„Der Atheismus-Wahn“: Eine Antwort auf Richard Dawkins

Für Richard Dawkins steht fest: Alle Religion ist unbrauchbar, schädlich und gefährlich. So wie Flugzeuge am 11. September 2001 von religiösen Fanatikern gekapert wurden, so versuchten Gläubige, die Wissenschaft für ihre Vorstellungen zu vereinnahmen. Mit seinen Thesen, verbreitet in "Der Gotteswahn", schaffte es Dawkins auch in Deutschland in die Bestsellerlisten. In dieser Woche erscheint im Verlag GerthMedien eine Antwort: "Der Atheismus-Wahn" von Alister McGrath. Er ist Professor für Historische Theologie an der Universität Oxford – und damit ein Kollege Dawkins. Lesen Sie hier einen Auszug aus "Der Atheismus-Wahn".
Von PRO

Mit der Veröffentlichung von „Das egoistische Gen“ (engl. Original: The Selfish Gene, 1976) etablierte sich Richard Dawkins als einer der erfolgreichsten und fähigsten Autoren populärwissenschaftlicher Themen. Gemeinsam mit seinem amerikanischen Kollegen Stephen Jay Gould gelang es ihm, eine neue Generation von Lesern für die Evolutionsbiologie zu begeistern. Wie andere Bewunderer, so beneide auch ich die beiden seit langem um den leichtverständlichen und unterhaltsamen Stil ihrer populärwissenschaftlichen Texte, die zahllose schöne und anschauliche Vergleiche enthalten. Dennoch markiert sein jüngstes Buch einen Richtungswechsel.

Das 2006 erschienene Buch „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“) machte Dawkins weltweit als den angesehensten atheistischen Meinungsmacher bekannt, der seine zerstörerische Kritik gegen jede nur erdenkliche Form von Religion richtet. Sein Ziel besteht darin, seine Leser zu einem Seitenwechsel zu bewegen. „Wenn dieses Buch erreicht, was ich damit bezwecke, werden religiöse Leser, die es einmal aufgeschlagen haben, Atheisten geworden sein, wenn sie es wieder schließen.“ Wobei er dies allerdings nicht für besonders wahrscheinlich hält, denn immerhin behauptet er: „… unverbesserliche Gläubige sind immun gegen Argumentation.“

Doch es spricht für sich, dass Dawkins ein 560 Seiten starkes Buch verfasst hat, in dem er behauptet, Gott sei eine Wahnvorstellung. Warum schreibt man überhaupt noch ein solches Buch? Religion sollte sich doch längst in Luft aufgelöst haben. Seit mehr als einem Jahrhundert prophezeien führende Soziologen, Anthropologen und Psychologen, ihre Kinder würden das Anbrechen einer neuen Zeit erleben, in der der „Gotteswahn“ endgültig überwunden sein würde. In den 1960ern erklärte man uns, Religion habe keine Zukunft, weil sie durch eine laizistische Gesellschaft ersetzt würde. Für manche von uns klang das großartig. Ich war in den späten 1960ern selbst Atheist und erinnere mich noch gut daran, wie ich den Untergang der Religion mit grimmiger Genugtuung erwartete. Da ich in Nordirland aufgewachsen bin, habe ich religiöse Spannungen und Gewalt aus erster Hand kennengelernt. Für meinen freidenkerischen Verstand lag die Lösung auf der Hand: Befreit euch von der Religion und religiöse Spannungen und Gewaltakte sind ein für alle Mal ausgerottet. Die Zukunft sah rosig aus – und gottlos.

Zwei Dinge haben sich seit damals verändert. Zunächst einmal hat Religion ein Comeback erlebt. Da sie einen so wesentlichen Bestandteil der heutigen Gesellschaft ausmacht, verwundert es, dass ihr Tod noch vor einer Generation mit solcher Zuversicht vorhergesagt wurde. Der Humanist Michael Shermer, besser bekannt als Gründer der Skeptics Society und Herausgeber des amerikanischen Magazins Skeptic, wies nachdrücklich darauf hin. Er sagte, niemals zuvor in der Geschichte hätten so viele Menschen an Gott geglaubt. Gott ist nicht nur nicht „tot“ – wie es der Philosoph Friedrich Nietzsche voreilig verkündete –, er ist nie lebendiger gewesen.

Der zweite, weniger wichtige Grund lautet: Meine eigene Haltung zu dieser Sache hat sich verändert. Als junger Mann war ich voll und ganz davon überzeugt, dass der Atheismus die einzig wahre und angemessene Sicht der Wirklichkeit ist. Mit der Zeit stellte ich jedoch fest, wie viel stärker mich das christliche Weltbild faszinierte und intellektuell herausforderte. Ich habe Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, gegen starre Dogmen einer Epoche aufbegehren zu können, schon immer geschätzt. Doch ich habe nie geahnt, wohin mich mein Freidenkertum führen sollte. Dawkins und ich sind zwar in völlig verschiedene Richtungen gegangen, aber im Wesentlichen aus denselben Gründen. Wir sind beide Akademiker aus Oxford und lieben die Naturwissenschaften. Wir glauben beide leidenschaftlich daran, dass wissenschaftliches Denken auf empirischen Fakten beruhen muss, und kritisieren jene, die die Auffassung vertreten, passionierte Überzeugungen hätten in der Wissenschaft nichts zu suchen. Wir geben auch beide vor, unsere Meinung über Gott ändern zu wollen, wenn es die Tatsachen erfordern sollten. Doch obwohl wir dieselbe Welt erforschen, sind wir vor dem Hintergrund unserer individuellen Erfahrungen zu völlig verschiedenen Schlussfolgerungen über Gott gekommen.

Der Vergleich zwischen uns ist lehrreich, wirft jedoch einige schwierige Fragen für Dawkins auf. Dawkins, der gegenwärtig Professor für Public Understanding of Science in Oxford ist, behauptet, die Naturwissenschaften, insbesondere die Evolutionsbiologie, glichen, intellektuell gesehen, einem Superhighway in Richtung Atheismus – ganz so, wie er es in seiner Jugend erlebt hat. In meinem Fall verlief die intellektuelle Reise genau umgekehrt: Ich begann als Atheist und wurde Christ. Ursprünglich plante ich, mein Leben der naturwissenschaftlichen Forschung zu widmen, doch die Entdeckung des Christentums veranlasste mich dazu, seine Geschichte und sein Gedankengut eingehend zu studieren. Während ich in den Labors von Professor Sir George Radda arbeitete, machte ich meinen Doktor in molekularer Biophysik, gab dann aber alles auf, um Theologie zu studieren.

Ich habe mich oft gefragt, warum Dawkins und ich so völlig gegensätzliche Folgerungen aus der langen und intensiven Beobachtung der im Wesentlichen gleichen Welt ziehen konnten. Eine mögliche Antwort lautet: Weil ich an Gott glaube, bin ich geistig umnachtet, einer Täuschung aufgesessen, übers Ohr gehauen worden und selbst ein Betrüger. Ein heimtückischer, ansteckender Gottesvirus hat meinen Verstand völlig verwirrt. Oder aber die Tatsache, dass ich geistig umnachtet, einer Täuschung aufgesessen, übers Ohr gehauen worden und selbst ein Betrüger bin, der von einem heimtückischen, ansteckenden Gottesvirus infiziert wurde, lässt mich an Gott glauben. Ich fürchte, beide Erklärungsansätze entsprechen inhaltlich der Antwort, die sich auf den Seiten von „Der Gotteswahn“ findet. Es mag eine Antwort sein, doch sie ist nicht gerade überzeugend. Sie mag unverbesserliche Atheisten überzeugen, deren unbeugsamer Glaube ihnen nicht erlaubt, einen Blick über ihren „Es gibt keinen Gott!“-Zaun zu werfen. Aber ich hoffe, es stimmt, dass derartig engstirnige Prinzipienreiter keine typischen Vertreter des Atheismus sind. Eine andere mögliche Antwort bestünde darin, denselben lächerlichen Schwachsinn zu wiederholen – jedoch auf Dawkins gemünzt. (In diesem Fall müssten wir allerdings davon ausgehen, dass sein Verstand mit irgendeinem Anti-Gott-Virus infiziert wäre.) Aber eigentlich will ich keinen derartig unglaubwürdigen Schund nieder schreiben. Warum sollte ich Dawkins beleidigen?

Und noch wichtiger: Wieso sollte ich die Intelligenz meiner Leser beleidigen? Ausgangspunkt einer wirklichen Antwort sind ein paar weise Worte von Stephen Jay Gould. Dieser erlag 2002 einer Krebserkrankung und damit verlor die Universität Harvard einen ihrer faszinierendsten Lehrenden und die Leserschaft populärwissenschaftlicher Literatur einen ihrer verständlichsten Autoren. Obgleich er selbst Atheist war, hegte Gould keinen Zweifel daran, dass die Naturwissenschaften – auch die Evolutionstheorie – sowohl mit dem Atheismus als auch mit gängigen religiösen Überzeugungen vereinbar sind. (…)

Erstaunlicherweise finden sich kaum wissenschaftliche Analysen in „Der Gotteswahn“. Stattdessen gibt es eine Menge pseudowissenschaftlicher Spekulationen, gespickt mit allgemeiner Religionskritik, die größtenteils aus älterer atheistischer Literatur entliehen ist. Dawkins predigt zu einem Chor der Gotteshasser, die seine rhetorischen Salven offensichtlich genießen und anbetend ihre Hände erheben sollen: „Jene, die behaupten, Religion und Evolutionslehre seien vereinbar, lügen! Amen. Echte Wissenschaftler lehnen den Glauben an Gott ab! Halleluja! Der Gott, an den die Juden zur Zeit des Alten Testaments glaubten, ist ein psychopathischer Kinderschänder! Amen, so sei es!“

Als ich „Der Gotteswahn“ las, war ich traurig und besorgt zugleich. Wie konnte aus einem so begabten und allgemein verständlichen Naturwissenschaftler, der sich leidenschaftlich für die objektive Betrachtung einer Sache einsetzte, ein dermaßen aggressiver antireligiöser Propagandist werden, der offenkundig alles ablehnt, was seiner Sache nicht dienlich ist? Weshalb werden die Naturwissenschaften dermaßen missbraucht, um einen atheistischen Fundamentalismus zu untermauern? Ich finde dafür keine Erklärung. Wie viele meiner atheistischen Freunde kann ich seine enorme Feindseligkeit gegenüber allem Religiösen nicht nachvollziehen. Was für einen Stier ein rotes Tuch ist, ist für Dawkins die Religion. Sie bewirkt nicht nur eine aggressive Reaktion, sondern lässt ihn alle akademischen Grundsätze hinsichtlich gewissenhafter Recherche und Fairness über Bord werfen. Obwohl dieses verbitterte Buch mit rhetorischer Kraft und Leidenschaft geschrieben wurde, gelingt es seinen schneidenden Behauptungen kaum, zu verbergen, dass die angeführten Argumente lahm, schwach und nur aufgewärmt sind. (…)

Ich gehe davon aus, dass Dawkins von allen Teilen seines Buches gleichermaßen überzeugt ist, und werde ihn daher lediglich an charakteristischen Stellen hinterfragen. Auf diese Weise können die Leser seine allgemeine Beweiskraft und Urteilsfähigkeit selbst einschätzen. Jedenfalls hat Dawkins offenkundig kein Interesse daran, sich mit Gläubigen direkt zu befassen, denn seine offenkundige Fehlinterpretation ihres Glaubens und ihrer Lebensweise wird sie schlicht abstoßen. Steht es wirklich so schlecht um den Atheismus, dass er von derart unausgegorenem Unsinn gestützt werden muss? Dawkins macht seinen Lesern ein höchst zweifelhaftes Kompliment, indem er davon ausgeht, sie teilten seine Vorurteile und Ignoranz in Sachen Religion. Einwände gegen seine Darstellung würden von vornherein abgelehnt und abgetan werden, eben weil sie von „voreingenommenen“, religiösen Menschen stammten, die närrisch und anmaßend genug seien, „objektive“ und „rationale“ Atheisten zu kritisieren. Dies ist wirklich besorgniserregend. Das unbedingte und nicht hinterfragbare Beharren darauf, im Recht zu sein, das in einigen Kreisen des westlichen Atheismus heutzutage festzustellen ist – beispielhaft veranschaulicht in „Der Gotteswahn“ –, stellt ihn auf eine Stufe mit religiösen Fundamentalisten, die es ebenfalls ablehnen, ihre Vorstellungen prüfen oder hinterfragen zu lassen. (…)

„Der Atheismus-Wahn – Eine Antwort auf Richard Dawkins und den atheistischen Fundamentalismus“ von Alister McGrath erscheint in dieser Woche im Verlag GerthMedien. 150 Seiten, gebunden, 9,95 Euro

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Eine Antwort

  1. Das Problem scheint darin zu bestehen, dass sich ein dogmatischer Atheist nicht vorzustellen vermag, dass es neben dem (sich ohnehin stets wandelnden) naturwissenschaftlichen Weltbild noch ein anderes geben könnte, dass die mit den Sinnen und wissenschaftlichen Methoden (oft fehlerhaft) erfasste Wirklichkeit Ausdruck einer anderen noch tieferen Wirklichkeit, die sich letztlich unserer Erkenntnis entzieht.

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