Meinung

Der digitalen Gewalt die Stirn bieten

Wenn jemand etwas zum Thema Hate Speech beitragen kann, ist es die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Sie wird häufig selbst zur Zielscheibe von Angriffen im Internet. In ihrem neuen Buch „Laut“ erklärt sie, warum es keine Option ist, klein beizugeben.
Von Johannes Blöcher-Weil

Warum setzt sich eine Frau wie Sawsan Chebli so viel Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken aus? Die Antwort ist einfach: Weil Aufgeben für die SPD-Politikerin keine Option ist und sie schon immer sensibel auf Ungerechtigkeiten reagiert hat. Deswegen möchte Chebli die sogenannten sozialen Netzwerke auch nicht denjenigen überlassen, die sie missbrauchen.

Das betont sie in ihrem neuen Buch „Laut. Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können“. Chebli nimmt den Kampf gegen Windmühlen in Kauf und wird dabei sehr persönlich. In den Phasen der Ohnmacht hofft sie darauf, dass nicht allen Nutzern sozialer Medien die Verbreitung von Hass und Falschinformationen egal ist.

Die frühere Staatssekretärin hat persönlich schon so ziemlich alles erlebt: von diskriminierenden Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen. Weil sie ich regelmäßig auf Twitter klar positioniert, schlagen ihr Hass und Hetze entgegen. Vor allem, weil da immer wieder der Reflex vorhanden ist, Ungerechtigkeiten zur Sprache zu bringen und sie zu verändern.

Einige „Vernichtungsshitstorms“ erlebt

Gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Miriam Stein hat sie mit ganz vielen Experten gesprochen, mit Mitarbeitern des Facebook-Konzerns Meta, aber auch mit anderen Opfern digitaler Gewalt. Und sie bringt offen und ehrlich eigene biografische Aspekte ein. Sie selbst wächst als Tochter geflüchteter Palästinenser in Deutschland auf. Bis zu ihrem 15. Lebensjahr ist sie staatenlos und ihr Vater muss regelmäßig in Abschiebehaft.

Aufgrund ihrer Lebensgeschichte könne sie die Sehnsucht vieler Menschen nachvollziehen, ihre eigene Meinung frei äußern zu wollen. Die sozialen Medien ermöglichten es ja auch, positiven Druck auf die Politik auszuüben. Aber diese Medien bräuchten eben auch klare Regeln im Umgang miteinander.

Das Buch ist deswegen auch ein Plädoyer für den demokratischen Austausch und die Debatte. Chebli selbst erzählt in dem Buch von einigen „Vernichtungsshitstorms“, die sie erlebt hat: als Frau, Muslimin mit Migrationshintergrund oder als Politikerin. Zudem wurde sie schon körperlich angegriffen.

Oft sei ihr auch unterstellt worden, dass sie die digitale Gewalt mit übelsten Beschimpfungen selbst provoziert habe. Als Politikerin habe man ihr oft Unfähigkeit attestiert. Ein Befund, der – wie sie sagt – nicht gerade das Vertrauen in die Fähigkeit der politischen Entscheider fördere. Chebli bleibt aber dabei, dass sie sich nicht unterkriegen und einschüchtern lassen möchte.

Denn dass die digitale Gewalt nicht im Netz bleibe, habe der CDU-Politiker Walter Lübcke mit dem eigenen Leben bezahlen müssen. Chebli und ihre Mitautorin beobachten, dass die „verzerrten Weltbilder der äußeren Ränder immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft“ eindringen: eine Tatsache, die sich vor allem in Krisen, Konflikten und Kriegen als sehr gefährlich erweisen kann.

Von Trollen und Glaubenskriegern

Diejenigen, die Hass säten, seien entweder „Trolle“ oder „Glaubenskrieger“. Ohnmächtig zuzuschauen, wie anti-demokratische Kräfte an Stärke gewinnen, kann sich die SPD-Politikerin nicht vorstellen. Denn Stillhalten sei genau das, worauf die Menschen spekulierten, die Hass verbreiten möchten. Die „digitale Gewalt ist eine humanitäre Krise“, wie es in einem ihrer Kapitel heißt.

Hasskommentare tragen für sie auch dazu bei, „die Illusion einer Spaltung bei Themen zu erschaffen, die gar nicht kontrovers sind“. Deswegen sei der Austausch über Partei- und Religionsgrenzen hinweg so unglaublich wichtig. Denn nur im offenen Umgang miteinander könne man Vorurteile abbauen. Deswegen höre sie auch nicht damit auf, für mehr religiöses Verständnis und Offenheit zu werben.

Um den Hass unter Kontrolle zu bringen, gebe es den einen oder anderen politischen Ansatzpunkt, der die Unternehmen stärker dazu verpflichte, rechtswidrige Inhalte zu löschen – und diese auch selbst zu identifizieren. Dieser Kampf sei auch deswegen so wichtig, weil die Zukunft der Demokratie im Internet verhandelt werde.

Und hierfür möchte sie, nicht nur mit ihrem Buch, so viele Mitstreiter wie möglich gewinne. Jeder Einzelne könne sich in den sozialen Medien engagieren und die Spirale der Hassnachrichten durchbrechen, indem er die Plattformen zu einem freundlicheren Ort mache, sich mit den Opfern solidarisiere und rechtswidrige Inhalte melde.

Nach der Lektüre des Buches frage ich mich, ob ich mich – als jemand, der in den sozialen Netzwerken sonst nicht aktiv ist – dort anmelde, um einen kleinen Teil dazu beizutragen, damit sie ihrem Namen wieder alle Ehre machen können.

Sawsan Chebli, Miriam Stein: „LAUT. Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können“, 240 Seiten, Goldmann, 18 Euro, ISBN 9783442317066.

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