Christ, aber kein Heiliger: Literatur-Nobelpreisträger Jon Fosse

Der norwegische Autor Jon Fosse wird in diesem Jahr mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Der Norweger gilt als „Gott-Sucher“. Er selbst bezeichnet sich aber als gläubigen Christen.
Von Jörn Schumacher
Jon Fosse

Der Norweger Jon Fosse wird den Nobelpreis für Literatur am 10. Dezember in Stockholm überreicht bekommen. Die wichtigste Auszeichnung für Schriftsteller ist mit elf Millionen Kronen (950.000 Euro) dotiert. Der Preis wird seit 1901 jedes Jahr vergeben.

Er werde für seine „innovativen Theaterstücke und Prosa ausgezeichnet, die dem Unsagbaren die Stimme geben“, teilte die Schwedische Akademie in Stockholm mit. Fosse gilt als der „Beckett des 21. Jahrhunderts“ und als großer Mystiker und Melancholiker unter den Gegenwartsautoren. Fosse arbeitet auch als Übersetzer und übertrug etwa Werke von Franz Kafka, James Joyce und Samuel Beckett ins Norwegische, außerdem arbeitete er als Dozent an der Akademie für kreatives Schreiben im norwegischen Hordaland. Mit über 50 Veröffentlichungen gilt er als bekanntester norwegischer Dramatiker seit Henrik Ibsen. Seine Werke wurden teilweise in über 40 Sprachen übersetzt.

Jon Fosse, der 1959 in Südnorwegen geboren wurde, wuchs in einem pietistischen Umfeld in Strandebarm, direkt am Hardangerfjord, auf. Seine Eltern bewirtschafteten dort einen Hof, der seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie ist. In seinem Roman „Ich ist ein anderer“ tauchte dieser Ort als Barmen wieder auf, darin gibt es auch ein „Bethaus“ – eine für die pietistische Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts typische Einrichtung. Das Buch handelt von der Suche eines Malers nach Gott, dessen Bilder auch eine Art von Gebeten sind.

Ähnlich sei es bei Fosse selbst, stellte einmal die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest: „Das Schreiben ist ihm ein Mysterium, eine Transzendierung meiner selbst und der materiellen Welt.“ Fosse, der Literaturwissenschaften, Soziologie und Psychologie in Bergen studierte, schrieb selbst einmal: „Ein gutes Bild ist ein Geschenk, oder eine Art Gebet.“

Nahtoderlebnis mit sieben Jahren

Im Alter von sieben Jahren hatte er einen schweren Unfall, der ihn und sein Schaffen nach eigener Aussage später sehr prägte. Fosse rutschte damals mit einer Flasche in der Hand aus und schnitt sich mit dem Glas die Pulsadern auf. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur sagte Fosse 2016, er habe auf einmal das eigene Haus gesehen, „aber nicht mit meinen eigenen Augen, sondern aus der Distanz, wie außerhalb von mir selbst. Ich war nicht traurig. Ich habe nur gedacht: ‚Ich sehe das Haus zum letzten Mal.’“ Er fügte hinzu: „Ich glaube bis heute, dass ich durch diesen Unfall zum Schriftsteller geworden bin. Die Hauptperspektive meiner Texte ist nämlich die von jemandem, der sich an der Grenze zwischen Leben und Tod befindet.“

Mit 23 oder 24 Jahren sei er besonders religiös geworden, sagte Fosse in einem anderen Interview ein Jahr zuvor dem Sender. „Der Protestantismus wollte die Mystik und die Poesie aus der Kirche und Glauben verschwinden lassen. Mit dem Ergebnis, dass heute, in unseren aufgeklärten Zeiten, kein Mensch mehr buchstäblich glauben kann. Buchstäblich. Man muss in eine allegorische Weise die Bibel lesen, und der Glaube wie ein Mysterium erleben, nicht als etwas Sachliches als ein weltliches Faktum. Es ist ein Mysterium, nicht eine Art Faktizität.“

Fosse war zunächst Mitglied der lutherischen Staatskirche und wurde dann Quäker. Dieser Glaubensgemeinschaft gehören in Norwegen gerade einmal 100 Mitglieder an. Im Jahr 2013 konvertierte der Schriftsteller dann zum Katholizismus. Gegenüber Deutschlandfunk Kultur sagte Fosse, die Entfernung „zwischen dem Schweige-Treffen der Quäker“ und dem „Theater der katholischen Kirche“ sei „ziemlich groß“ gewesen. Dennoch seien beide Religionsrichtungen ähnlich: im Zentrum des Glaubens der Quäker stehe die Suche nach Gott und dem „Licht Gottes in einem Menschen“. „Und im Katholizismus versucht man Gott durch die Kommunion nahe zu kommen.“

Regelmäßiger Kirchenbesuch

In seinem Buch „Das Geheimnis des Glaubens“ schrieb Fosse auch über seinen Übertritt zum Katholizismus. „Seit den 80er Jahren habe ich viel Meister Eckhard gelesen, und ich habe gedacht: Konnte er Katholik sein, dann kann ich es auch sein!“ Fosse weiter: „Man kann sich dem Glauben nicht wissenschaftlich nähern. Denn dann existiert Gott nicht. Er ist hinter allem, was existiert. Oder vielleicht ist er auch Teil von allem, was existiert, aber nicht so, dass man ihn in diesem oder jenem Ding nachweisen kann.“ Fosse besucht nach eigener Aussage regelmäßig katholische Gottesdienste in Wien sowie in seiner Heimat Norwegen, wo die Katholische Kirche lediglich rund 5.000 Mitglieder hat. Auch seine Frau, eine Slowakin, sei gläubige Katholikin.

In einem anderen NZZ-Interview sagte Fosse 2019: „Ich bin ein bekennender Christ, ich glaube an Gott, aber ich möchte nichts über Gott sagen. Ich weiß nichts über Gott – abgesehen davon, dass ich vom Gefühl seiner Existenz erfüllt bin.“ Und weiter: „Für die meisten Leute sind die traditionellen Religionen aus guten Gründen unmöglich geworden. Aber die Seele braucht einen Ort, an dem sie sich aufhalten kann, und hat sich in die Kunst zurückgezogen. Religion und Kunst sind wie die zwei Seiten einer Medaille. Die Kunst, also im weitesten Sinne Literatur, Malerei, Musik und so weiter, bewahrt eine spirituelle Ebene, ohne die wir zu Unmenschen verrohen würden. Moralische Regeln lassen sich vielleicht nicht mehr wie früher durch die Religion legitimieren, aber durch ein gemeinsames spirituelles Verständnis, das wir durch die Kunst teilen.“

Als er vor vier Jahren von einem Reporter gefragt wurde, ob er lieber den Nobelpreis oder eine Heiligsprechung bevorzugen würde, lachte der Autor: „Ich bin fürwahr kein Heiliger.“ Die Antwort ließ er aber offen.

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