich gehe jedes Jahr auf Wallfahrt. Das ist mir sehr wichtig. Meine Wallfahrergruppe hat mich schon zweimal im Bundestag besucht und in der Kapelle auf der Plenarsaal­ebene Andachten gefeiert. Und ich habe einen wunderbaren Diakon. Im September ist meine Oma gestorben, er hat sie bis zum Schluss begleitet. Der Diakon hat einen würdigen und sehr schönen Trauergottesdienst gehalten. Ganz offen: Ich weiß nicht, wie Menschen, die keinen Glauben haben, das verarbeiten können. Die Beerdigung hat mir viel gegeben.

Inwiefern?

Weil ich der festen Überzeugung bin, dass sie im Himmel angekommen ist und jetzt mit allen anderen Verwandten, die auch nicht mehr da sind, wiedervereint ist. Mein Opa ist schon vor vielen Jahren gestorben und ich bin sicher, dass sie sich jetzt wieder gefunden haben. Gleichzeitig habe ich eine tiefe Dankbarkeit empfunden dafür, dass ich vierzig Jahre so eine tolle Oma hatte.

Hat der Glaube auch Platz im Netz?

Seit ich auf Twitter bin, bete ich manchmal bei @twomplet mit. Ab 21 Uhr treffen sich Twitternutzer zum Beten. Jeder kann sich beteiligen und das Gebet für einen Abend gestalten. Ich finde, wir sollten als Christen offener über unseren Glauben sprechen. Neulich habe ich einem sehr bekannten deutschen Schauspieler aus dem Osten Deutschlands zum Geburtstag gratuliert. Er glaubt nicht an Gott, ist auch nicht getauft oder in der Kirche. Ich habe ihm trotzdem Gottes reichen Segen gewünscht. Er bedankte sich und schrieb mir, dass er mit zunehmendem Alter den Eindruck hat, dass es doch mehr gibt, als er bisher glaubt. Das hat mich gefreut, weil wir doch viel zu oft davor zurückschrecken, nichtgläubige Menschen an unserem Glauben teilhaben zu lassen.

Wer ist Jesus Christus für Sie?

Der Sohn Gottes. Der Erlöser. Der, der für unsere Sünden gestorben ist, der uns ermöglicht, dass wir zugeben können, fehlbar zu sein, und der die ganze Last der Welt auf seine Schulter genommen hat. Der uneigennützigste Mensch, den man sich vorstellen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dorothee Bär, Jahrgang 1978, wurde mit 24 Jahren Bundestagsabgeordnete. Ihre neu geschaffene Stelle als Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt trat sie 2018 an. Auf Instagram ist die Mutter dreier Kinder besonders aktiv.

Lesen Sie das Interview auch in der Printversion in der neuen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich hier oder telefonisch unter 06441/5667700.

Die Fragen stellte Nicolai Franz

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