Nach dem Eklat im Bundestag um Frauke Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht hat die Juristin Teile der Medienberichterstattung über sie als „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ kritisiert. Solche Beiträge seien vom Ziel geleitet gewesen, ihre Wahl zur Bundesverfassungsrichterin zu verhindern, heißt es in einer Stellungnahme, die sie durch ihre Anwälte verbreiten ließ. Dass sie als „linksradikal“ oder „ultralinks“ bezeichnet wurde, sei „diffamierend und realitätsfern“.
Sie wies darauf hin, dass sie sich wissenschaftlich vor allem mit Verfassungs-, Sozial- und Bildungsrecht befasst habe, darunter Themen wie die Digitalisierung der Verwaltung oder die kommunale Daseinsfürsorge. In der Breite ließen sich ihre Positionen in der demokratischen Mitte verorten.
Zudem stellte Brosius-Gersdorf klar, dass sie immer für das Lebensrecht des Ungeborenen ab der Einnistung der Eizelle eingetreten sei. Sie habe lediglich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen, „das besteht, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkennt wie dem Mensch nach Geburt“. Denn wenn die Menschenwürde nicht gegen andere Grundrechte abgewogen werden dürfe, wären Abtreibungen grundsätzlich tabu. Nach geltender Rechtslage seien Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischen Gründen aber zulässig. Für diesen Widerspruch habe sie versucht, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen – indem entweder die Menschenwürde gegen andere Grundrechte abgewogen werde oder erst ab Geburt zu gelten habe.
Umstritten sind auch Äußerungen von ihr, dass das muslimische Kopftuch bei Rechtsreferendarinnen nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstoße. Dazu erklärte Brosius-Gersdorf, ihre Argumentation ziele darauf, dass ein Kopftuchverbot nicht mit der Neutralitätspflicht begründet werden könne – weil der Staat und seine Bediensteten unterschieden werden müssten –, wohl aber mit dem Mäßigungsgebot für Staatsbedienstete.
Spahn gesteht Fehler ein
Die SPD hatte die Rechtsprofessorin Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das höchste deutsche Gericht aufgestellt. Doch in den Tagen vor der Wahl nahm die öffentliche Debatte über sie und ihre Positionen – und damit ihre Eignung für das Amt – an Fahrt auf. Auch in der Union wuchs der Widerstand gegen die Personalie, sodass Fraktionschef Jens Spahn kurz vor der Abstimmung dafür sorgte, dass die Wahl von der Tagesordnung genommen und verschoben wird. Das begründete er mit einem angeblichen Plagiatsverdacht, der Zweifel an ihrer Eignung säe.
Am Montag räumte Spahn ein, dass er eine Mitverantwortung an der gescheiterten Richterwahl trage. Das teilte er in einem Brief an die Unionsfraktion mit, der mehreren Medien vorliegt. Darin schreibt er demzufolge: „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt.“ Die „Notbremse am Freitag“ sei zu spät gekommen. Er gab sich zuversichtlich, gemeinsam mit der SPD eine Lösung zu finden. Zeitdruck gebe es keinen, da das Gericht voll arbeitsfähig sei.
Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, forderten jedoch die Regierungskoalition dazu auf, noch in dieser Woche eine Sondersitzung des Bundestages einzuberufen, um die Richterwahl nachzuholen.
Die SPD-Fraktionsführung schlug vor, dass Brosius-Gersdorf sich den Unions-Abgeordneten persönlich vorstellt. Auch sie zeigte sich Medienberichten zufolge zu einem Gespräch bereit. CSU-Chef Markus Söder riet der SPD hingegen, statt Brosius-Gersdorf einen anderen Kandidaten vorzuschlagen.