Wenn „Homo-Heilung“ krank macht

„Wie krank ist Homo-Heilung?“ – dieser Frage geht eine Reportage des Senders Arte nach. Sie lässt Betroffene ebenso zu Wort kommen wie Befürworter und Kritiker von sogenannten Konversionstherapien. Dabei geht es oft um das Verhältnis von christlichem Glauben und Homosexualität. Dass die Protagonisten dieses als Dilemma beschreiben, ist bedrückend. Eine TV-Kritik von Jonathan Steinert
Von PRO
Die Amerikanerin Deb stammt aus einer evangelikalen Familie. Mit Exorzismus sollten ihre homosexuellen Neigungen ausgetrieben werden. Das stürzte sie in Depressionen.

Eine Reportage des Senders Arte fragt: „Wie krank ist Homo-Heilung?“. Diese Formulierung des Titels lässt zunächst wenig Raum für Grautöne. Doch der Film selbst, der am 26. November auf Arte läuft, ist weniger polemisch, als es die Überschrift vermuten lässt.

Im Mittelpunkt der 95-minütigen französischen Produktion stehen Menschen, die durch ihre christliche Prägung – sei es ihr persönlicher Glaube, die kulturelle Tradition oder die Erziehung im Elternhaus – wegen ihrer Homosexualität in ein persönliches Dilemma geraten sind. Christlicher Glaube und Liebe zum gleichen Geschlecht, das schließt sich aus, so wurde es ihnen vermittelt. Protagonisten aus verschiedenen Ländern, Frankreich, Polen, Deutschland oder den USA, berichten davon, wie sie zur Beichte oder zu Heilungsmessen gehen mussten, Therapieprogramme durchlaufen haben, Dämonenaustreibungen oder ärztliche Behandlungen ohne „Erfolg“ über sich ergehen ließen. Dazu nimmt die Reportage Anbieter solcher Konversionstherapien in den Blick und stellt ihnen Kritiker entgegen.

Frage nach Ursprung von Homosexualität bleibt offen

Vor allem in der evangelikalen Bewegung und in der Katholischen Kirche herrsche die Auffassung, Homosexualität könne und solle verändert werden, weil sie nicht mit den biblischen Grundsätzen übereinstimme, stellt der Film heraus. Religiöse Bewegungen seien an die Stelle medizinischer Ansätze aus früheren Jahrzehnten getreten, Homosexualität zu heilen. Der amerikanische Verein „Exodus International“ wird als ein Beispiel dafür genannt. „Heterosexualität ist Gottes Plan“, erklärt Alan Chambers die Überzeugung mancher konservativer Christen. Er leitete die Organisation zwanzig Jahre lang. Der Psychotherapeut Richard Cohen ist ein Vertreter der amerikanischen Ex-Gay-Bewegung, der in dem Film zu Wort kommt. Er war selbst homosexuell, ist aber seit nunmehr 30 Jahren mit einer Frau verheiratet und hat mit ihr drei erwachsene Kinder. In mehreren Büchern beschreibt er seinen Lebensweg und erklärt, wie Homosexualität überwunden werden könne.

Ein Mangel an sicheren Bindungen in der Familie, eine schwierige Beziehung eines Jungen zu seinem Vater oder eine zu enge zu seiner Mutter gehören für Cohen zu möglichen Ursachen für homosexuelle Neigungen, erklärt er im Film. Auch wenn klar ist, dass die Filmemacher diese Thesen kritisieren wollen, so gelingt es ihnen nicht, hier sachliche Argumente entgegenzusetzen. Stattdessen ist von „klischeehaften“ und „wirren Theorien“ die Rede. Das ist schade, denn die Frage nach der Ursache von Homosexualität ist wesentlich für die daraus resultierende Frage, ob homosexuelle Neigungen veränderbar sind oder nicht. Sachliche Aufklärung kann der Film daher in dieser Hinsicht nicht leisten.

Der Film setzt sich ansonsten aber weitestgehend fair und differenziert mit Konversionstherapien auseinander, lässt Vertreter, Gegner und Betroffene zu Wort kommen. Die versteckte Kamera, wie sie auch bei anderen Homo-Heiler-Filmen bekannt ist, darf in diesem Film nicht fehlen, nach dem Motto: Journalist gibt sich als Hilfesuchender aus. Solche Aufnahmen bei einer kirchlichen Beratungsstelle, einer Selbsthilfegruppe und einer Art „Therapie-Camp“ einer evangelikalen Organisation in Frankreich, heften diesen Angeboten etwas Anrüchiges an – sicher nicht unbeabsichtigt. Dennoch erscheinen sie im Kontext des Beitrags schlüssig, weil sie authentische Bilder liefern von Dingen, die der journalistischen Beobachtung sonst so wahrscheinlich nicht zugänglich wären. Und so wird der Zuschauer Zeuge von fragwürdigen Situationen, etwa als in dem christlichen Homo-Heilungs-Seminar nach einem Sündenbekenntnis Teilnehmer anfangen, hysterisch zu kreischen und zu weinen, vor einem aufgestellten Holzkreuz auf dem Bauch liegen.

Ein früherer Sektenbeauftragter aus Frankreich warnt davor, dass durch solche „unkontrollierten Psychotherapien“ die Persönlichkeit eines Menschen destabilisiert und zerstört werden könne. Der Soziologe Yannick Fer erklärt den Ansatz evangelikaler Angebote so: Der Mensch sei verantwortlich, die richtige Wahl für sein Leben zu treffen. „Richtig“ bedeute, Christ sein. Und das wiederum heiße, sich an das zu halten, was Gott für den Menschen vorgesehen habe: „Der Mensch muss heterosexuell sein.“

Bedrückende Berichte

Was das für die Betroffenen bedeutet, machen deren Berichte im Film deutlich. Wie sie das Dilemma zwischen ihrer Homosexualität und dem Glauben nicht auflösen können; wie sie an Gott zweifeln, weil er ihre Gebete für Veränderung nicht erhört; wie sie erklärt bekommen, dass Gott sie so nicht annehmen könne, dass sie „falsch“ seien; wie sie nach Exorzismen in Depressionen fielen; dass sie sich am liebsten das Leben nehmen wollten.

Am Ende kommen drei Aussteiger aus der Ex-Gay-Bewegung zu Wort, unter anderem auch der bereits zitierte Alan Chambers, langjähriger Leiter der Organisation „Exodus“. Er, der selbst seine homosexuelle Neigung hinter sich ließ und eine Frau heiratete, entschuldigte sich 2015 dafür, „dass wir ein unvollständiges Evangelium verkündigt und LGBTQ-Menschen fälschlicherweise erklärt haben, sie könnten und müssten mehr tun, um von Gott angenommen zu sein.“ Im Film sagt er: „Wir haben Scham und Angst verursacht. Wir haben den Mythos aufrecht erhalten, dass Gott glücklicher wäre, wenn wir dieses Verlangen ablegen … einen Teil von uns selbst aufgeben würden“. Günter Baum, Gründer der Organisation „Wüstenstrom“ in Deutschland und ebenfalls späterer Aussteiger, sagt: „Durch Verbote wie ‚Du darfst nicht homosexuell sein‘ bin ich ein gebranntes Kind.“ Auch er sei in seinem Leben an dem Punkt gewesen, wo er nicht mehr habe weiterleben wollen.

Diese Zeugnisse von Betroffenen über ihre innere Zerrissenheit und die teilweise krassen Erfahrungen mit christlichen Veränderungsangeboten sind bedrückend. Und so fordert der Film Christen, die die kritischen Aussagen der Bibel zu Homosexualität für bis heute wegweisend erachten, heraus: Wie gehen wir in unseren Gemeinden mit homosexuellen Menschen um? Was bedeuten im Lichte dieser Verse andere Aussagen der Bibel von der bedingungslosen Liebe Gottes? Chambers sagte 2015 sinngemäß: Wenn es bei ihm funktioniert habe, mithilfe geistlicher Angebote der homosexuellen Neigung zu entsagen, muss das nicht heißen, dass es bei anderen auch so laufen müsse. Offenbar hilft es manchen Menschen, ihre sexuelle Orientierung zu verändern. Aber Druck, geistliche und psychische Manipulation können Menschen brechen – und, wie der Film zeigt, im Zweifel von Gott wegbringen.

„Wie krank ist Homo-Heilung?“, Arte, Dienstag, 26. November 2019, 20:15 Uhr und in der Mediathek

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