BR: Christliche Sekte sammelt private Daten

Die Sekte „Organische Christus Generation“ (OCG), die unter anderem verstärkt über eigene Medienproduktionen agiert, sammelt seit Jahren persönliche Daten von Tausenden Personen. Das ergab eine Recherche des Bayerischen Rundfunks.
Von Jörn Schumacher
Unter dem Namen „Anti-Zensur-Koalition“ veröffentlicht Ivo Sasek Videos

Die „Organische Christus Generation“ wurde vom Schweizer Ivo Sasek gegründet, der eine persönliche christliche Lehre verbreitet. Sie ist eine Abgrenzung zur evangelikalen „Normaltheologie“, welcher Sasek eine mangelnde Radikalität vorwirft. Das besagt die Schweizer „Evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen“, die zudem erklärt, dass sich Sasek im Laufe der letzten 20 Jahre immer weiter vom Evangelikalismus abgewandt habe hin zu einer Ausbildung von Sonderlehren, etwa der von einer „Erlöser-Generation“, die das Werk des Messias Jesus Christus fortsetze und mindestens potenziell sündlos sei.

Laut der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sind die meisten Anhänger in einem Netzwerk von Hauskreisen (auch „Stubenversammlung“) organisiert, das als „Organische Christusgeneration“ bezeichnet wird. Darin würden „Bemessungen“ durchgeführt, die den Teilnehmern ihre völlige Untauglichkeit für den Organismus Christi aufgezeigten. Das führe bei denen Teilnehmenden meist zu einem „psychischen Crash“. Seit Sasek 2008 die Reinkarnationslehre aufgenommen habe, würden die Teilnehmer auch mit angeblichen Sünden aus vorigen Leben konfrontiert.

Sasek kämpfe gegen die „totale Zensur“ und verbünde sich zur Verbreitung der angeblich unterdrückten Wahrheiten auf Kongressen mit Handysmog-Gegnern, Klimawandel-Bestreitern, Impfgegnern, Esoterikern, Scientologen, Holocaust-Leugnern und Verschwörungstheoretikern „jeglicher Couleur“. Darüber hinaus sind laut Bayerischem Rundfunk Bezüge zum Rechtsextremismus bekannt. Um seine Lehre zu verbreiten, habe Sasek einen großen Apparat mit einem Filmstudio, Internet-Sendern und einem Verlag aufgebaut. Die OCG-Sekte betreibt seit Jahren die Onlineplattformen „Anti-Zensur-Koalition“ und „Klagemauer TV“ (auch „kla.tv“). Mitglieder seiner Sekte leben vor allem in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich. Saseks treueste Mitarbeiter sind seine Ehefrau Anni und seine elf Kinder. Über die Medienportale sprechen die Verantwortlichen von der „Lügenpresse“ und klären nach eigener Ansicht über die „wahren“ Hintergründe fast jeder politisch oder gesellschaftlich relevanten Nachricht auf, ob Aids, Ebola, Ukrainekonflikt, die Finanzkrise oder aktuell Corona.

Private Daten von Politikern

Der Bayerische Rundfunk berichtet, dass die Sekte seit Jahren private Daten von Tausenden Personen sammle. Nach Informationen des BR-Politikmagazins „Kontrovers“ seien über 8.000 Personen betroffen. In dem Datensatz, der dem BR vorliegt, fänden sich etwa private Wohnadressen, Handynummern, Angaben zur Religionszugehörigkeit, Nationalität oder sexuellen Orientierung. Darunter seien auch sensible Informationen über Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (beide CDU) und den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Laut dem BR gehe es um einen Datensatz von insgesamt 8.200 Einträgen. Auf der Liste fänden sich Vertreter aller Parteien, aller Landesparlamente und des Bundestags, sowie Beamte, Journalisten und Aktivisten. Auf die Anfrage der BR-Journalisten, warum die Sekte die Liste führe, antwortete Sektenführer Sasek, die Datensammlung diene der „Weiterbildung“ der OCG-Mitglieder, um herauszufinden, „welcher Art und Gesinnung unsere Volksvertreter sind“. Die Daten seien nur für den „internen Gebrauch“, schrieb Sasek. Nach BR-Recherchen finden sich auf der Liste auch die Namen mehrerer Vorsitzende jüdischer Einrichtungen.

Der Soziologe und Extremismusforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld spricht gegenüber dem BR angesichts der erfassten Kategorien wie Religion, Nationalität und sexueller Orientierung von einer „rassistischen Liste“. Ihr Umfang sei „ungeheuerlich“. Bekannt seien Listen dieser Art bisher nur aus dschihadistischen oder rechtsextremen Kreisen. In Bayern beschäftige sich seit Kurzem der Landtag mit der Sekte, so der Sender. Die Generalstaatsanwaltschaft München führe ein Vorermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.

Geboren 1956 in der Schweiz

Ivo Sasek wurde 1956 in Zürich geboren und machte eine Lehre als Automechaniker. Laut der Schweizer „Evangelischen Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen“ wuchs er in einem überzeugt atheistischen Elternhaus auf und bekehrte sich 1977 zu einem Christentum evangelikaler Prägung. Er schloss sich für ein gewisse Zeit der Newlife-Bewegung an, arbeitete dann in der christlichen Drogenrehabilitation und gründete 1984 ein eigenes Drogenrehabilitationszentrum unter dem Namen Obadja in Walzenhausen in der Schweiz. Hinzu kam der Aufbau der Organisation „Organische Christus-Generation“. Laut der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen Evangelische Landeskirche in Württemberg ist für Sasek zentral das Bestehen der „Bemessung“, seine Untersuchung der „Organismustauglichkeit“ eines Mitglieds, der Gehorsam gegenüber den Regeln, die Unterordnung (Schlagen von Kindern inklusive) und Selbstaufgabe. Nur wer dieser Prüfung bestehe, gehöre zur neuen, erlösten und jetzt schon sündlosen Generation.

Europaweit hat die Gemeinschaft laut Sektenbeauftragten mehrere Tausend Anhänger. Der Gründer Ivo Sasek erklärt auf Anfrage des BR, „voller Liebe zu allen Menschen“ zu sein. Zugleich sieht er sich seit Jahren in einer Art Krieg gegen eine „dominante Elite“, die man stürzen müsse.

Von: Jörn Schumacher

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