Die Gemeindepfarrerin mit 40.000 Instagram-Schäfchen

Pastorin, EKD-Ratsmitglied, Influencerin: Josephine Teske sieht in Instagram zwar keinen Ersatz für die Gemeinde vor Ort. Aber die Kirche sollte diesen großen Schatz endlich bergen, findet sie.
Von Jörn Schumacher
Josephine Teske, Instagram, Pfarrerin

Wenn Josephine Teske morgens um sechs Uhr ihr Handy anschaltet und bei Instagram auf Sendung geht, schauen ihr gut und gerne 300 Menschen live zu. „Seid ihr bereit?“, fragt sie vor der Andacht, im Hintergrund ist noch der schwarze Himmel durchs Fenster zu sehen. „Wo auch immer ihr gerade seid, auf dem Weg zur Arbeit, im Bett oder im Badezimmer.“ Die Aufzeichnungen ihrer Andachten schauen sich im Nachhinein viele Tausend Menschen an.

Die Theologin ist unter dem Namen „@seligkeitsdinge_“ als Instagram-Pastorin aktiv. Seit 2018 ist Teske Gemeindepastorin, und zwar „von ganzem Herzen“, wie sie im Gespräch mit PRO betont. Ihre evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Meiendorf-Oldenfelde, in der sie zusammen mit derzeit vier weiteren Pastorinnen und Pastoren tätig ist, liegt ganz am nördlichen Rand Hamburgs und ist mit rund 10.000 Mitgliedern die zweitgrößte Gemeinde der Stadt. Seit einem Jahr ist Teske zudem Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Der 36-Jährigen hören auf Instagram Tausende Menschen zu, wenn sie aus ihrem Leben und vom Glauben spricht. Ob das nun beruflich oder privat passiert – das könne sie selbst gar nicht so genau sagen, erklärt Teske. Denn einerseits agiert sie hier ohne kirchlichen Auftrag, sondern aus eigener Motivation heraus. ­Andererseits gibt sie längst nicht alles preis, was die echte ­„Phine“ ausmacht.

„Ich trenne zwischen privat und persönlich“, sagt Teske. „Privat weiß man gar nicht so viel von mir. Persönlich aber schon.“

Alle Lebensthemen kommen dran

Das Interesse an einer Pfarrerin, die man mit Fragen nach dem Glauben und der Kirche löchern kann, ist riesig. Ebenso wie der Hunger nach spiritueller Wahrheit. Das stellt Teske fast täglich fest. Dabei ist es wohl auch die Anonymität des Mediums, die für viele Menschen attraktiv ist. „Wer sonst wohl eher nicht wirklich in eine Kirche gehen würde, findet hier die Möglichkeit, ganz ungezwungen einmal eine Pfarrerin zu kontaktieren“, sagt Teske.

Auf Instagram erzählt sie fast täglich aus ihrem Leben als Pastorin in der Gemeinde. „Aber eben nicht so etwas wie: ‚Gleich muss ich in eine Besprechung, danach ist Gottesdienst.‘“ Sie versuche alles mit Inhalt zu füllen. „Wenn ich zum Beispiel zu einem Be­erdigungsgespräch gehe, berichte ich, was besonders tröstend war. Ich möchte die Menschen dazu bewegen, sich mit ihrem eigenen Glauben auseinanderzusetzen und auf die Suche zu gehen.“ Sie selbst möchte da nur Hilfestellung geben.

Auch ihr eigenes Leben ist immer wieder Thema ihrer Postings. Wie es ist, eine alleinerziehende Mutter zu sein, etwa. Teske verlor vor einigen Jahren einen Sohn, und auch diese Glaubens- und Lebenskrise sowie der Trost, den sie später im Glauben fand, thematisiert sie ganz ehrlich.

„Vielleicht ist so etwas auch heilsam für viele: Im Pfarrhaus gibt es eben nicht nur die heile Vater-Mutter-Kind-Familie.“ Auch Themen, die viele bei einer Pastorin überraschen, spricht Teske offen an, Feminismus, Sex vor der Ehe, Homosexualität und so weiter. „Alle Lebensthemen eben.“

Echte Gemeinschaft im Netz

Dass Soziale Medien wie Instagram auch für die Kirche immer interessanter werden, zeigt schon eine einfache Rechnung: Mehrere tausend Menschen lesen Teskes Posts, ihre Videos werden teilweise mehrere zehntausend Mal gesehen.

Ihre „echte“ Gemeinde in Meiendorf-Oldenfelde hat gerade einmal 10.000 Mitglieder. Während zu ihren Gottesdiensten am Sonntagmorgen vielleicht 30 Menschen kommen, hören ihr bei ihren Instagram-Andachten sogar morgens um sechs Uhr mehrere hundert zu, hinzu kommen Tausende Klicks der Aufzeichnung.

Die Online-­Gottesdienste ­seien sogar manchmal berührender als die Gottesdienste vor Ort, stellt sie fest. „Da ist richtige Gemeinschaft spürbar.“ Auch Atheisten folgen ihr, weiß die Instagram-Pastorin. „Und die kommen manchmal sogar in meinen Gottesdienst.“

Teske fragt ihre Netz-Gemeinde vorab, über welche Themen sie predigen soll. Nach einem Impuls spielt sie ein Lied ab und stellt der Community abschließend eine Frage. Einmal, beim Thema Schuld, fragte sie: „Wo fühlst du dich gerade schuldig?“ Teske erwartete keine große Reaktion. „Doch es kamen viele ehrliche Beiträge, und auch untereinander diskutierten die Menschen. Es herrscht ein unglaubliches Vertrauen in diesen Communitys.“

Es erübrigt sich fast die Frage, die Teske dann anspricht: „Wer ­­würde sich in einem Gottesdienst hier in der Gemeinde so entblößen und so offen über persönliche Schuld sprechen?“

Seelsorge gehöre zwar selbstverständlich zu ihrem Dienst als Gemeindepfarrerin dazu. „Doch die wird nicht so viel angefragt“, sagt Teske. „Auf Instagram hingegen ist die Schwelle viel niedriger.“ Besonders mit Beginn der Corona-Zeit nahmen die Anfragen nach Seelsorge über Instagram enorm zu.

Aus manchen losen Kontakten über Instagram wurden nach und nach richtige Freundschaften, berichtet Teske. Die Mutter ihres Patenkindes etwa lernte sie über das Netzwerk kennen. Und natürlich gibt es viele Kontakte zu Kirchen-Kollegen. „Eine Kollegin aus Bayern, mit der ich mich regelmäßig austausche, hätte ich ohne Instagram vielleicht nie kennengelernt.“

Ein Schatz für die Kirche

Die Pastorin ist überzeugt: „Kirche muss zu den Menschen kommen.“ Dieses Thema will sie auch im Rat der EKD angehen. Seit November 2021 ist sie eines der 15 Mitglieder dieses Leitungsgremiums, die einzige Gemeinde-Pastorin. Die Kirche habe geradezu die Verpflichtung, im Netz aktiv zu sein, findet sie. „Im Internet sind so viele menschen- und demokratiefeindliche Botschaften unterwegs – da müssen wir als Kirche ein Gegengewicht sein. Da ist die Relevanz, nach der immer gerufen wird.“

Zu Instagram kam Teske in ihrer Zeit im Vikariat, und das eigentlich nur, um zu sehen, was ihre Kollegen so treiben. „Die Art, wie ich die Dinge sehe, kam offenbar gut an. Auf einmal war ich die Pastorin, die was zu sagen hat und die im Netz verkündet.“

Dass ihr mittlerweile über 40.000 Menschen folgen, ist für sie selbst „unvorstellbar“. Auf den möglichen Grund dafür angesprochen, antwortet Teske: „Wahrscheinlich weil ich eben nicht nur ein reiner Kirchen-Account bin.“

Aber ist der Kontakt über das Handy nicht eingeschränkt im Vergleich zu persönlichen Treffen? Teske: „Ja, der Kontakt ist anders. Aber nicht weniger wertvoll oder weniger tief.“ Für die Pastorin ist klar: „Instagram soll kein Ersatz für den echten Gemeindedienst sein. Aber darüber erreichen wir die Menschen. Da liegt ein großer Schatz für die Kirche.“

Der Text erschien zuerst in der Printausgabe von PRO. Bestellen Sie das Magazin kostenlos online.

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