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Diakoniechef Lilie: „Raus aus der Blase und wirklich zuhören“

Veränderung wächst aus dem Zuhören, diese Erfahrung hat Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in seinem Buch „Unerhört“ beschrieben. Mit Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus war sich Lilie am Mittwoch in Berlin darüber einig: Jeder Mensch muss in seinen Ängsten gesehen und ernstgenommen werden.
Von PRO
Ulrich Lilie ist Präsident der Diakonie Deutschland und Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung

Foto: Diakonie/Thomas Meyer

Ulrich Lilie ist Präsident der Diakonie Deutschland und Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung

„Wir haben diese Leute alleingelassen“, so der Titel eines Kapitels, das Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, für seine Lesung in der Buchhandlung der Berliner Stadtmission ausgewählt hatte. Es handelt von einfachen Menschen, „keine Fremdenhasser oder Rassisten“, sondern „enttäuscht und sauer“. Die politischen Entscheidungen zur Flüchtlingsaufnahme und die anfängliche Euphorie müssen sie nun ausbaden, so kommt es ihnen vor, die konkreten Probleme im Alltag haben sie vor ihrer Haustür.

Das Problem sei nicht, dass die Flüchtlinge gekommen seien, sondern wie man damit umgegangen sei, betonte Unionsfraktionschef Ralph Brinhkaus beim anschließenden Gespräch mit Ulrich Lilie. Ein ehrlicher Umgang mit den Befürchtungen und Ängsten der Deutschen wäre besser gewesen, glaubt er. Stattdessen sei es genau andersherum gelaufen: „Wer es überhaupt nur gewagt hat, mal darauf hinzuweisen, dass das vielleicht auch Probleme mit sich bringt, der ist aber so was von weggebasht worden, dass es hinterher keiner mehr gesagt hat.“

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sprach mit Ulrich Lilie über dessen Buch Foto: Christina Bachmann
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sprach mit Ulrich Lilie über dessen Buch

Dahingehend habe auch die Kirche Fehler gemacht, räumte Lilie ein. Es habe ein Fieber wie bei einer Fußball-WM gegeben: „Das hat ein bisschen die ganze Sache zur Idylle gemacht.“ Von dieser Euphoriewelle hat sich seiner Meinung nach auch die Kirche mitreißen lassen. Auch wenn er die Entscheidung der Kanzlerin zur Flüchtlingsaufnahme für richtig halte: Zu wenig seien in der politischen Kommunikation die Herausforderungen angesprochen worden. Er wünsche sich vielmehr, „dass wir benennen, was schwierig ist, und dass wir die Sorgen von Menschen ernstnehmen.“

Worte sorgsam wählen

Lilie wies auf die Wahlerfolge der AfD in von Flüchtlingsproblematiken betroffenen Wahlbezirken hin. Die Partei gehe genau in dieses Vakuum hinein, indem sie suggeriere: „Wir kümmern uns.“ Man dürfe das Feld nicht den Populisten überlassen. Dass sie sich kümmern würden, das müssten die Menschen auch den Politikern der klassischen Volksparteien abspüren. „Populistische Parteien kümmern sich nicht wirklich, sondern sie nehmen die Wut und sagen den Leuten: ‚Ihr müsst noch viel wütender sein!‘“, betonte Brinkhaus. „Ich habe bei populistischen Parteien noch nie einen Lösungsansatz gesehen, der in irgendeiner Art und Weise halbwegs realistisch ist.“

Das Buch „Unerhört“ von Ulrich Lilie erschien voriges Jahr bei Herder. Inspiriert ist es von der gleichnamigen Kampagne der Diakonie. Die nimmt Foto: Diakonie/Kathrin Harms
Das Buch „Unerhört“ von Ulrich Lilie erschien voriges Jahr bei Herder. Inspiriert ist es von der gleichnamigen Kampagne der Diakonie. Die nimmt

Er plädierte ebenfalls für einen ehrlichen Umgang: „Die Gesellschaft hat sich verändert, ihr werdet euch auch verändern müssen – aber wir werden diesen Weg zusammen mit euch gehen.“ Das setze beidseitiges Zuhören voraus und ebenso einen respektvollen Umgang miteinander. Auch mit Hinweis auf die verhinderte Lesung von Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Göttingen sprach Brinkhaus von einer gewaltigen Empörungskultur, die durch die Sozialen Medien noch stärker geworden sei.

„Wir müssen auch unsere Worte wählen“, mahnte der Unionsfraktionschef. „Wir haben diese Qualität in Teilen des Deutschen Bundestags verloren.“ Die AfD verschiebe ganz bewusst Sprachgrenzen, ergänzte Lilie, sie breche Tabus und sage anschließend: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ – „Nein, das darf man hier nicht sagen“, so Lilie, „wenn man zu diesem Gemeinwesen gehören möchte.“

„Wir sind ein gutes Land“

Was können Einzelne tun? Sich zum Beispiel auf Kommunalebene politisch engagieren, meinte Brinkhaus und lobte das Engagement von Bürgerinitiativen. Das sei allerdings oft nur punktuell, danach seien die Leute wieder weg. Sein Fazit fiel dennoch positiv aus: „Wir sind trotz allem, was schiefläuft, ein gutes Land. Wir sind, glaube ich, das beste Deutschland, was wir in unserer Geschichte gehabt haben.“ Das müsse man sich immer vor Augen führen: „Wir erzählen uns nie unser Glück, sondern immer nur unsere Sorgen!“

Man dürfe aber auch keine Idylle zeichnen, warnte Lilie. Als Diakoniechef ging sein Appell in Richtung der Pastoren: „Raus aus den kleinen komfortablen Blasen und sich anhören, was im Stadtteil noch für Stimmen sind“, sagte er am Ende des Abends gegenüber pro. „Und sich überlegen, was man aus Glauben für diejenigen tun könnte – erst mal ohne irgendeine Absicht sehen: Wie kann ich mich in deren Dienst stellen.“ Auf diese Hörfähigkeit werde es in der sich verändernden Gesellschaft ankommen.Christina Bachmann

Von: Christina Bachmann

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