Haben Sie es mitbekommen? Kanzler Merz hat zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Kokain geschnupft. Sie waren mit dem britischen Premier Keir Starmer gerade auf der Bahnfahrt zurück von Kiew. Dort hatten sie mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk den Druck auf Moskau erhöht, einem Waffenstillstand zuzustimmen, um über ein Ende des Krieges zu verhandeln. Offenbar waren sie danach so aufgekratzt, dass sie sich erstmal unter Drogen setzen mussten. Als Journalisten unvermittelt das Zugabteil betraten, ließen die Politiker die Utensilien – ein Beutelchen und einen länglichen Gegenstand – unauffällig in ihren Taschen verschwinden. Doch es gibt Fotos und Videos!
War es wirklich so? Tatsächlich verbreiten sich Bilder davon massenweise auf Plattformen wie X oder Telegram. Sie sind etwas unscharf, daher lässt es sich nicht eindeutig erkennen, was da wirklich auf dem Tisch liegt und was Macron und Merz dann verschwinden lassen. Es gibt auch noch weitere Bilder und Videos, die die Politiker etwa dabei zeigen, wie sie in dem Zugabteil tanzen und sich dabei ausziehen. Belege also dafür, dass sie ordentlich bekifft waren?
Dieser Fall ist ein denkwürdiges Beispiel dafür, wie einfach es ist, Gerüchte in die Welt zu setzen und mit Bildern ihre scheinbare Wahrheit zu belegen. Das Problem liegt auf zwei Ebenen: Zum einen ist es leicht, ein Bild zu verbreiten und zu behaupten, was es zeige. Das ist in der Vergangenheit schon oft geschehen, gerade im Zusammenhang von Kriegen und Konflikten. Das andere ist noch bedenklicher: Bilder lassen sich durch Künstliche Intelligenz so unkompliziert fälschen oder überhaupt erst erstellen, dass nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick erkennbar ist, ob es wirklich echt ist. Und wer schaut in den sozialen Medien schon so genau hin?
Lügen und Gerüchte als Waffe
Was ist also wahr? In dem Fall zeigen schärfere Fotos der Journalisten, die zugegen waren, dass es sich um ein Taschentuch und ein Snack-Spießchen handelte. Bemerkenswert ist es trotzdem, wie die Koks-Hypothese durchs Netz rollte, auch von Politikern und Journalisten aufgegriffen wurde und weitere Videos als vermeintliche Belege für Macrons Drogenkonsum die Runde machten. Der Elysée-Palast, das Präsidentenbüro Macrons, hielt es sogar für notwendig, darauf zu reagieren.
When European unity becomes inconvenient, disinformation goes so far as to make a simple tissue look like drugs.
— Élysée (@Elysee) May 11, 2025
This fake news is being spread by France’s enemies, both abroad and at home. We must remain vigilant against manipulation. pic.twitter.com/xyXhGm9Dsr
Bezeichnend ist, dass auch Kreml-Sprecherin Maria Sacharowa das Narrativ verbreitete. Ganz offensichtlich ging es darum, diese Politiker lächerlich zu machen, sie als nicht ernst zu nehmende Unterstützer der Ukraine hinzustellen und ihre politischen Ziele zu diskreditieren. Misstrauen säen, die Deutungshoheit Russlands über seinen Krieg gegen die Ukraine mit aller Gewalt durchsetzen – der Kreml hat natürlich ein Interesse daran, die Europäer glauben zu machen, dass ihre Regierungschefs nicht zurechnungsfähig sind. Damit diese den Rückhalt dafür verlieren, sich gegen Russlands Feldzug zu positionieren.
Wer die Bilder und die Geschichte der koksenden Politiker einigermaßen nüchtern betrachtet, wird schnell durchschauen, dass es sich hier nicht um eine Koks-Party handelte. Aber es ist eben kein Spaß, so etwas zu verbreiten, auch wenn es lustig erscheinen mag. Denn es geht hier letztlich um Krieg und Frieden. Und so bietet dieser Fall hervorragendes Anschauungsmaterial dafür, dass dieser Krieg auch einer ist, in dem Lügen und Gerüchte gezielt als Waffe eingesetzt werden. Und die Möglichkeiten, per KI Bilder täuschend echte Bilder von beliebigen Motiven zu erstellen, verheißen in der Hinsicht nichts Gutes.
Es gibt Gründe, zu vertrauen
Was heißt das nun für Nutzer? Was wahr und echt ist, ist immer schwieriger zu erkennen. Umso mehr stellt sich die Frage: Vertraue ich der Quelle? Vertrauen ist immer ein Wagnis. Aber man kann es zu einem gewissen Maß begründen, ebenso wie sich begründen lässt, warum eine Quelle nicht vertrauenswürdig ist.
Zeichnet sie sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie ihre Informationen sachlich und nüchtern präsentiert, Dinge belegt und argumentiert? Oder dadurch, dass sie spekuliert und Menschen herabwürdigt? Kommen verschiedene Ansichten vor oder geht inhaltlich alles in eine Richtung? Stehen bestimmte Interessen hinter einer Information oder ist eine Quelle unabhängig? Ist die Quelle jemandem Rechenschaft schuldig, muss sie sich gegenüber anderen für ihr Tun verantworten oder verfolgt sie eigene Ziele?
In sozialen Medien gibt es viele Kontrollmechanismen nicht, die journalistische Redaktionen haben. Zwar berichten auch Journalisten nicht immer sachlich und ausgewogen, sie spitzen zu und lassen weg, zuweilen sind sie voreingenommen. Aber sie müssen sich vor Kollegen, Vorgesetzten, Aufsichtsgremien und dem Publikum dafür rechtfertigen – im Zweifel vor Gericht. Sie wissen, wie man Informationen prüft, sie sind der Wahrheit verpflichtet und nicht Interessen. Journalisten leben vom Vertrauen und man darf unterstellen, dass sie sich dessen bewusst sind.
Als Nutzer ist man ebenso in der Pflicht und sollte sich zum Beispiel fragen: Ist eine Information plausibel? Sind Belege und Argumente überzeugend? Und auch die selbstkritische Frage ist nötig: Glaube ich etwas, weil es die eigene Meinung bestärkt oder obwohl es meine Ansichten gerade nicht stützt? Glaube ich jemandem, nur weil er das Gegenteil dessen behauptet, was ein anderer sagte?
Hin und wieder muss man sich auch eingestehen, manche Dinge nicht sicher zu wissen. Traurig, aber auch das gehört zur Wahrheit.