„Zeigen wir Berlin, wie ‚Pro Life‘ geht!“ Mit diesen Worten gab Alexandra Maria Linder vor dem Berliner Hauptbahnhof den Startschuss für den diesjährigen „Marsch für das Leben.“ Der Bundesverband Lebensrecht (BVL), dessen Vorsitzende Linder ist, ruft seit dem Jahr 2002 zu der Demonstration auf, die sich gegen Abtreibung und für das Recht eines jeden Menschen auf Leben einsetzt. Auch in Köln fand an diesem Samstag ein solcher Marsch statt. Daran nahmen laut Polizei rund 1.000 Menschen teil.
Laut dem BVL zogen zwischen 3.000 und 4.000 Menschen mit Schildern und Transparenten ausgerüstet – „No children – no future“, „Leben begrüßen, nicht beenden“ – an einem der letzten spätsommerlich heißen Tage durch Berlins Mitte. Flankiert immer wieder von Marschgegnern mit Sprechchören wie „My body, my choice, raise your voice“.
Polizei hält Proteste in Schach
Proteste sind jedes Jahr zu erwarten, doch ein Aufruhr wie im vorigen Jahr, als mehrere Gegendemonstranten die Bühne stürmten, blieb diesmal aus. Ein großes Polizeiaufgebot hielt eine Gruppe von Marschgegnern schon vor dem weiträumig mit Gittern abgesperrten Washingtonplatz zurück und schirmte die trommelnden und skandierenden Protestierenden mit dicht an dicht auffahrenden Polizeiwagen von der Veranstaltung ab.

Zu Protest gegen den „Marsch für das Leben“ ruft seit 2012 jährlich das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung auf, das an diesem Samstag etwa gleichzeitig und nicht weit entfernt einen Aktionstag initiierte. Es sei nicht der Marsch selbst, der polarisiere, sagte die BVL-Vorsitzende Alexandra Maria Linder gegenüber PRO, sondern das Thema Schwangerschaftsabbruch.
Man wolle trotz Protesten an dem Marsch festhalten. „Wir sind die Einzigen, die mit unbequemen Wahrheiten und Geschichten der Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen“, sagte Linder. Diffamiert werde jedoch niemand. „Unsere Mitglieder und Vereine sind hochengagiert und immer in absolut zugewandter, humaner und respektvoller Weise in der Schwangerenberatung, in der Hilfe und in der Debatte.“
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung sieht dagegen hinter dem „Marsch für das Leben“ „Fundamentalist*innen und Populist*innen“, deren Verständnis von Lebensschutz „vor allem auf die Kontrolle von Frauen und gebärfähigen Personen“ abziele, wie es von der Pressestelle auf Nachfrage von PRO hieß.
Abtreibung alles andere als selbstbestimmt
„Lebensrecht ist Menschenrecht“, hielt dagegen der Bundesverband Lebensrecht auch bei diesem Marsch an seiner Kernaussage fest. „Die Selbstbestimmung eines Menschen endet genau da, wo das Leben und die Rechte eines anderen Menschen beginnen“, sagte Linder.
Zudem fragte sie nach der Selbstbestimmung bei einem Schwangerschaftsabbruch: „Wir erleben in der Beratung, dass ungefähr 60 Prozent der Frauen sagen, der Hauptgrund für die Abtreibung sei der Druck von anderen, vor allem der des Kindsvaters.“

„Hätt Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ – dieser bei den Marschgegner beliebte Vers ist für Linder jedenfalls keine Ebene für eine Auseinandersetzung. Sie sieht allgemein in Deutschland das Problem, dass es keine Debattenkultur in der Öffentlichkeit gebe, bei der man Argumente austauschen könne.
Unterstützung wurde dem „Marsch für das Leben“ durch verschiedene Grußworte zugetragen. So sprachen sich darin etwa der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, Bischof Stefan Oster aus dem Bistum Passau und der Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (FEG), Henrik Otto, für die Würde auch der ungeborenen Kinder aus. „Traurig, dass immer häufiger das Eintreten für das Lebensrecht von Ungeborenen als rechtsextrem verleumdet wird“, schrieb Marco Meier, Direktor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland (EGfD).
Bundesverband betont: „Wir sind überparteilich“
Gegner des Marsches werfen den Veranstaltern einen Schulterschluss mit der extremen Rechten vor. Allgemein stand zudem in der Kritik, dass sich AfD-Politiker mit dem „Marsch für das Leben“ solidarisierten. So hatte im Vorfeld des Marsches der AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Maack über Instagram zur Teilnahme aufgerufen.
„Wir sind überparteilich, es gibt keinen Schulterschluss, egal mit welcher Partei“, stellte Linder gegenüber PRO klar. Eine Veranstaltung messe sich daran, wer sie organisiere. „Wenn von mehreren Tausend Teilnehmern der ein oder andere mitläuft, dessen politische Gesinnung ich bestimmt nicht teile, dann ist das Demokratie.“ Das müsse man aushalten.
In Deutschland sind Abtreibungen grundsätzlich rechtswidrig. Sie sind aber innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen straffrei, wenn die Frau sich vorher hat beraten lassen. Nach einer Vergewaltigung oder mit bestimmten medizinischen Gründen ist ein Schwangerschaftsabbruch auch möglich, ohne sich strafbar zu machen.
Geregelt ist dies durch den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch. In der vergangenen Legislaturperiode hatte es eine Abgeordneteninitiative zur Abschaffung dieses Paragrafen gegeben. Allerdings hat es der entsprechende Gesetzentwurf nicht mehr durchs Parlament geschafft. Die aktuelle Bundesregierung plant bisher nicht, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren.