Meinung

Die Rattenfängerin

Alice Weidel verleumdet die Bundesregierung. Das ist nichts Neues. Doch ihre Töne sind unerträglich schrill geworden – und noch unglaubwürdiger.
Von Anna Lutz

Die Wenigsten werden AfD-Co-Chefin Alice Weidel wohl geglaubt haben, was sie am Dienstag in der Generaldebatte im Bundestag behauptete: „Diese Regierung hasst Deutschland!“, rief sie ins Mikrofon, den Zeigefinger Richtung Ministerbank erhoben, das Kinn vorgereckt, die Halssehnen angespannt. Das war dann selbst für ihre Verhältnisse dick aufgetragen, der Aufschrei im Nachklang war riesig und hallt noch nach. 

Eine weitere Lüge in ihrer Rede hingegen kam schleichender daher: „Der Bundespräsident bezeichnet AfD-Wähler als Ratten“, sagte sie, um sich im gewohnt roboterhaften Singsang und mit pathetischen Worten darüber zu echauffieren, wie der höchste Staatsrepräsentant den Wähler herabwürdige. 

Nun kann man Weidel kaum vorhalten, sie sei intellektuell nicht gewitzt. Oder kenne sich in deutschem Kulturgut nicht aus, das allein wäre bei einer teils als rechtsextremistisch eingestuften Partei schon ein Treppenwitz. Daher bleibt nur eine Schlussfolgerung: Weidel lügt bewusst. Sie täuscht den Wähler. Sie denunziert, um Macht zu gewinnen. Kurz: Sie tut all jenes, was sie den anderen Parteien im Bundestag vorwirft.

„Hätte dieser Rattenfänger in der bekannten deutschen Sage tatsächlich nur Ratten und Mäuse gefangen, dann wäre er keine Erzählung wert gewesen. Stattdessen lockt er Kinder an.“

Denn was Bundespräsident Steinmeier tatsächlich jüngst bei einem Treffen im Schloss Bellevue sagte, war dieses: „Wir lassen uns dieses Land nicht von extremistischen Rattenfängern kaputtmachen.“ 

Die Metapher vom Rattenfänger – das weiß jedes Kind und erst recht wohl Alice Weidel – bezieht sich auf eben jenen aus Hameln. Hätte dieser Rattenfänger in der bekannten deutschen Sage tatsächlich nur Ratten und Mäuse gefangen, dann wäre er keine Erzählung wert gewesen. Stattdessen lockt er Kinder an, um sich an der Bevölkerung der Stadt zu rächen, die ihm einst den Lohn versagte. Er führt unschuldige Menschen mithilfe verlockender Töne in einen finsteren Berg. Die Kinder werden nie wieder gesehen. 

Nun ist Weidels hasserfülltes Gezeter im Hohen Haus zwar keineswegs imstande, die Hörer in Trance zu versetzen. Es rüttelt eher wach, erinnert an finsterste Zeiten in Deutschland. Und doch trifft der Vergleich, denn wie der Rattenfänger säuselt die AfD den Menschen im Lande das Versprechen einer besseren Zukunft ein, um sie eigentlich in die Dunkelheit zu führen. Das ist es, was der Präsident sagen wollte. Nicht als Ratten bezeichnete er die Wähler. Sondern als unschuldige Kinder, die melodisch klingender Musik folgen, die sich bei Zuhilfenahme aller Sinne als Lug und Trug und Gefahr herausstellt. 

Vielleicht ist das in der Tat nicht jedem AfD-Abgeordneten, der die Mär vom wählerhassenden Präsidenten in den vergangenen Tagen weiterverbreitete, klar. Alice Weidel aber weiß, was sie sagt. Machtpolitiker gibt es in jeder Partei, aber selten sind sie es so offensichtlich wie die populärste AfD-Frau.

Sagen wir es also, wie es ist: Alice Weidel belügt den Wähler, um die Bundesregierung in ein schlechtes Licht zu stellen und Protestwähler anzulocken. So schrill wie ihre waren die Töne des Rattenfängers in der Sage wohl nicht. Aber mindestens ebenso laut. Und ebenso hinterhältig.   

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