Kommentar

Die Geiseln kommen frei, aber der Antisemitismus bleibt

Durchbruch in Nahost. Donald Trumps Friedensplan wurde von allen beteiligten Parteien unterzeichnet. Das ist aber noch keine Garantie auf wirklichen Frieden – und führt nicht automatisch zum Verschwinden von Antisemitismus in Deutschland.
Von Martin Schlorke
Plakat-mit-48-Geiseln

Die Geiseln kommen frei. Das ist die wohl beste Meldung der Woche. Noch vor zwei Tagen haben bundesweit tausende Menschen den Opfern des Terrorangriffs durch die Hamas am 7. Oktober 2023 gedacht und die Freilassung der 48 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln gefordert. Auf Gedenkveranstaltungen in Berlin war zu diesem Zeitpunkt nur zaghaft echte Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zu spüren. War doch erneut eine von US-Präsident Donald Trump gesetzte Deadline erst am Wochenende abgelaufen. 

Dass es jetzt zu einem „Deal“, wie Trump gerne sagt, gekommen ist, liegt wohl maßgeblich an seiner unkonventionellen Art zu verhandeln und daran, den verschiedenen Parteien die Pistole auf die Brust gesetzt zu haben. Und kaum hatte Trump das Abkommen selbst in den sozialen Medien bestätigt, forderten deutsche Kommentatoren und viele Stimmen aus den USA und Israel, nicht zuletzt sogar die Angehörigen der Geiseln, Donald Trump den Friedensnobelpreis zu verleihen. 

Zu Recht? Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig das Abkommen ist. Aber wäre der Preis für Trump so abwegig? Schließlich haben 1994 PLO-Führer Jassir Arafat und die israelischen Politiker Schimon Peres und Jitzchak Rabin allein für ihre Anstrengungen zur Lösung des Nahostkonfliktes den Nobelpreis erhalten. Trump könnte dagegen tatsächlich Fakten schaffen.

Antisemitismus in Deutschland

Entscheidend ist aber nicht, ob Trump nun den Friedensnobelpreis bekommen wird und damit sein Ego befriedigt ist, oder nicht. Wichtig ist, dass die Geiseln tatsächlich freikommen und das Sterben aufhört – auf beiden Seiten. Das gilt es die nächsten Tage und Wochen abzuwarten.

Wichtig ist auch, die Situation in Deutschland nicht aus den Augen zu verlieren. Denn ein Friedensabkommen in Nahost bedeutet nicht, dass der Antisemitismus in Deutschland verschwindet. Im Gegenteil. Der Hass auf Israel und die Gewalt gegen Juden verstärken sich bereits seit Jahren in Deutschland. Für Antisemiten und Israel-Hasser ist der Krieg gegen die Hamas und das Leid im Gazastreifen nur eine willkommene – wenn auch hanebüchene – Begründung. 

Sogar zum Jahrestag des Hamas-Massakers gab es zahlreiche israelfeindliche Demonstrationen. Eine Großkundgebung wurde in Berlin von der Polizei wegen Terrorverherrlichung im Vorfeld verboten. Dennoch kamen hunderte Demonstranten. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren leider zu einem Hotspot solcher Demonstrationen entwickelt. Seit dem 7. Oktober fanden Hunderte dieser Demonstrationen statt. Dem gegenüber steht eine große schweigende Mehrheit, deren lautstarke Empörung gegen Hass und Antisemitismus auf deutschen Straßen längst überfällig ist – aber vermutlich auch künftig nicht zu hören sein wird. 

Ausstellung über Terrormassaker in Berlin

So wenig der Antisemitismus wie von Geisterhand verschwinden wird, so wenig wird sich der Nahe Osten mit dem Friedensabkommen in eine heile Welt verwandeln. Die Wunden, die allein die vergangenen beiden Jahre hinterlassen haben, werden noch lange brauchen, um zu heilen. Und der 7. Oktober wird in Israel für immer an die Verbrechen der Hamas erinnern. Was geschehen ist, kann wieder geschehen, wie der Holocaust-Überlebende Primo Levi einst warnte. Auch deswegen empfehle ich Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich die Ausstellung „Nova Music Festival Exhibition“ in Berlin. Sie ist erschreckend. Sie bedrückt. Sie gibt einen Einblick in das nicht zu fassende Leid, das am 7. Oktober 2023 über Israel hereingebrochen ist. Sie zeigt, wozu Menschen fähig sind. Aber sie erzählt auch Geschichten von Menschen, die selbstlos für das Leben anderer kämpften.

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