Deshalb ist Journalistin Miriam Hollstein die Kirche so wichtig

Top-Journalistin Miriam Hollstein hat ein Herz für die Kirche. 2021 ließ sie sich fast in den EKD-Rat wählen. PRO hat gefragt, warum.
Von Anna Lutz

Angela Merkel ist auf dem Weg nach Buenos Aires, als das Kommunikationssystem des Flugzeugs plötzlich den Geist aufgibt. Die Crew hält nur noch per Satellitentelefon den Funkkontakt mit dem Boden, eine Notsituation. So kann keine Maschine weiterfliegen. Die Passagiere ahnen nichts, als die Piloten sie schließlich darüber informieren, dass die Reise kurz nach Antritt bereits wieder enden muss.

Der Flieger landet in Bonn statt in Südamerika und das mit einiger Dramatik, denn die vollgetankte Maschine ist eigentlich zu schwer für ein solches Manöver. Am Ende geht alles gut. Merkel fliegt am nächsten Tag weiter.

Flugzeugpanne mit Merkel

Es ist eine dieser Geschichten, die Miriam Hollstein aus ihrem Berufsleben erzählen kann. Denn sie war live dabei. Damals, 2018, war sie an Bord mit der ehemaligen Kanzlerin. Eine Flugzeugpanne mit der mächtigsten Frau der Republik. Es war nicht das einzige Mal, dass Hollstein Merkel hautnah erlebte. Sie hat sie interviewt und im Wahlkampf begleitet. Nicht nur wegen der zahlreichen Begegnungen fühlt sie sich ihr verbunden. Merkel ist wie Hollstein Pfarrerstochter. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Bücher damals bei Merkels zu Hause im Regal standen“, sagt sie und muss lächeln. Bis heute verbindet die Journalistin viel mit der Kirche.

Wer das politische Berlin kennt, kennt auch Hollstein. Sie hat nicht nur über Merkel geschrieben, sondern über so gut wie jeden großen Namen der deutschen Politik, von Annegret Kramp-Karrenbauer bis Petra Pau. 19 Jahre ihres Berufslebens verbrachte sie im Hause Springer, zuerst bei der Tageszeitung Die Welt und dann bei der Bild am Sonntag. 2020 wechselte sie zur Funke-Mediengruppe, doch die Reise geht weiter: Ab Februar sitzt sie nun als Politik-Chefreporterin im neu gegründeten Hauptstadtbüro von T-Online.

Hollsteins Nähe zur Kirche: „Vater wäre stolz gewesen“

Doch dass Hollstein eine Nähe zur Evangelischen Kirche hat, erfuhren die meisten wohl erst im vergangenen Jahr. Im Herbst machte die Nachricht Schlagzeilen, dass sie sich für die Wahl zum Rat der Evangelischen Kirche aufstellen lasse, dem Kirchenparlament der Protestanten. „Ich hatte ja keine Ahnung, was das für Wellen schlagen würde“, sagt die 51-Jährige beim Treffen mit PRO in Berlin. Evangelische und katholische Medienhäuser berichten, die Freude über die Kandidatur einer Kommunikationsexpertin mit gutem Draht ins politische Berlin ist auch in den Sozialen Netzwerken groß.

Doch dann zieht sie ihre Kandidatur für die Kirche wie aus dem Nichts heraus zurück. Sie bedauert das bis heute. Dabei hat sie gute wie dramatische Gründe: Ganz plötzlich muss sie um ihre Mutter bangen. Die 85-Jährige soll für Untersuchungen ins Krankenhaus, eine mögliche Krebsdiagnose steht im Raum. Erst später gibt es Entwarnung. Außerdem beginnt bald der neue Job. Ein derart zeitaufwendiges Ehrenamt passt nicht in die neue Lebenssituation der Journalistin. „Dabei wäre mein Vater so stolz gewesen“, sagt sie.

Miriam Hollstein spricht über ihre Nähe zur Kirche, hier beim Interview mit PRO in Berlin

Ihr Vater, Hartmut Hollstein, arbeitet zunächst als Vikar in einem Hochhausviertel von Pforzheim, wird dann in den späten 70er Jahren Studentenpfarrer am Bodensee und danach Landesmännerpfarrer in Karlsruhe. Die 1970 geborene Miriam erlebt als Kind jede dieser Stationen mit und damit auch jede Facette kirchlichen Lebens: von der Arbeit mit sozial Benachteiligten, über studentische politische Diskussionen rund um die Rote Armee Fraktion (RAF) und den Deutschen Herbst bis hin zur Bürokratie der sperrigen Institution Kirche.

Liebe statt Rituale

Als Jugendliche besucht sie ganz selbstverständlich die Kirche des Vaters, ist nicht übermäßig engagiert, aber fühlt sich wohl. Das Glaubensleben der Familie zeigt sich weniger in Ritualen wie Mittagsgebeten oder Familienandachten. Stattdessen erinnert sich Hollstein an den liebevollen Blick ihres Vaters auf die Welt. „Er war immer am Gespräch und am Austausch interessiert, liebte intellektuelle Debatten, aber gab dem anderen immer das Gefühl: Deine Meinung interessiert mich.“

Zur Person:

Miriam Hollstein ist 1970 geboren und lebt in Berlin. Von 2001 bis 2020 arbeitete sie im Hause Springer, zunächst für die Welt am Sonntag, dann für die Welt, und schließlich für die Bild am Sonntag. Dann wechselte sie zur Funke-Gruppe und arbeitet seit Februar 2022 als Chefreporterin für Politik im Hauptstadtbüro von T-Online.

Konventionen spielen im Hause Hollstein keine Rolle. Die Mutter war einst getaufte Katholikin, konvertierte später zugunsten der Eheschließung, die Tochter wurde erst zur Konfirmation getauft, damit sie sich selbst für oder gegen den Glauben entscheiden konnte, und Vater Hollstein bot gemeinsam mit einem katholischen Kollegen bereits damals ökumenische Gottesdienste an – nicht ohne den Ärger mancher Kirchenoberen zu provozieren. Kirche, das ist Miriam Hollstein von Jugend an mitgegeben, ist ein Ort der Freiheit. Und wo sie es nicht ist, da fühlt sie sich nicht wohl.

Hollstein und die evangelikale Kirche: Der Parzany-Effekt

Als 15-Jährige begleitet sie eine Freundin zu einer Evangelisationsveranstaltung des evangelikalen Predigers Ulrich Parzany. Seine Auslegung der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn bleibt ihr im Gedächtnis. Es geht um den richtigen Lebensstil eines Christen. Parzany ist für sie einerseits „ungeheuer charismatisch“, andererseits fühlt sie sich in die Ecke gedrängt. „Als wäre die Art, wie ich mein Christsein lebte, nicht genug gewesen“, beschreibt sie das Gefühl von damals.

Bis heute verfolgt sie dieser „Parzany-Effekt“, wie sie es nennt. „Ich denke eigentlich immer, ich müsste mehr für meine Kirche tun.“

Manche Enge in frommen Kirchen

Freikirchen sind ihr wegen ihrer Innovationsfähigkeit sympathisch und auch, weil es ihnen im Gegensatz zu vielen landeskirchlichen Gemeinden gelingt, junge Menschen anzusprechen. Doch Hollstein stört sich an mancher „Enge“ im frommen Christentum, sei es die Sexualmoral oder die Frage der Emanzipation. „Das Leben lehrt uns doch, dass es voller Schattierungen ist und es eben nicht den einen goldenen Weg gibt“, sagt sie, immer noch mit Blick auf Parzany.

„Ich möchte mir den liebevollen Blick auf meine Mitmenschen bewahren, aber auch immer neugierig auf ihre Geschichten sein, egal, ob ich es mit Spitzenpolitikern oder dem Mann von Nebenan zu tun habe.“

Miriam Hollstein im PRO-Interview

Vom Vater hat Hollstein also die Liebe zur Kirche. Und von der Mutter die Liebe zum Beruf. Diese arbeitet als Lokaljournalistin beim Südkurier am Bodensee, war zuvor die erste weibliche Volontärin bei der Recklinghäuser Zeitung.

Nicht nur die emanzipatorische Weltsicht trägt Hollstein bis heute mit: „Sie hat sehr gründlich recherchiert, war unbestechlich, kritisch und sie hatte immer Interesse an den Menschen, auch nach 30 Jahren im Beruf noch.“ Mit zwölf Jahren beschließt Hollstein: Ich folge meiner Mutter, ich werde Journalistin.

Petra Pau, Peter Tauber: Fragen des Lebens

Doch auch der Einfluss des Vaters bleibt spürbar: „Ich möchte mir den liebevollen Blick auf meine Mitmenschen bewahren, aber auch immer neugierig auf ihre Geschichten sein, egal, ob ich es mit Spitzenpolitikern oder dem Mann von Nebenan zu tun habe“, sagt sie. Dabei lernt jeder Reporter, besonders im Umgang mit Politikern Härte zu zeigen. Hollstein ist anders. Ihr Grundimpuls sei immer, das Gute in jedem zu sehen.

Geschadet hat es ihr bisher kaum. Im Gegenteil. Sie erinnert sich an tiefe Gespräche, etwa mit einer mittlerweile verstorbenen Linken-Politikerin über deren schwere Nierenerkrankung. Mit Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau über deren Stimmbandentzündung. Oder mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Peter Tauber über das Ende des Lebens.

Manchmal, so sagt Hollstein, fühlten sich diese Interviews wie Seelsorge an.

Am Ende ist es wohl auch diese Haltung, die Hollstein veranlasst, sich 2020 von Springer zu trennen. Im Jahr zuvor wird bekannt, dass ihr damaliger Arbeitgeber, die Bild am Sonntag, mit der Bild-Zeitung fusionieren wird. Hollstein fühlt sich unwohl damit. „Ich bin einfach nicht der Hund, der sich in jemanden verbeißt“, sagt sie. „Kampagnenjournalismus“ sei nicht ihre Welt.

„Ich bin einfach nicht der Hund, der sich in jemanden verbeißt.“

Miriam Hollstein im PRO-Interview

Stattdessen will sie Geschichten von Menschen erzählen, die ihre Rüstungen ablegen.

Treffen mit RAF-Terroristin

Wie 2007, als sie die ehemalige RAF-Terroristin Silke Maier-Witt in Skopje kennenlernt. 1991 wurde diese wegen der Teilnahme an der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und nach fünf Jahren entlassen. Als Hollstein sie trifft, setzte sie sich mit einer Organisation für den Frieden zwischen Mazedoniern und Albanern ein.

„Sie hat ihre Taten von damals bereut. Ich habe eine verwundete Frau getroffen, die einen hohen Preis für ihre Fehler gezahlt hat“, erinnert sich Hollstein.

Bewegendste Begegnung

Für sie ist es eine der bewegendsten Begegnungen ihrer Laufbahn. Auch, weil Maier-Witt ihre Fehler erkannt hat. Und umgekehrt ist. So wie der verlorene Sohn in Parzanys Predigt. Für die Journalistin ist es, als drehte sich ihr christliches Leben um diesen Punkt: „Der Glaube fordert uns immer wieder neu heraus, uns selbst kritisch zu sehen, uns nicht zum Maßstab zu machen. Das gibt es nirgendwo sonst. Deshalb ist die Kirche so wichtig. Deshalb werde ich sie nie verlassen.“

Dieser Text ist zum ersten Mal in der Ausgabe 1/2022 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Abonnieren Sie PRO kostenlos hier.

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4 Antworten

  1. „Ich möchte mir den liebevollen Blick auf meine Mitmenschen bewahren…“.
    Bleibt es nur bei dem Blick oder führt er zur Handlung im Hinblick auf diese Aussage von Jesus Christus
    „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan“ in Matthäus 25,40?

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  2. Ich kenne Frau Hollstein nicht persönlich, aber diese Beschreibung ihrer Person finde ich sehr interessant und deckt sich mit meiner Einschätzung von ihrer Person.

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  3. Sehr geehrte Frau Hollstein,

    Vielen Dank für Ihr Statement zu Selenskyj’s (unverständlich-rüden) Besuchs-Absage
    an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Man darf gespannt sein, wie lange dieses beinahe schon
    a priori unfreundliche Verhalten des ukrainischen Präsidenten gegenüber Deutschland anhält – und was die (wahren) Gründe hierfür sind….

    Freundliche Grüße aus Heidelberg,
    Gunther Herpel

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  4. Sehr geehrte Frau Hollstein,
    Herr Steinmeier sollte sich lieber fragen ob er dem Job den er zur Zeit inne hat, gewachsen ist. Denn bisher hat er gemeinsam mit Frau Merkel durch ihren Kuschelkurs mit Putin den Krieg gegen die Ukraine erst ermöglicht. Beide haben gegen einen Beitritt der Ukraine zur NATO massiv Stimmung gemacht und diesen Beitritt damit verhindert. Sie haben beide gegen die Interessen des deutschen Volkes gehandelt und ihm Schaden zugefügt. Der Amtseid wurde durch Frau Merkel gebrochen. Hauptsache, sie hat einen schönen Italienurlaub gemacht um sich dem Leid der Menschen in der Ukraine zu entziehen. Weiter so Frau Merkel und Herr Steinmeier.

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