Bundestag verabschiedet Selbstbestimmungsgesetz

Die Änderung des Geschlechts beim Standesamt wird einfacher und ein bloßer Verwaltungsakt. Am Freitag hat der Bundestag in namentlicher Abstimmung das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet.
Von Norbert Schäfer
Mit einem Bundestagsbeschluss vom vorigen Dezember ist auch die Kategorie „divers“ als amtlicher Eintrag für das Geschlecht eines Menschen anerkannt. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Standesämtern in deutschen Großstädten ergab, dass nur wenige Bürger seither ihr Geschlecht zu „divers“ ändern ließen. In Berlin etwa waren es bis 11. April neun.

Der Bundestag hat am Freitag das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. In namentlicher Abstimmung stimmten 374 Abgeordnete für das Gesetz. 251 Abgeordnete stimmten dagegen, 11 Parlamentarier enthielten sich. Das Gesetz der Ampel-Regierung ermöglicht es trans- und intergeschlechtlichen Personen – Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren – ihren Geschlechtseintrag bei Behörden leichter zu ändern, als das bisher möglich war. Das neue Gesetz löst das bislang gültige „Transsexuellengesetz“ von 1981 ab.

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz entfallen psychologische Gutachten und Gerichtsverfahren, die bislang zur Änderung von Namen- und Geschlechtseintrag auf dem Standesamt erforderlich waren. Künftig reicht dazu eine einfache Erklärung vor dem Standesbeamten aus. Der Vorgang wird zum reinen Verwaltungsakt. Neuerliche Änderungen sind dann erst wieder nach einem Jahr möglich.

Queer-Beauftragter: „Hören sie auf die Kirchen“

Vor der abschließenden Debatte und der namentlichen Abstimmung forderte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) eine sachliche Debatte und die Achtung der geschlechtlichen Identität aller Parlamentsmitglieder. Nyke Slawik (Grüne) berichtete in ihrer Rede von eigenen Erfahrungen. „Ich war es leid, dass ich erklären musste, dass ich trans bin“, erklärte Slawik. Die Würde von Trans-Menschen werde bislang zur Verhandlungssache gemacht. Sven Lehmann (Grüne), Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, empfahl den Unionspolitikern: „Hören sie auf die Kirchen, und stimmen sie dem Gesetz zu.“ Das Selbstbestimmungsgesetz beende staatliche Bevormundung und stärke die Würde des Menschen. Das hätten auch die Kirchen betont.

„Heute schreiben wir ein Stück Geschichte“, erklärte Anke Hennig (SPD). Das „Transsexuellengesetz“ habe menschenunwürdige Praktiken erlaubt. Diese würden nun beseitigt. Das neue Gesetz nehme niemanden etwas, sondern beseitige Unrecht. „Queeres Leben muss selbstverständlich sein“, sagte die Sozialdemokratin. Katrin Helling-Plahr (FDP) bewertete das Gesetz für „richtig, weil Menschen unterschiedlich sind“. Dass Menschen sich in ihrem biologischen Geschlecht falsch fühlten, sei zu respektieren. „In diesem Gesetz ist kein Detail unbedacht.“

Wagenknecht: „Geschlecht wird zur Gemütssache“

„Das Geschlecht wird von einer biologischen Tatsache zu einer Gemütssache“, kritisierte Sahra Wagenknecht (Gruppe BSW) das Gesetzesvorhaben. Das geplante Gesetz sei frauenfeindlich. Wagenknecht nannte das Selbstbestimmungsgesetz „einen gefährlichen Irrsinn“. Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU) beklagte die fehlende Sachlichkeit in der Debatte. Das „Transsexuellengesetz“ habe im „Kontext seiner Zeit“ überhaupt erst ermöglicht, dass Menschen ihr Geschlecht hätten wechseln können. Die historische Tatsache solle zur Demut in der Debatte veranlassen. Wulf bemängelte die Vernachlässigung der Schutzfunktion gegenüber Kinder und Jugendlichen und möglichen Missbrauch durch das Selbstbestimmungsgesetz. Dem vollkommen „voraussetzungslosen Wechsel“ des Geschlechtseintrages könne die Union nicht zustimmen.

Martin Reichardt (AfD) sprach in der Debatte von „neu erfundenen, zahllosen Geschlechtern“ und „ideologischem Unfug“. Menschen seien nicht transphob, wenn sie die Meinung der Ampel-Koalition nicht teilten. Kritik werde nun durch das neue Gesetz „mit horrenden Bußgeldern mundtot“ gemacht. Nach Ansicht von Kathrin Vogler (Die Linke) gehörte das „Transsexuellengesetz“ auf den „Müllhaufen der Geschichte“. Die Linken-Politikerin forderte vom Gesundheitsminister ein Recht auf Beratung und Finanzierung von gesundheitlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Anerkennung geschlechtlicher Identität.

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Nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz müssen die Eltern von Kindern unter 14 Jahren zur Änderung des Geschlechtseintrages ihres Kindes eine Erklärung abgeben. Ab 14 Jahren können die Jugendlichen das nach einer Beratung selbst tun, benötigen aber noch die Zustimmung der Eltern. Kinder älter als fünf Jahre müssen zustimmen, wenn die Eltern die Änderung des Geschlechtseintrages für ihren Sprössling wünschen. Bei Kindern bis zu fünf Jahren können die Eltern frei und ohne Einwilligung über das Geschlecht entscheiden. Prinzipiell sieht das Gesetz für Minderjährige eine Beratung vor, erst dann kann die Änderung des Geschlechtseintrages erfolgen. Wer das einstige Geschlecht von Transsexuellen gegenüber anderen verrät, etwa die Person mit dem abgelegten Vornamen anspricht („Deadnaming“), dem droht eine Strafe von bis zu 10.000 Euro.

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